Frag eine Devotine – Teil 2

Letzte Woche begannen wir mit unserer neuen Serie „Frag eine Devotine“. Heute folgt das zweite Interview. Diesmal hat sich Linda (Name wieder geändert) von uns befragen lassen.

Seit wann weißt du von deiner Attraktion? Wie bist du damit umgegangen? Hat sich deine Einstellung dazu geändert, als du herausfandest, dass das Kind einen Namen hat?

Schon mit zwei Jahren war ich auf eine seltsame Weise fasziniert von medizinischen Dingen, habe das aber immer strikt für mich behalten. All meine Kindheitsfantasien drehten sich darum. In meiner frühen Jugend begriff ich, dass körperliche Einschränkungen mich sexuell erregen. Dass es einen Namen dafür gibt, fand ich erst Jahre später heraus. Ich würde nicht sagen, dass sich meine Einstellung dazu dadurch geändert hat, aber ich habe Kontakt zu anderen Devotees aufgenommen. Es ist toll, sich mit anderen darüber austauschen zu können, die eine sehr ähnliche Attraktion haben.

Bist du auf eine bestimmte Behinderung fixiert oder geht es dir nur darum, dass eine Einschränkung vorhanden ist? Oder ist das komplizierter? Spielt der Grad der Behinderung eine Rolle?

Ich würde nicht sagen, dass ich auf eine bestimmte Behinderung fixiert bin. Auch auf einen Grad der Behinderung will ich mich nicht festlegen, alles hat seine Reize. Zwar gibt es Behinderungen, die ich i.A. attraktiver finde als andere, aber meine Attraktion ist sehr dehnbar und flexibel. Es geht eher darum, dass ein behinderter Mann ein gewisses Etwas hat. Ich kann das nicht näher beschreiben, es ist wie eine Aura, die ihn umgibt.

Hast du anderen Menschen aus deinem Umfeld von deiner Neigung erzählt? Wie haben sie reagiert?

Ja, einigen wenigen. Manche haben es nicht richtig verstanden, andere hatten kein Problem damit. Bisher schien sich niemand übermäßig dafür zu interessieren.

Glaubst du, du könntest mit einem nichtbehinderten Mann glücklich und sexuell erfüllt sein?

Ich bin mir nicht sicher, da ich diesbezüglich zu wenig Erfahrung habe. Ich denke, mit einem Mann, bei dem die Chemie perfekt stimmt und der vielleicht irgendein interessantes Merkmal hat, könnte es klappen.

Hast du an einen behinderten Mann bei der Partnerwahl niedrigere Erwartungen, weil er ja diese eine Kompatibilitätseigenschaft schon erfüllt? Sind Männer für dich attraktiv, allein durch eine Behinderung oder wenn sie sich in einen Rollstuhl setzen, oder müssen da mehr Faktoren zusammenkommen?

Nein, meine Erwartungen bleiben trotz Behinderung hoch. In erster Linie muss die Chemie stimmen. Tasächlich kämen die wenigsten behinderten Männer für mich als Partner in Frage. Es ist vielmehr so, dass eine Behinderung einen nach meinem ausgefallenen Geschmack attraktiven Mann für mich attraktiver macht. Auch neben der Behinderung habe ich viele Präferenzen für körperliche Merkmale, die mehr oder weniger erfüllt sein müssen. Für eine langfristige Beziehung muss mir seine Persönlichkeit zusagen, ich muss mich gut mit ihm unterhalten können sowie Interessen und bis zu einem Grad die Weltanschauung teilen.

Bist oder warst du schon in Beziehungen mit behinderten Männern? Entspricht die Realität deinen Erwartungen und Wünschen, die du an den Sex und das Zusammenleben hattest? Wie hat dein Umfeld auf die Beziehung reagiert? Welchen Vorurteilen bist du begegnet? Gibt es Aspekte der Beziehung, die dich stören und die durch die Behinderung verursacht werden?

Ja, bin ich. Komischerweise hatte ich gar keine detaillierten Erwartungen an eine solche Beziehung, aber es gab keine großen Überraschungen. Insgesamt stelle ich immer wieder fest, wie glücklich ich mit ihm bin, aber das liegt bei Weitem nicht nur an seiner Behinderung.

Die Reaktionen aus meinem Umfeld fielen unterschiedlich aus. Wenige waren schockiert, die meisten sagten nichts weiter dazu. Manche bezeichneten mich als bewundernswert, was ich überhaupt nicht mag, denn ich schätze mich sehr glücklich, mit diesem Mann zusammen zu sein, sodass es eher verwunderlich wäre, wenn ich nicht mit ihm zusammen sein wollte. Wüssten sie über meine Neigung, schlüge die Bewunderung womöglich in Verachtung um. Ich wünschte, wir könnten einfach als glückliches Paar angesehen werden, weiter nichts.

Ich habe mitbekommen, dass sich einige Leute fragen, ob wir Sex haben. Oft trauen sie sich aber leider nicht, mich direkt zu fragen. Manche nahmen an, unser Sexleben müsse ziemlichbegrenzt und eintönig sein. Als ich genauer davon erzählte, erschien ihnen ihr eigenes Sexleben auf einmal ziemlich unkreativ und langweilig. Viele scheinen auch völlig unbegründete Berührungsängste und Befürchtungen zu haben, weshalb sie eine Beziehung mit einem behinderten Mann nicht „wagen“ würden. Sie scheinen zu glauben, Behinderung gehe mit Zerbrechlichkeit und Hypersensibilität einher, sodass man den Betreffenden lieber nicht anfassen und ja nichts Falsches zu ihm sagen dürfe. Zum Glück widerlegt mein Freund solche Vorurteile ganz schnell. Und es ist auch entgegen der Annahme mancher Leute nicht „schwer“, mit ihm zusammen zu sein und Dinge zu unternehmen, die andere Paare auch tun. Dass wir gelegentlich etwas improvisieren und mehr planen müssen, macht unsere Beziehung spannend und abwechslungsreich.

Gerade die Vorurteile anderer gegenüber Behinderungen sind einer der wenigen Aspekte, die mich stören. Ich denke leider auch, je mehr der Mann auf Assistenz anderer Menschen angewiesen ist, desto schwieriger ist es für mich, damit zurechtzukommen. Auch wenn die Assistenz nur Anweisungen folgen soll, sind das ja immer noch Menschen mit eigenem Willen, den sie einem unter Umständen aufdrängen wollen. Zudem sind sie nicht unbedingt zuverlässig. Ich bin gerne selbstbestimmt und brauche meine Privatsphäre. Auch manche Freizeitaktivitäten kann ich mit meinem Freund nur unter großem Aufwand oder überhaupt nicht teilen. Hätte man für jede erdenkliche Situation einen speziellen Rollstuhl oder ein Hilfsmittel, ginge das vielleicht, aber diese Hilfsmittel sind viel zu teuer. Gleichzeitig sehe ich diesen Nachteil aber auch als einen Vorteil, da ich gerne plane und nach kreativen, egal wie umständlichen Alternativen suche, wie man der Freizeitbeschäftigung dann doch noch irgendwie nachgehen kann.

Sexabled: Disability Uncensored

In der Diskussion um Behinderung wird Sexualität oftmals nicht einmal erwähnt, es existiert nicht. Es wird angenommen, dass behinderte Menschen und Fähigkeiten fehlt, sexuelle Wünsche und Bedürfnisse zu haben. Sieht man das im Zusammenspiel mit Mythen wie „Männer haben einen größeren sexuellen Trieb als Frauen“ werden Frauen, die Sex initiieren zu „schlechte Frauen“. Welche Chance haben behinderte Frauen, nicht nur ihre sexuellen Wünsche auszudrücken sondern in erster Linie überhaupt als legitim und richtig anzuerkennen?

Bei einer Podiumsdiskussion an der Universität von Kalifornien in Berkeley untersucht diese fünfzehnminütige Dokumentation die Selbstwahrnehmung behinderter Menschen als sexuelle Wesen und ihre Erfahrungen.

„Sexabled: Disability Uncensored“ Ist eine fünfzehnminütige preisgekrönte Dokumentation von Amanda Hoffman, Leslie Kenery, David Knoppel und Dan Novakovich. Diese einfühlsame, aufschlussreiche und lustige Dokumentation beleuchtet, dass behinderte Menschen gleichsam sexuelle Wesen sind.

Tolle Website speziell für Frauen!

Gerne verweisen wir hier auch auf bestehende Projekte, die uns gut gefallen. Dazu gehört unter anderem auch die Seite sexualityanddisability.org. Von und mit Frauen mit Behinderung und mit der Unterstützung zahlreicher Mitautorinnen informiert die Seite Frauen mit Behinderung über unterschiedlichste Themen rund um Sexualität und Behinderung.

Die Prämisse lautet, dass Frauen mit Behinderung genauso sexuelle Wesen sind wie andere Frauen auch. Die Kategorien der Seite reichen von Gesundheitsthemen über sexuelle Praktiken und Vorlieben bis hin zum Thema „Partnerschaft und Beziehung“ und „Kinder kriegen“. Auch heikle aber wichtige Themen wie „Sexuelle Belästigung“ werden nicht ausgespart. Und es gibt eigene Bereiche mit Informationen für Ärzte, für Angehörige und Familien und für Partner.

Alles in allem eine äußerst informative Seite und ein tolles Projekt – schaut doch einfach mal vorbei!

Frag eine Devotine – Teil 1

Über Mancophielie, also die Neigung, behindere Menschen und Behinderung sexuell besonders anziehend zu finden, gibt es genauso viele Mythen und Vorurteile wie gegenüber Behinderung und Sexualität als solches. Das Thema ist zudem mit Ängsten besetzt und Menschen, die diese Neigung offen leben werden oftmals stigmatisiert und diskriminiert.

Wir wollen dem entgegenwirken. Dazu starten wir heute eine neue Reihe: in Interviewform kommen Devotinen, also Frauen, die sich von behinderten Männern angezogen fühlen, zu Wort.

Den Anfang machen wir mit Emily. Der Name ist geändert, da sie anonym bleiben möchte. Ich habe sie auf Paradevo, einem Forum für Devotinen kennen gelernt und sie gefragt, ob sie mitmachen möchte.

Seit wann weißt du von deiner Attraktion? Wie bist du damit umgegangen? Hat sich deine Einstellung dazu geändert, als du herausfandest, dass das Kind einen Namen hat?

Ich hatte die Attraktion, als ich sechs Jahre alt war, bevor ich verstand, was es war. Damals ging ich damit um, indem ich mit meinen Geschwistern Krankenhaus spielte. Das hat sich natürlich mit der Zeit geändert. In der sechsten Klasse wusste ich, dass ich eine Außenseiterin war und dass es mir leichter fiel, Freundschaft mit Gleichaltrigen zu schließen, wenn sie behindert waren, aber ich begriff noch immer nicht, dass dies eine “Sache” war.

Schließlich sah ich das Muster deutlicher. Ich hatte sehr gemischte Gefühle, als ich von Devoteismus erfuhr; es war toll zu wissen, dass ich nicht die Einzige mit diesen Gefühlen war. Zuerst stieß ich nur auf männliche Amelos und erst dann fand ich heraus, dass manche Menschen mit Behinderung in Wahrheit angewidert waren beim Gedanken an Devotees, um nur das Mindeste zu sagen.

Ich kam mir nicht wie ein Widerling oder ein Stalker vor. Nun, nach jahrelanger Kommunikation mit weiblichen Devotees, weiß ich, dass sich mein Devoteismus sehr weit entwickelt hat und sich immer noch weiterentwickelt.

Bist du auf eine bestimmte Behinderung fixiert oder geht es dir nur darum, dass eine Einschränkung vorhanden ist? Oder ist das komplizierter? Spielt der Grad der Behinderung eine Rolle?

Der menschliche Körper ist wundervoll und ich finde an ihm ständig neue Dinge, die mich interessieren – oder erregen 😉

Ich kann sowohl nichtbehinderte als auch behinderte Männer attraktiv finden, aber ich habe ein Bild von einem idealen Körper und bevorzuge Männer mit Muskeldystrophie oder anderen Behinderungen mit gewissem Muskelschwund. Der Grad der Behinderung spielt eine Rolle für mich, aber es ist komplizierter als zu sagen “je schwerer, desto sexier”. Es kommt darauf an, ob man “es” hat, und “es” ist mehr als die Behinderung und wie sie einen beeinflusst.

Hast du anderen Menschen aus deinem Umfeld von deiner Neigung erzählt? Wie haben sie reagiert?

Ich habe ein paar Menschen davon erzählt, und die, dich mich schon lange kannten, waren nicht überrascht.

Glaubst du, du könntest mit einem nichtbehinderten Mann glücklich und sexuell erfüllt sein?

Nicht in einer langfristigen Beziehung, nein. Ich würde mich mit der Zeit langweilen.

Hast du an einen behinderten Mann bei der Partnerwahl niedrigere Erwartungen, weil er ja diese eine Kompatibilitätseigenschaft schon erfüllt? Sind Männer für dich attraktiv, allein durch eine Behinderung oder wenn sie sich in einen Rollstuhl setzen oder müssen da mehr Faktoren zusammenkommen?

In einer früheren Beziehung bin ich definitiv Kompromisse eingegangen und habe Verhalten und Charaktereigenschaften entschuldigt, die ich nicht mochte, weil er körperlich zu mir passte. Das ist eine sehr, sehr schlechte Idee, denn man muss auch abseits des Sex miteinander auskommen. Aber man wird da leicht mitgerissen.

Ein behinderter Typ wird immer meine Aufmerksamkeit bekommen, aber es muss alles passen, und es gibt sehr, sehr viele Faktoren. Eine Behinderung alleine ist nicht genug. Er muss auch intelligent, nett, charmant, albern, unabhängig, mutig und vielleicht ein kleines bisschen nerdig sein! Er muss der richtigen Altersklasse angehören, und es ist auch von Vorteil, wenn er dunkle Haare und lange Wimpern hat 😉

Bist oder warst du schon in Beziehungen mit behinderten Männern? Entspricht die Realität deinen Erwartungen und Wünschen, die du an den Sex und das Zusammenleben hattest? Wie hat dein Umfeld auf die Beziehung reagiert? Welchen Vorurteilen bist du begegnet? Gibt es Aspekte der Beziehung, die dich stören und die durch die Behinderung verursacht werden?

Ich bin mit einem behinderten Mann zusammen, und die meisten meiner vergangenen Beziehungen und Dates über die Jahre waren mit behinderten Männern. Ich glaube, da ich seit meinen frühen Teenagerjahren behinderte Männer date, sind meine Erwartungen ziemlich realistisch geworden, aber man kann sich eigentlich nicht auf das vorbereiten, was einem bevorsteht.

Ich hatte nie erwartet, in einer Beziehung zu sein, in der mein Partner und ich keinen Geschlechtsverkehr haben, aber mit der Zeit haben die gesundheitlichen Probleme meiner Partner zugenommen und unser beider Bedingungen an Sex haben sich verändert.

Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus, manche Leute waren sehr negativ, andere zeigen überhaupt keine Reaktion. Es gab eine Phase in meiner Teenagerzeit, da lautete die erste Frage meine Mama immer, wenn ich ihr erzählte, dass ich jemanden kennen gelernt hatte: “Und welche Behinderung hat er?”, dann verdrehte sie die Augen und seufzte. Aber meine Familie kommt gut mit meinem Partner aus und könnte sich nicht mehr für uns freuen.

Doch da war auch dieser Cousin, der beim Abendessen mit der Familie geradeheraus fragte, ob und wie wir Sex hätten.

Die Vorurteile, die behinderte Menschen im Alltag begegnen, betreffen auch deren Partner.

Eine Beziehung ist harte Arbeit, und manchmal trage ich für vieles Verantwortung, aber ich kann nicht sagen, dass es Dinge gibt, die mich stören. Manchmal wünschte ich, er könnte den Müll hinausbringen, aber wir warten noch, bis der elektrische Türöffner installiert ist ;).

Rezension: „(W)hole“ und „Breath(e)“ von Ruth Madison

Als ich eines Nachmittags bei Amazon das Suchwort „wheelchair“ eingab, traf ich überraschend auf Ruth Madisons „(W)hole“. Mit „(W)hole“ und „Breath(e)“ hat die Autorin zwei aufeinander aufbauende Romane geschrieben, deren Thematik in der Literatur bisher vermutlich einzigartig ist. Die Leseprobe zeigte mir sofort, dass ich dieses Buch haben musste. Noch nie habe ich mich mit einer Protagonistin in diesem Maße identifizieren können. Das Buch war schnell bestellt und innerhalb einer schlaflosen Nacht verschlungen.
Die Protagonistin Elizabeth ist eine scheinbar gewöhnliche, eher zurückhaltende Heranwachsende, die ein großes Geheimnis hütet: Körperliche Behinderungen bei Männern sind für sie sexuell erregend. Trotz ihrer daraus erwachsenen Schuldgefühle und fruchtlosen Unterdrückungsversuche ihrer Sexualität sammelt Elizabeth seit ihrer Kindheit Filme und Bilder, auf denen behinderte Männer zu sehen sind und nutzt diese zur Selbstbefriedigung. Als ihr zweimal hintereinander derselbe attraktive Paraplegiker begegnet, tut sie alles dafür, diesen Mann kennen zu lernen, und geht bald darauf ihre erste Beziehung mit ihm ein. Nach rund 200 Seiten der Dramatik und des Selbsthasses kann Elizabeth ihre sexuelle Neigung endlich ohne Schuldgefühle anerkennen.

Während ich im Gegensatz zu Elizabeth nie von Schuldgefühlen geplagt wurde, stimmen meine Sexualität und meine Fantasien in überwältigendem Umfang mit den ihren überein. Ich beneidete die fiktive Person um ihren Freund. Zwar basiert Elizabeth lose auf Ruth Madison selbst, jedoch ist der Roman keineswegs autobiographischer Natur, sondern entspricht den jugendlichen Wunschträumen der Autorin. Es wäre doch auch zu schön, um wahr zu sein! Wer hat schon besonders viele behinderte Männer in seinem Umfeld, die zusätzlich etwa derselben Altersklasse angehören, für einen attrativ und sympathisch sind und auch noch Interessen mit einem teilen? Die Auswahl an Männern für Frauen wie uns ist gering. Mir war klar, dass ich ihn nur online finden würde.

In „Breath(e)“, der Fortsetzung von „(W)hole“, versucht Elizabeth nach Ende ihrer ersten Beziehung, einen neuen behinderten Mann kennen zu lernen. Beim Online-Dating kann sie leider keinerlei Erfolgserlebnisse verbuchen. Da habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht, aber vielleicht hatte ich nur unverschämtes Glück.

Nackte Tatsachen: keine ist perfekt

Die Themen Schönheit, Körpergefühl, Nacktheit und Sexualität sind eng miteinander verbunden. Auch bei behinderten Menschen ist das so. Der Blog „Rollingplanet“ berichtet über ein Fotoprojekt, das sich den üblichen Schönheitsidealen entgegen stellt. Dabei wurden auch behinderte Frauen fotografiert.

Wenn die Vorlage nicht perfekt genug ist, wird eben mit Photoshop-Retuschen nachgeholfen: Werbung und Medien suggerieren ein Schönheitsbild, das fern jeglicher Wirklichkeit ist und auch bei selbstbewussten Menschen viel Frust auslösen kann – etwa nur fünf Prozent der Frauen entsprechen dem auf kommerziellen Fotos dargestellten Körperideal. Die Aktivistin Jes Baker und die Fotografin Liora K nervt das – sie haben deshalb im Internet eine Bilderserie veröffentlicht, die zeigt, dass jede Frau schön sein kann, egal welchen vermeintlichen Makel sie hat.

Link: http://rollingplanet.net/2014/08/17/nackte-tatsachen-keine-ist-perfekt/

 

„Scarlet Road“ – Eine Sexarbeiterin engagiert sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung

Rachel Wotton, eine Sexarbeiterin aus Australien, die sich unter anderem für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzt, ist eine beeindruckende Frau mit sehr viel Idealismus. Der Film „Scarlet Road“ – den es soweit bekannt bisher leider nur auf Englisch gibt – zeigt Ihr Engagement im Bereich Sexualität und Behinderung.

Sie hat unter anderem die Organisation Touching Base gegründet, die Sexarbeiter_innen und Sexualbegleiter_innen an Menschen mit Behinderung vermittelt. Rachel Wotton ist davon überzeugt, dass Intimität und Berührung für jeden Menschen wichtig ist und sie setzt sich dafür ein, diese Erfahrung nicht zuletzt auch Menschen mit Behinderung zu ermöglichen.

Ein toller und mitreissender Film, und man kann sich nur wünschen, dass Ähnliches auch bald hierzulande möglich sein wird.

Filmprojekt mit Adina Pintilie

Im April wurde ich von einem internationalen Filmteam besucht, das experimentell filmte, um einen dokumentarischen, künstlerischen Kurzfilm über Behinderung, Körperlichkeit, Sexualität und ähnliche Themen zu drehen. Das Team arbeitet prozessorientiert, also müssen wir beim Drehen noch nicht, was am Ende dabei herauskommen wird.

Die Dreharbeiten im April waren auch nur ein erster Auftrag, um Inspiration zu finden. Die Regisseurin Adina hatte ich im Jahr zuvor auf der X-Plore – ein Festival über die Kunst der Lust – kennen gelernt. Sie sagte, sie sei direkt fasziniert von meinem Umgang mit Körperlichkeit gewesen und sah eine Verbindung zwischen uns, denn sie hatte den Eindruck, dass vieles was mit Sexualität zusammenhängt, bei uns beiden im Kopf stattfindet. Sie finden auch viele Informationen auf dieser Website.

Wir nutzten also die gemeinsamen Tage um ausführlich Ideen auszutauschen und  drehten dabei fast kontinuierlich. Im Focus standen dabei zunächst Interviews zu den genannten Themen: wie ich mit meinem Körper umgehe, wie ich Zärtlichkeit empfinde, wie ich Sexualität und Partnerschaft erlebe und vieles mehr. Alle diese Gespräche haben wir aufgezeichnet.

Bei einem gemeinsamen Ausflug mit der Seilbahn diskutierten wir den spirituellen und philosophischen Aspekt von Sexualität: Stellt euch vor, Gott hat einen Körper – wie ist wohl sein Verhältnis zu ihm? Wenn Gott die Kraft ist, die das Universum erschafft, ist dann nicht das Universum sein Körper und sind wir damit nicht alle Teil von ihm? Erleben wir diesen göttlichen Funken in unserem eigenen Körper? Sollten wir ihn nicht als Tempel betrachten und unsere Sexualität und Lust als sinnliches Ritual? In diesem Verständnis spielt Behinderung dann eine sehr positive Rolle: als Ergänzung der Vielfalt von Körperlichkeit.

Am Abend schauten wir gemeinsam den Post-Porn-Film „Häppchenweise“ auf der großen Leinwand mit meinem Beamer und kommentierten dabei den Film und wie es uns beim Anschauen geht.

Zu guter letzt hatten wir noch ein paar künstlerische Ideen, die wir filmisch umsetzten. Aber diese sollten vorerst geheim bleiben 🙂

Insgesamt war es ein sehr schönes Erlebnis und ich freue mich schon auf eine Fortsetzung.

Nun hat Adina zum ersten Mal Zeit gefunden, das ganze Material zu sichten und hat mir Stills der Aufnahmen geschickt. Die besten Bilder möchte ich schon mal mit euch teilen – als Vorgeschmack auf das, was am Ende dabei herauskommen wird.

Mehr hoffentlich bald.

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Fotoprojekt von Robert Coombs: Disabilities and Sexuality

Gerade bin ich wieder über ein Produkt mehr über Behinderung und Sexualität gestolpert. Wahrscheinlich gibt es davon etliche, gerade international und im Internet. Dieses hier finde ich trotzdem ästhetisch sehr ansprechend.

Der Künstler schreibt darüber selbst:

„Da ich selbst behindert bin, wollte ich verschiedene Arten von körperlichen Behinderungen und deren Bezug zum Sexualleben präsentieren. Obwohl wir behindert sind, sind wir immer noch Menschen, und haben sexuelle Bedürfnisse und Wünsche. Dadurch, dass jede Person nackt fotografiert wird, zwingt es den Betrachter, tatsächlich unsere Behinderungen offen azzuschauen und sehen, dass wir in der Tat immer noch ein Mensch sind. Die Porträts sind versehen mit einer Aussage in ihren eigenen Worten, wie es für sie in ihrem Sexualleben mit ihrer Behinderung ist.“

Link: http://www.artprize.org/robert-coombs/2012/disabilities-and-sexuality

Verwandtschaft oder Betreuerin

Wenn deine Freundin mit dir auf einem Festival gefragt wird „Seid ihr verwandt oder betreust Du ihn“, dann weißt Du, dass es mit der ‪Inklusion in den Köpfen noch nicht sehr weit gediehen ist.

Nach der Aufklärung, dass wir zusammen sind, kam die Frage „Wohnt ihr denn auch zusammen?“ Auf unser „Nein“ kam dann „Ja, das wäre auch sicherlich körperlich zu anstrengend für sie“. Ich hätte am liebsten geantwortet „Ja, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste und der ständige Sex wird irgendwann auch anstrengend“.

Leider ist das kein Einzelfall. Den Spruch habe ich schon vor Jahren gehört. Ich erinnere mich noch daran, als wir im Urlaub in der dominikanischen Republik waren und meine damalige Freundin und mein Assistent als Paar gehalten wurden – mit mir als Sohn.

Paare, bei denen einer der Partner behindert ist stehen oft solchen Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber. Von der Familie meiner damaligen Freundin wurde ich niemals als gleichberechtigter Partner akzeptiert. In sieben Jahren Beziehung habe ich ihre Mutter nur ein einziges mal gesehen und ich war immer „der behinderte Freund, der bei ihr wohnt“. Auch das ist kein Einzelfall. Eine Freundin von mir hatte auch eine Beziehung mit einem behinderten Mann und ihre Eltern haben ihr deswegen oft Vorwürfe gemacht – wieso sie sich sowas antue.

Ich will gar nicht damit sagen, dass es immer einfach ist. Ja, es gibt Hürden zu überwinden. Ist man mit einem behinderten Menschen unterwegs, sei es in einer Partnerschaft oder als Freund, so hat man mit den gleichen Barrieren zu kämpfen wie der behinderte Mensch selbst. Das ist anstrengend. Je nach Behinderung sind manchmal Handgriffe und Pflege notwendig, wenn man alleine und intim und insbesondere ohne Assistenz zusammen sein will. Auch das kann eine Herausforderung darstellen. Das will ich alles überhaupt nicht herab spielen. Aber das größte Hindernis ist nicht die Behinderung sondern die Gesellschaft – den Menschen, die oftmals aus Unwissenheit und Vorurteilen heraus Mücken zu Elefanten machen und an ihrem medizinischen, defizitären Weltbild kleben. Es ist für Partnerinnen und Partner manchmal sehr schwierig, sich selbst und die Beziehung gegen die Außenwelt zu behaupten. Aus Angst vor Mobbing, doofen Blicken und Bemerkungen.

Aber was kann man da tun? Die Inklusion in den Köpfen hat viel mit der Inklusion im Alltag zu tun. Die meisten Menschen sind aufgewachsen mit nur höchst seltenem Kontakt zu Gleichaltrigen mit Behinderung: Wir gingen auf andere Schulen, fuhren mit anderen Bussen, trafen uns auch nicht im Sportverein am Nachmittag oder mangels Einanderkennens zum Spielen in der Freizeit. Wir waren in der für Nicht-behinderte sichtbaren Welt einfach kaum existent – und wenn, dann in Gestalt von Spendenaufrufen im Fernsehen, Mitleid strotzend und von einem Verein, der mit seinem Namen „Aktion Sorgenkind“ dieses Bild nur noch verstärkte.

Das gedankliche Konstrukt, das hinter solchen Formulierungen steht ist meines Erachtens auch verknüpft mit Meinungsäußerungen wie „Ich finde es ja so toll, dass Menschen wie du auch hier sind!“ Solche Aussagen höre ich auch gefühlte tausendmal bei so einer Veranstaltung. Mir geht es mehr und mehr auf den Keks, auch wenn es wahrscheinlich durchaus gut gemeint ist. Aber dahinter steht eine Haltung, eine Prägung und die ist alles andere als gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Manchmal finde ich es sogar gut und nett. Nämlich dann, wenn ich einen greifbaren Bezug habe – zum Beispiel, weil ich weiß, dass derjenige, der es sagt, damit ausdrücken will, dass er sich darüber bewusst ist, dass meine Präsenz durchaus gesellschaftliche Relevanz hat und bewusstseinsbildend in Bezug auf Inklusion für ein bestimmtes Thema ist. Aber einfach nur auf einer Party oder einem Festival? Bitte…

Bizarrerweise ist es genau das, was wahrscheinlich am besten wirkt: Da sein, teilnehmen, Präsenz zeigen. Die Beziehung als Vorbild für andere leben und nach außen tragen. So wird das private politisch, ganz in der Tradition der Frauenbewegung und der Politik der ersten Person. Denn behinderte Menschen haben mit ähnlichen Diskriminierungen zu kämpfen. Aber wir müssen uns zeigen und einbringen. Damit es wirklich „toll ist, dass man da ist“.

Dazu benötigt man aber Mut, Stärke und ein dickes Fell. Und eine Gesellschaft mit Vorurteilen und Barrieren in den Köpfen ist für dieses Anliegen bisweilen sehr hinderlich. Der Weg ist weit.