Doppelbett mit Liebesbrücke

In autobiographischen Buch schreibt Aline Engels (*) über ihre Beziehung zu einem Mann mit Behinderung. Meine Freundin und ich haben es gelesen und haben uns an einigen Stellen wiedererkannt. Das Buch ist amüsant und interessant und man bekommt schnell einen Bezug zur Lebenswelt der Protagonisten. Auch die üblichen Probleme in einer solchen Konstellation sind gut dargestellt. Wem allerdings das Genre „Liebesroman“ absolut nicht zusagt, der wird sich auch mit dieser Geschichte nicht 100 % anfreunden können, am Ende ist es halt eine Liebesgeschichte, auch wenn die Umstände für Romane neu sind. Ich finde aber, das ist auch gut so, denn es zeigt die Normalität von Beziehung, auch wenn ein Partner behindert ist.

Ich hatte die Gelegenheit Aline Engels und ihren Mann Tim Erdmann zu ihrem Buch zu interviewen.

Aline, du schreibst in deinem Buch „Doppelbett mit Liebesbrücke“ über deine Beziehung zu einem behinderten Mann. Sag doch mal kurz in eigenen Worten, warum es in dem Buch genau geht.

Das Buch ist eine Biografie. Es geht um das Kennenlernen, Liebenlernen, die Beziehung zu meinem schwerbehinderten Mann, der rund um die Uhr auf Assistenz angewiesen ist, und die Besonderheiten in unserem gemeinsamen Leben mit Assistenz. Klicken Sie auf den Link, um weitere Informationen zu diesem zu entdecken.

Wie bist du denn auf die Idee gekommen, ein solches Buch zu schreiben? Was war deine Motivation und wen möchtest du damit erreichen?

Die Liebe zu meinem Mann ist wie eine Naturgewalt. Ich bin ein nüchtern denkender Mensch, der sein Leben komplett durchgeplant und durchstrukturiert hat. Und auf einmal hat dieser Mann mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Als nicht-behinderte Frau hatte ich eine Menge Fragen, die mir kein Wikipedia oder Google beantworten konnte. Ich wusste auch nicht, wen ich hätte fragen können.

Mir hat die Beziehung von Fridl und Franzi Mut gemacht. Auf Fridls Homepage fand ich ein paar Antworten auf meine Fragen. Die Filme von den beiden machten mir Mut. Ich war dennoch sehr unsicher und hatte große Ängste.

Die Beziehung zu meinem Mann ist für mich so wahnsinnig bereichernd, dass ich mir dachte, dass es auch für andere möglich sein muss. Und wenn sich wieder ein Nicht-Behinderter in einen schwerbehinderten Partner verlieben sollte, so soll mein Buch und unsere Geschichte einfach Mut machen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.

Mir ist aufgefallen, dass eigentlich alle in deinem Umfeld, die du im Buch beschreibst sehr positiv auf eure Beziehung reagiert haben. Gab es auch negative Stimmen? Wenn ja, wie seid Ihr damit umgegangen?

Es gab wirklich ausschließlich positive Reaktionen in unserem Bekannten- und Freundesumfeld. Einige in meinem Bekanntenkreis reagierten erst etwas unsicher, aber Tim konnte immer sofort diese Unsicherheit nehmen. Er ist ein sehr offener Mensch, der seine Behinderung zu 100 Prozent akzeptiert hat. Das macht es für andere leicht im Umgang mit ihm.

Ein Assistent von Tim hat zuerst sehr unsicher und eher zurückhaltend auf unsere Beziehung reagiert. Das war unseres Erachtens aber eher aus dem Gefühl des Machtverlustes heraus. Im Kapitel Supervision gehe ich näher darauf ein. Tim konnte auch nicht mit ihm darüber sprechen, weil er immer behauptete, es gäbe kein Problem.

Einmal saßen wir in einer Strandbar an der Nordsee und ich küsste Tim, so wie immer. Tim sagte mir später, dass das Pärchen am Nachbartisch komisch geguckt hätte. Mir ist es nicht aufgefallen, wahrscheinlich fehlt mir dafür einfach der Wahrnehmungsfilter. Mich interessieren fremde Leute nicht; unsere Freunde und Bekannte haben einfach super offen reagiert. Es ist auch das einzige Mal gewesen, dass Leute komisch geguckt haben.

Meine Eltern haben eher distanziert auf die neue Beziehung von mir reagiert, das hatte aber nichts mit Tims Behinderung zu tun (von der wussten sie ja lange nichts), sondern einfach aus Sorge um mich. Ich bin als junger Mensch sehr übel auf einen Mann hereingefallen und diese Sorge haben meine Eltern halt immer noch, dass mir das nochmal passieren könnte.

Manche Leute, die uns nicht näher kennen, könnten ja der Meinung sein, dass sich nur Nicht-Behinderte mit Helferkomplex auf einen schwerbehinderten Menschen einlassen können. Aber wer Tim und mich kennt, der weiß, dass dieser Gedanke bei uns völlig absurd ist. Ich habe keinen Helferkomplex (bzw. mein kleiner Helferkomplex ist sehr gut reflektiert) und Tim hätte sich niemals auf eine Partnerin mit Helferkomplex eingelassen.

Tim, es hat ja ziemlich lange dauert, bis ihr zusammen wart. Aline meint zumindest, dass du sie lange hast zappen lassen. Als Grund schreibt Aline von einer Mauer, in die du zum Selbstschutz um dich herum errichtet hast. Oftmalige Enttäuschung kennen viele behinderte Menschen und oft ist auch das Selbstbewusstsein nicht besonders stark. Was würdest du anderen behinderten Menschen raten, nachdem du die Erfahrung mit Aline machen konntest?

Sicherlich tut jeder Korb, den man bekommt, sehr weh, aber die Chance nicht wahrzunehmen, den – aus meiner Sicht – einzigen Menschen zu finden, welcher perfekt zu einem passt, wäre die größte Dummheit des Lebens. Eine 100%ige Sicherheit gibt es nicht, ob die Beziehung hält und ob es wirklich der richtige Partner sein wird. Ich kann nur jedem Menschen mit Behinderung raten, auf sein Bauchgefühl zu hören, wenn die Schmetterlinge fröhlich flattern und man es wirklich ernst meint, sich auf das „Abenteuer Liebe“ einzulassen! Es ist ein unbeschreibliches Glück in einer bedingungslosen und gleichberechtigten Partnerschaft leben zu können und rechtfertigt auch das Risiko eines sicherlich schmerzhaften Scheiterns! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Habt den Mut Wege zu beschreiten, welche Ihr nie gehen wolltet, weil Ihr Angst habt vor der Ungewissheit und der Enttäuschung. Ehrliche Liebe, Vertrauen und Zuversicht machen es einem leicht, diese Ängste zu überwinden!

In deinem Buch gibt es einige Menschen, die neben euch beiden eine Rolle spielen, zum Beispiel Tims Assistenten. Was halten die davon? Erkennen sie sich wieder? Gab es Bedenken?

Tims Assistenten haben – bis auf einen – alle positiv reagiert. Sie haben sich ehrlich für uns gefreut. Kleine Irritationen traten eher unbewusst auf. Siehe Kapitel Supervision. Unterschwellig hatten einige wohl Angst um ihren Job, Tim hat sie nicht mehr in seine kleinen Geheimnisse eingeweiht. Er hat sich dann auch mehr abgegrenzt. Zu manchen Assistenten war das Verhältnis vorher vielleicht zu eng – nun ist es gesund distanziert.

Die Assistenten wissen übrigens noch nichts von dem Buch. Bin gespannt, wann es der erste herausfindet 😉 Ich tippe auf Robin.

Es haben inzwischen einige Assistentenwechsel stattgefunden. Von den „alten Vor-Aline-Assistenten“ gibt es leider nur noch zwei im Team. Die anderen sind aus verschiedensten Gründen ausgeschieden: Krankheit, Studium fertig, berufliche Veränderung usw.  Das ist ein Job, den man wahrscheinlich nicht bis ins hohe Alter machen kann.

Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Assistenten, auch zu den Ex-Assis, bis eben auf den einen Ex-Assi, der von Anfang an ein Problem damit hatte, dass eine Frau in Tims Leben kam.

Das Buch endet kurz nach eurer Hochzeit. Erzähl doch mal noch ein bisschen, was es seitdem neues gibt, welche Ereignisse sich seitdem noch ergeben haben.

Nach der Hochzeit habe ich versucht, mein Eheversprechen einzuhalten und weniger zu arbeiten. (Es ist mir noch nicht so ganz gelungen)

Ich habe daher meine Firmen so umstrukturiert, dass sie nach Möglichkeit auch ohne mich funktionieren.

Auch Tim möchte nicht sein Leben lang arbeiten müssen. Er wird zwar sein Leben lang Chef sein, aber so organisatorische und administrative Abläufe haben wir in einen Verein ausgelagert. Die Dienstpläne, die Stundenzettel, die Über- und Unterstundenberechnung oder Urlaubsberechnung macht nun das Sekretariat des Vereins für ihn.

Da es in unseren Firmen allerdings sehr „menschelt“, wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, sich völlig aus dem Tagesgeschäft herauszuziehen. Wir planen die Einstellung eines Geschäftsführers, der unsere Aufgaben übernehmen kann, aber dafür die richtige Person mit dem richtigen Hintergrundwissen zu finden, ist schwierig.

Wir machen regelmäßig, ungefähr zweimal im Jahr, Urlaub. Wie im Buch beschrieben, fahren wir einmal nach Italien, Nähe Venedig, und einmal an die Ostsee.

Fridls plötzlicher Tod hat uns sehr getroffen und er fehlt uns total. Die Freundschaft zu Fridl und Franzi war sehr intensiv und wir hatten so viele Gemeinsamkeiten. Es tut uns weh, zu sehen, wie sehr Franzi immer noch leidet und trauert. Die „Münchener Truppe“ und unsere gemeinsamen Urlaube in Italien sind nicht mehr so wie früher. Fridl fehlt ganz einfach. Ich finde es schade, dass er das Buch nicht mehr lesen konnte. Er starb, als der Roh-Entwurf fertig war.

Ich glaube und hoffe, es hätte ihm gefallen. Ich hatte ihn bei einem unserer letzten Chats noch nach kreativen Schimpfwörtern für Tim gefragt und fast alle sind in dem Buch verarbeitet. Es tröstet uns, dass Fridl so intensiv gelebt hat und glücklich und ohne Schmerzen einfach eingeschlafen ist.

In der Zeit, in der das Buch spielt, seid Ihr wirklich sehr verliebt ineinander. Mir persönlich ist das Buch deswegen vielleicht ein bisschen zu rosarot. Gab es auch Momente des Frusts oder Streit und wie geht ihr damit um?

Wie bereits oben erwähnt, bin ich ein nüchtern denkender Mensch, der gerne plant und organisiert. Dass ich ein so gefühlsbetontes Buch überhaupt schreiben konnte, verwundert daher so manchen eingeweihten Bekannten, der das Buch gelesen hat. Wir sind nach wie vor genauso verliebt ineinander und zeigen es auch. Uns ist das auch nicht peinlich, sondern es ist eben genau so, wie wir es fühlen. Die Assistenten ziehen uns heute noch auf, dass wir uns wie verliebte Teenager verhalten.

Und was heißt schon „zu rosarot“? Ein Leser hat geschrieben, es wäre ihm an der einen oder anderen Stelle zu schnulzig. Mag sein, ich bin halt Tims größter Fan und komme leicht ins Schwärmen, wenn ich über ihn schreibe. Es ist eben eine Biografie, die Szenen sind echt und ich habe es eben genau so empfunden. Tim sagt selbst manchmal, ich hätte eine rosarote Brille auf, aber ich finde, wenn man einen Menschen so sehr liebt, dann darf das auch so sein.

Tim fragt zum Beispiel: „Wie sehe ich aus? Muss ich mich rasieren oder umziehen?“ Und ich singe: „Du siehst suuuuper aus!“ Strahle ihn an und tanze um ihn herum. Er verdreht dann gespielt übertrieben die Augen und fragt lieber seinen Assistenten um Rat. 😀

Frust und Streit gab es niemals zwischen uns, wir harmonieren total. Meinungsverschiedenheiten kommen vor, sind aber selten. Wir sprechen darüber, aber wir müssen ja nicht zwingend immer einer Meinung sein. Wir haben auch einen ähnlichen Humor. Es ist eine in jeder Hinsicht sehr erwachsene und harmonische Beziehung.

Du schreibst, eines der größten Hindernisse für die Liebe ist die deutsche Gesetzgebung in Bezug auf Assistenz. Was würdet ihr euch in dieser Richtung wünschen?

Natürlich wünschen wir uns, dass die Teilhabeleistungen (Assistenzleistungen für Tim) nicht an die Sozialhilfe gekoppelt sind und bald einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werden. Tim behauptet jedoch, das dauert bestimmt noch 20 Jahre. Das hätte damals mit dem Arbeitgebermodell genauso lange gedauert.

So bleibt uns, wie vielen anderen auch, keine andere Möglichkeit, als mit der Situation zu leben und irgendwie das Beste daraus zu machen. Wir sind in dieser Hinsicht auch sehr kreativ, beraten auch andere Paare in ähnlicher Situation, aber es ist ein blödes Gefühl, immer tricksen und aufpassen zu müssen.

Tim und ich, wir werden nicht vor Gericht oder in der Öffentlichkeit für eine Änderung der Gesetzgebung kämpfen, aber wir sind froh und dankbar, dass es andere tun. Tim hatte seine Zeit, in der er behindertenpolitisch sehr aktiv war; jetzt möchte er einfach nicht mehr kämpfen. Wir wollen jetzt die Zeit miteinander genießen.

Vielen Dank euch Beiden für das Interview und noch ganz viel Romantik und gemeinsame, schöne Erlebnisse!

Das Buch „Doppelbett mit Liebesbrücke“ gibt es im Buchhandel oder bei Amazon als Kindle-Edition.

(*) Alle Namen und Orte, die im Buch vorkommen, sind geändert.