Podiumsdiskussion zu Sexualität und Behinderung in Leipzig – Teil 2

Heute setzen wir nach einer kürzeren Pause die Dokumentation zur Podiumsdiskussion in Leipzig fort. Zum ersten Teil geht es hier.

Weiter geht’s:

Peter:

Es gibt da noch nen Arbeitskreis Sexualpädagogik in Leipzig und wir haben auch in den letzten Jahren Fachtagungen organisiert zum Thema Sexualität in Kitas und das waren ganz, ganz schnell die besorgten Eltern auf dem Plan. Es gibt auch Gegenwehr, das ist richtig, aber wir wollen dort immer wieder dran bleiben. Und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen merken, dass in diesem Bereich sich viel, viel öffnet. Und das finden wir auch toll und arbeiten sehr gerne mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, weil wir erleben, dass die sehr, sehr offen sind. Aber ich geh immer nach Haus mit vielen, vielen Fragen im Kopf wie ist das realisierbar, wie ist das machbar? Es gibt nach wie vor noch viel zu viel Hürden.

Aber ich seh noch eine Frage im Publikum.

Mann aus Publikum:

Ich stelle mir einfach die Frage ob es nicht wichtiger ist, viel klarer zu kommunizieren und auch die Sachen einfach genannt werden? Auch Sexualorgane benannt werden. Behinderte Menschen haben sie, nicht behinderte Menschen haben sie und da gibts inzwischen seh ich auch Kinderbücher schon die sehr klar in der Sprache vermitteln. Und das kenn ich aus meiner Kindheit zB. noch gar nicht. Und da seh ich schon eine Bewegung die in die Richtung geht, das ganze viel offener zu halten. Da bin ich vorsichtig optimistisch, dass sich noch vielleicht was gut wendet, wenn da auch die Sexualaufklärung bisschen mit ansetzt und das vielleicht begleitet.

Ich bin grad in einer ambulanten Einrichtung, die sowohl Behinderte als auch alte Menschen pflegt. Da wurde mir das so präsent, dass das was behinderte Menschen und auch andere Menschen erleben, auch alte Menschen erleben.

Zum Beispiel wird bei einem Pärchen in unserer Einrichtung immer um den heißen Brei herum geredet: natürlich haben sie Sex, aber das wird nicht so ausgesprochen. Es wird gesagt: Ja, er ist wieder bei ihr oben. Oder: sie ist halt wieder bei ihm. Es wird nicht gesagt: die treffen sich und haben Sex. Also niemand gibt es zu. Aber alle Menschen haben dieses Bedürfnis. So wird es aber schwierig, denn gerade Menschen, die es schwierig haben, sich auszudrücken, benötigen eine klare Kommunikation.

Auf jeden Fall find ich es super, dass es Sexualassistenz gibt. Weil da ja auch die Empathie in dem Masse, dann versucht diese Bedürfnisse herauszufinden und sich drauf einzulassen.

Stefanie:

Ich arbeite mehr im Bereich Alte, Pflegebedürftige und Menschen mit dementieller Erkrankung, als mit behinderten Menschen. Aber ich glaube dass der Alten- und Pflegebereich gerade von dem Behinderten-Bereich lernt. Da hat das Thema Sexualassistenz und Sexualität eine viel längere Tradition.

Und da sind auch Menschen viel stärker in die Öffentlichkeit getreten und haben ihre Rechte eingeklagt. Und so langsam, langsam, langsam fängt der Altenpflegebereich an da anzudocken. Und ebenfalls zu verstehen, dass Menschen tatsächlich ein Bedürfnis haben nach Sexualität von der Wiege bis zur Bare haben. Und dass die Begleitumstände keine Rolle spielen. Aber dass ein Leben in der Einrichtung, wie Christian gesagt hat, lusttötend ist: Das muss man sich wirklich vorstellen. Es sind Einrichtungen wo wir zunehmend in Einzelzimmern die standardisiert eingerichtet sind mit nem 80 cm breiten Bett, was höhenzustellbar ist, damit man gut pflegen kann, aber wo weitesgehend keine Privatsphäre ist, wo keine schummrige Atmosphäre geschaffen werden kann, wo morgens um 6 gewaschen wird, egal ob man nun fit ist und aufstehen will, wo es um 7 Uhr Frühstück gibt usw. Es ist völlig alles durchgetacktet. Und da werden wir alle mal hinkommen, wenn wir Pech haben.

Das ist jetzt keine Kritik am Personal solcher großen Organisationen – und der Anspruch lässt sich nicht anders regeln – aber da ist dann auch keine Zeit mehr für Freundschaft, erst recht wenn man dann auch noch krank und pflegebedürftig ist, also wo man auch mal zu anderen hingeführt werden müsste. Da ist keine Atmosphäre, wo Sinnlichkeit, Entwicklung oder Geselligkeit gefördert wird. Wo anfassen und liebevolles Umarmen schon schnell in die Richtung kommt, das ist übergriffig, das ist sexuelle Gewalt,wo insbesondere junges Personal nicht mit umgehen kann. Wenn da ein Herr über den Flur geht und sagt „ich will ficken“, dann denkt das Personal in erster Linie daran, der muss in eine andere Einrichtung, nicht „Was steckt für ein Bedürfnis dahinter?“. Da sind wir tatsächlich nicht geschult, und da glaub ich, sind wir auf dem kleinen Weg, da bin ich ebenfalls kleinbisschen optimistisch, dass sich diese Einrichtungen mehr und mehr anschauen, was in Behinderten-Einrichtungen passiert ist. Da gibt es bereits Sexualpädagogik, da gibt es Personal, was sich mit dem Thema auseinandersetzt und auch wirklich durch wortgewaltige Mitarbeiter und Bewohner damit konfrontiert wird. Immerhin kommt in die Altenpflegeeinrichtungen jetzt so langsam eine Generation, von der wir alle sagen, sie ist sexuell aktiv gewesen und sie hat die sexuelle Revolution miterlebt. Die werden sich nicht ohne weiteres mit du-du-du und „lass dass mal sein“ abschieben lassen…

Christian:

Ich habe vielleicht 2-3 Punkte im Kopf, die angesprochen worden sind und 2 Anekdoten zum Thema Tabuisierung.

Zum einen: man merkt daran, wie sehr das Thema Sexualität allgemein und Sexualität und Behinderung speziell tabuisiert wird und wie sehr es immer noch in die negative Seite gekehrt wird. Peter hat mich daran erinnert, dass ich Behinderten-Beauftragter war, und deswegen nicht mehr im Amt bin, weil ich mich öffentlich zum Thema Sexualität und Behinderung relativ explizit geäussert hab: weil ich das wichtig empfinde, einfach als aufklärerische Arbeit und der Stadtrat in Koblenz fand, dass das zu weit ging. Und genau das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, das so zu machen. Ich bin sehr glücklich mit der Entscheidung, zu sagen „Ok, dann halt nicht, aber das Thema ist mir so wichtig.“

Und zum anderen dann eine persönliche Anekdote: Ich hab mit 25 meine erste Freundin kennen gelernt, mit der ich eine längere Beziehung hatte. Meine Mutter ist eigentlich sehr eng mit mir, sehr, sehr vertraut und kennt mich auch sehr, meinen Körper. Aber bei der Begegnung mit meiner Freundin – wir hatten dann mal Zeit miteinander, alleine und sassen zusammen – fragte meine Mutter meine Freundin, tatsächlich, wie es denn so wäre, mit einem Mann, mit dem sie keinen Sex haben könnte. Dann hat meine Freundin erst mal angefangen zu lachen und meinte1 „Wie meinst Du das, keinen Sex haben? Natürlich haben wir Sex!“ Meine Mutter hat angefangen zu weinen und meinte „Ach, wie schön, ich wusste nicht, dass das geht.“.

Also, ja, so irre ist es teilweise, obwohl man sich so nah ist. Familiär, trotzdem sind die Scheuklappen und die Tabus so gross. Weil da eben viel Unwissen herrscht, und deswegen muss man eben daran arbeiten, dass das Thema normalisiert wird, eben nicht hinter verschlossenen Türen gehalten wird und – es muss einfach in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Dann zur Frage eben, mit der Normalisierung der Sprache, oder ob man nicht lieber explizit reden sollte, und welche Begriffe man da jetzt verwendet: Welche Begriffe würdest Du gern verwenden wollen? Ich glaube, dass es da ein ganz breites Spektrum was man da verwenden kann. Also, z. B. medizinisch korrekt Penis zu sagen. Natürlich ist es so abtörnend, warum sagt man nicht lieber Schwanz? Die Frage ist nicht einfach nur, welche Begriffe wir verwenden, sondern wie wir mit Sexualität generell umgehen?

Peter:

Also, das ist auf jeden Fall richtig. Ich mache manchmal mit Jugendlichen meinen Spass, man sollte hochwissenschaftlich reden, so nach dem Motto „Komm‘, Liebling, lass uns heute vaginal penetrieren“. Da lachen sie alle. Das find’ ich super, und es geht dann als erstes immer darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Also, die Jugendlichen dürfen alle Begriffe verwenden, die dürfen ficken sagen, die dürfen Schwanz sagen, die dürfen Fotze sagen – alles, um dann gemeinsam zu gucken, wie wir sprachlich miteinander arbeiten wollen. Welche Ebene wollen wir finden? Danach schauen wir uns an, wie es ist, wenn zwei sich mögen. Wenn die dort eine andere Sprache haben, die für beide ok ist, ist es super.

Stefanie:

Ich will mal gern auf die Frage antworten. Ich finde, dass jeder für sich Worte finden soll und kann, die ihn dann auch geil machen. Wenn ich jetzt Schwanz sage, dann sage ich Schwanz, wenn ich Penis sage, sage ich Penis. Ich kann Arschficken sagen, ich kann anale Penetration sagen, ich kann AV sagen, wenn ich’s unbedingt abkürzen muss. Ich kann auch sprachliche Vielfalt illustrieren. Ich weiß ja nicht, was er gut findet. Und wenn ich jetzt eben eher Oralverkehr sage oder „Ich möchte deinen Penis mit meinen Lippen liebkosen“, dann kann ich das auch so blumig ausdrücken, dann sag ich auch „Ich möchte dir einen blasen.“.

Peter:

Genau, genau darum geht’s. Aber, Christian, du hast noch was ganz, ganz wichtiges und tolles vorhin gesagt, und zwar das Beispiel mit deiner Mutter, und das war heute auch ein Thema, wie sag ich’s meinen Eltern, dass ich halt ein sexuelles Wesen bin, in einer Gruppe, in der Diakonie, und da haben auch 2 von den Teilnehmern gesagt, ‚hmmm, ich glaube ich traue mich das nicht zu sagen, und da gibt’s viele, viele Hemmnisse. Wir versuchen denen natürlich immer Mut zu machen, das auch zuhause anzusprechen, und werden da auch nicht Müde und da auch nicht nachlassen.

Frau aus Publikum:

Ich hätte noch eine Frage, und zwar an Christian Bayerlein: welche konkreten Forderungen hätten Sie an uns und an die Gesellschaft um die jetzige Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern?

Christian:

Inklusion bedeutet einfach, dass die Lebensentwürfe von behinderten Menschen potentiell genau dieselben sein können, wie die Lebensentwürfe von nichtbehinderten Menschen.

Alsop dass ich die gleichen Möglichkeiten habe, dass ich genauso ins Kino gehen kann, dass ich arbeite, genauso wie jeder andere, oder auch nicht, wenn ich nicht arbeiten möchte. Oder dass ich genauso einfach ne Wohnung in der Stadt oder auf dem Land finden kann, wie jeder andere auch, dass ich einkaufen kann wie jeder andere auch, eben dass ich keine Sonderwelt beziehe, sondern dass ich gleichberechtigt lebe in der Gemeinschaft. Dazu zählt meiner Meinung nach auch Partnerschaft. Wenn alle anderen Punkte abgearbeitet sind, da ist man dann, man kann gleich leben, gleich wohnen, gleich einkaufen, oftmals ist das Thema Partnerschaft und Sexualität trotzdem das, was immer außenvor bleibt. Doch das ist eigentlich die Basis und Essenz vom menschlichen Leben, denn jeder wünscht sich Liebe und Partnerschaft und Sexualität. Für mich wär da alles andere irgendwie ein bisschen sinnlos, wenn eben dieser Bereich nicht wäre. Aber das greift ineinander, denn immer wenn ich ganz normal im Alltag auftauche, kann’s auch zu einer Partnerschaft kommen. Damit ist die Inklusion perfekt. Was man dazu tun kann, ist, einfach die Scheuklappen abnehmen, ein bisschen offener werden, bisschen auf behinderte Menschen zugehen, kreativ sein, keine – oder zumindest weniger – Ängste haben. Das sind ganz schwierige Punkte – für den einen oder anderen erscheint es vielleicht schwierig, aber ich beisse nicht – oder, ich beiss’ nur dann, wenn ich beissen soll.

Peter:

Ja, Offenheit, das ist natürlich was ganz Wichtiges.

Stefanie, wenn die Menschen zu dir kommen, deine Dienste in Anspruch nehmen, ist ihnen das klar, das es nur ne kurze vereinbarte Geschichte ist, erzählen sie dir von ihren Wünschen in der Partnerschaft? Ich glaube schon.

Stefanie:

Dadurch, dass ich fast nur in Einrichtungen gehe, und irgend jemand, wenn es zu mehreren Besuchen kommt, bestimmt, in welchen Abständen ich kommen darf, entwickelt sich mehr als nur eine Geschäftsbeziehung, es entwickelt, es entwickelt Vertrautheit, es entwickelt sich auch…ganz oft die Vorstellung von einer Beziehung, es wir auch viel fantasiert in Richtung einer Beziehung, weil ich oft tatsächlich die einzige Person bin, die außer dem Pflegepersonal kommt. Das ist so, weil die Menschen die ich besuche keinen Kontakt zur Familie haben, weil in den Einrichtungen sich Freundschaften nicht entwickeln, oder weil seit dem Einzug in die Einrichtung Nachbarn und Freunde und Familienangehörige nicht mehr kommen.

Und da verschwimmt bei dem einen oder anderen Kunden und dem Verhältnis zu mir, tatsächlich auch das, was uns verbindet – es wird oft auch nicht mehr thematisiert, dass es Prostitution ist, dass ich dafür bezahlt werde. Sondern es ist dann eher so in die Richtung, ich bin eine Geliebte, wo auch die Wünsche der letzten 4 Wochen oder der letzten 3 Monate übertragen und dann ausgelebt werden.

Das ist problematisch, ja, aber ich sage mir, solange es nichts anderes gibt und ich kann nichts anderes organisieren, ist es mir dann lieber so, als wenn es gar nichts gibt. Und von meiner Seite unterstütze ich nicht die Fantasie, dass es eine Beziehung ist, aber ich werde schon oft in die Richtung angesprochen.
Publikum: Wie ist es wenn man in die Einrichtungen kommt, wer hat denn die größere Angst, das Personal, oder die Leute um die’s geht? Also Angst, ist ein ganz großer Begriff, aber ich denke, die Einrichtungen, die so eine Kooperation eingehen, dass sind ja schon die, die offen sind, die nicht an irgendwelchen…Socken hängen, selbst da ist es schon so verklemmter, in jeden Winkel zu spüren, könnt ich mir vorstellen.

Stefanie:

ja, die Einrichtungen rufen mich oft an, wenn jemand sexuell übergrifflich geworden ist – und dann bin ich so was wie die Erlösung, sprich, man kann auf mich verweisen, man kann sagen, ‚die S. kommt in 2 Wochen, jetzt lässt du mal die Pflegerin in Ruhe und gehst nicht mehr ins Bett von der Bewohnerin’ und es ist tatsächlich auch so, dass wenn ein Mensch eine erfüllte Sexualität hat und weiß, ich bin dafür zuständig, dann kanalisiert sich das auch auf meine Person und die Unruhe oder das, was sonst mit einem passieren kann und das was andere als übergrifflich bezeichnen, fällt tatsächlich weg. Aber es stimmt, Pflegepersonal macht ein ganz grosses Fragezeichen und sagt ‚Gottogottogott, wenn der sich in dich verliebt’.
This is problematic, yes, but tell myself, as long as there is nothing else, and

Ja und?! Welche Alternative gibt’s denn? Soll man denn auf Liebe verzichten?! Doch dann lieber verliebt sein in mich, wo ich alle 4 Wochen komme. Was von Wärme und Zuneigung gegeben ist. Sage ich.

Frau aus Publikum:

Also, ich hab selber 4-5 Jahre in einer Einrichtung gearbeitet mit um die 20-Jahre alten Männern mit Autismus, und ich war immer schockiert darüber, wie der Umgang war. Also, ich war immer ziemlich offen, wär jetzt nie so was eingegangen, weil ich das getrennt habe; ich bin hier Auszubildende und das sind meine Klienten, obwohl das durchaus sehr hübsche Männer waren – aber ich habe halt dann irgendwann in einer Team -Sitzung erwähnt, dass mich jemand angefasst hat und ich halt gesagt hab ‚Nein’, weil ich das wichtig fand, dass es alle wissen. War ein Riesen Aufschrei, ich musste zur Polizei, anzeigen, versuchen, eine forensische Einweisung zu bekommen. Man hat mich wirklich zur Polizei gegängelt. Auf der Wache habe ich begonnen mit „Ich möchte eigentlich gar keine Anzeige erstatten.“ Die Anzeige wurde trotzdem aufgenommen und habe dem Bewohner das auch erzählt und mich dafür bei ihm entschuldigt. Zum Glück hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Aber es hat mich wirklich super aufgeregt, dass mich jemand wirklich zur Polizei gängeln konnte. Dass ich dann auch so angsthandelnd bin und das ganze System so ist, hat mir sehr zu denken gegeben. Für mich sehr interessant zu erfahren, wie dann damit umgegangen wird. Auch wenn sich jemand selbst befriedigt und er oder sie verletzt sich dabei, dann kommt es vor, dass in einer Teamsitzung die Reaktion ist, dann müsse er sich mal richtig wehtun, damit sie die Medikamente hoch setzen können. Solche Reaktionen erleben dann in Teamsitzungen

Ich bin fast vom Stuhl gekippt, aber ich war in der Azubi- Rolle selber sehr untergebuttert und durfte nicht ausrasten. Und mittlerweile darf ich das mindestens, aber dass es das gibt, und Schweigepflicht usw., auch seinen Freunden nicht – aber es ist krass und es ist Alltag.

Christian:

Eine echt krasse Geschichte!

Stefanie:

Gut, dass Sie das ansprechen, weil wir alle darüber überlegen können, was neben uns passiert. Manchmal ist es auch ein Stück weit Normalität, jemanden anzufassen. Und auch wenn jemand an der Brust angefasst wird, muss man doch sehen Kontext sehen und was dahinter steckt – insbesondere, ob es wirklich übergriffig ist. Also, ich denke, wenn mich jemand an der Strasse an der Brust anfassen würde, würde ich dem eine ganz andere Bedeutung beimessen. Aber wenn das in der Einrichtung ist, wo ich weiss, der Herr hat ein ganz starkes sexuelles Bedürfnis und ich weiss, er fährt auf grosse Busen ab, dann sehe ich das als ein Bedürfnis von Nähe und Körperlichkeit, aber würde keine Übergrifflichkeit oder sexuelle Gewalt darin sehen.

Frau aus Publikum:

Alleine das Wort „übergriffig“. Ich meine, jemand, den ich jede zweite Schicht waschen muss, bin ich vielleicht als Pflegepersonal irgendwie nahe gehender, als wenn mich jemand besoffen in der Bushaltestelle oder in der Disko angrapscht. Da sag ich vielleicht, „Komm, hey, verpisst dich“ und dann bin ich fertig damit. Das ist von daher etwas einfacher. Aber das was passiert, ist ja erst mal dasselbe, so eine Kurzschlussreaktion „ich grapsch die mal an“. Warum kann man das dann in einer Einrichtung, wenn es das eine Mal ist, erst einmal es als genau das abtun? Warum muss dann gleich eskaliert werden?

Christian:

Was mir immer wieder auffällt, ist das Sexualität sehr oft als etwas abzuwehrendes dargestellt wird. Also in dem Fall, dass jemand ein sexuelles Bedürfnis hat oder einen sexuellen dreht sich die ganze Diskussion nur darum, wie man man es abstellen kann. Besser wäre doch, dieses Bedürfnis als etwas sehr wertvolles, sehr menschliches zu begreifen, und Wege zu suchen, wie man das erfüllt. Aber das ist allgemein in der Gesellschaft, das es erst negativ dargestellt wird. Ich glaube dass da auch mal die traditionelle katholische Sexualmoral einfach tief in vielen Menschen sitzt und eine ganz grosse Rolle spielt. Das eben da Ängste zum Vorschein kommen, die dann auch gefühlt werden. Ja und viele, viele Menschen sehen da auch immer nur wie sie das abwehren können. Das Thema ist dann immer schnell „sexuelle Gewalt muss verhütet werden“. Das ist natürlich auch sehr wichtig und man muss sexuelle Gewalt verhindern und auch Missbrauch ist eine ganz schlimme Sache. Aber es darf nicht sein, dass das alles andere überschattet.

Peter:

Ich möchte das Thema noch mal aufgreifen, weil wenn ich als Pflegekraft oder als Assistenz eingeteilt bin, und Menschen waschen muss, weil sie’s selber nicht machen können, z.B., und mich sonst niemand anfasst, dass es dann zu sexueller Erregung kommt. Also, ich könnte mir gut vorstellen, ich hätte da immer einen Ständer. Aber wie geht eine Pflegekraft damit um? Wo bekommt sie in irer Ausbildung irgendwas mit darüber? Es sind viele Fragen, nirgends findet was statt. Ein guter Freund von mir der auch jungen Menschen als Assistent begleitet, hat mir erzählt, eine Kollegin habe den nicht mehr gewaschen, weil der immer einen Ständer hat; Da wird unter der Decke gehoben und ein bisschen gesprüht.

Mann aus Publikum:

Zunächst einmal finde ich das unverantwortlich. „Ich sprüh mal so ein bisschen“… Ich kenn das auch, na ja Gott, dann hat er eben einen Ständer, dann kann man momentan halt mal nicy waschen. Ich finde, damit muss man einfach damit leben. Man kann das nicht verhindern, kann ja nicht meine körperliche Reaktion steuern.. Persönlich kenne ich das auch: Ich krieg auch manchmal in bestimmten Situationen eine Errektion und denk so „Hm, ist vielleicht nicht so passend jetzt, na gut, dann bleib ich mal sitzen.“

Peter:

Ja, aber die spannende Frage ist ja dann, wer befriedigt mich? Dann sitz ich ja mit meiner Erregung – und jetzt?

Frau aus Publikum:

Vielleicht ist es einfach mal die Befriedigung, ich eine Erektion haben darf und der andere das sieht und denkt „Ok, das ist jetzt so. Ich wasch erst mal an der anderen Stelle, um ihn nicht weiter zu erregen.“ Ich will ja auch den Menschen pflegen und nicht diese Grenze überschreiten. Oder sollte diese Grenze nicht überschreiten, vielleicht.

Peter:

Na ja, aber wenn ich das nicht selber kann, wer macht das dann? Das ist die Frage. Also, ich bleib dann irgendwo liegen/sitzen mit meiner Erregung und werde immer unzufriedener. Das kann unter Umständen Stress verursachen – für beide Seiten. Und da gibt’s aus meiner Sicht nicht wirklich ne Lösung. Damit will ich’s auch nicht stehen lassen, mit dem Vorwurf. Nicht so zum Abschluss bringen, unsere Diskussion. Vielleicht noch etwas Schönes, was Tolles, was ihr uns mit auf den Nachhauseweg mitgeben möchtet.

Stefanie:

Ich finde solche Veranstaltungen toll. Ich wünsche mir, dass Sie alle nachhause gehen und weiter diskutieren oder die Gelegenheit nutzen, die Idee fortzuentwickeln. Also nicht bei dem stehen bleiben was wir gesagt haben. Da geht noch viel mehr. …und haben sie viel Spass beim Sex.

Christian:

Ja, wir hatten eben herausgefunden, dass es dafür keine einfache Lösung gibt. Aber ich glaube es ist auch ein gutes Credo, einfach zu sagen, manchmal gibt’s keine einfache Lösung. es ist auch gut, dass es nicht ein pauschale Lösung für alle unterschiedlichen Menschen gibt. Denn unterschiedliche Probleme gibt’s,da müssen auch die Lösungen unterschiedlich und vielfältig sein.

Eine Lösung könnte auch sein, dass jeder schaut „Was ist meine Grenze, darf jemand auch mal näher an mich ran? Wo kann ich vielleicht ein Tabu brechen, was gerade gebrochen werden muss?“ Man muss sich nicht immer an gesellschaftliche Normen halten, wenn’s im intimen Bereich, zu zweit, eine individuelle Lösung findet. Wie auch immer die aussehen mag.

Da fordere ich euch alle raus, eure Grenzen auszutesten. Wie weit wollt ihr gehen? Was wollt ihr erleben? Seid offen!