Wenn deine Freundin mit dir auf einem Festival gefragt wird „Seid ihr verwandt oder betreust Du ihn“, dann weißt Du, dass es mit der Inklusion in den Köpfen noch nicht sehr weit gediehen ist.
Nach der Aufklärung, dass wir zusammen sind, kam die Frage „Wohnt ihr denn auch zusammen?“ Auf unser „Nein“ kam dann „Ja, das wäre auch sicherlich körperlich zu anstrengend für sie“. Ich hätte am liebsten geantwortet „Ja, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste und der ständige Sex wird irgendwann auch anstrengend“.
Leider ist das kein Einzelfall. Den Spruch habe ich schon vor Jahren gehört. Ich erinnere mich noch daran, als wir im Urlaub in der dominikanischen Republik waren und meine damalige Freundin und mein Assistent als Paar gehalten wurden – mit mir als Sohn.
Paare, bei denen einer der Partner behindert ist stehen oft solchen Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber. Von der Familie meiner damaligen Freundin wurde ich niemals als gleichberechtigter Partner akzeptiert. In sieben Jahren Beziehung habe ich ihre Mutter nur ein einziges mal gesehen und ich war immer „der behinderte Freund, der bei ihr wohnt“. Auch das ist kein Einzelfall. Eine Freundin von mir hatte auch eine Beziehung mit einem behinderten Mann und ihre Eltern haben ihr deswegen oft Vorwürfe gemacht – wieso sie sich sowas antue.
Ich will gar nicht damit sagen, dass es immer einfach ist. Ja, es gibt Hürden zu überwinden. Ist man mit einem behinderten Menschen unterwegs, sei es in einer Partnerschaft oder als Freund, so hat man mit den gleichen Barrieren zu kämpfen wie der behinderte Mensch selbst. Das ist anstrengend. Je nach Behinderung sind manchmal Handgriffe und Pflege notwendig, wenn man alleine und intim und insbesondere ohne Assistenz zusammen sein will. Auch das kann eine Herausforderung darstellen. Das will ich alles überhaupt nicht herab spielen. Aber das größte Hindernis ist nicht die Behinderung sondern die Gesellschaft – den Menschen, die oftmals aus Unwissenheit und Vorurteilen heraus Mücken zu Elefanten machen und an ihrem medizinischen, defizitären Weltbild kleben. Es ist für Partnerinnen und Partner manchmal sehr schwierig, sich selbst und die Beziehung gegen die Außenwelt zu behaupten. Aus Angst vor Mobbing, doofen Blicken und Bemerkungen.
Aber was kann man da tun? Die Inklusion in den Köpfen hat viel mit der Inklusion im Alltag zu tun. Die meisten Menschen sind aufgewachsen mit nur höchst seltenem Kontakt zu Gleichaltrigen mit Behinderung: Wir gingen auf andere Schulen, fuhren mit anderen Bussen, trafen uns auch nicht im Sportverein am Nachmittag oder mangels Einanderkennens zum Spielen in der Freizeit. Wir waren in der für Nicht-behinderte sichtbaren Welt einfach kaum existent – und wenn, dann in Gestalt von Spendenaufrufen im Fernsehen, Mitleid strotzend und von einem Verein, der mit seinem Namen „Aktion Sorgenkind“ dieses Bild nur noch verstärkte.
Das gedankliche Konstrukt, das hinter solchen Formulierungen steht ist meines Erachtens auch verknüpft mit Meinungsäußerungen wie „Ich finde es ja so toll, dass Menschen wie du auch hier sind!“ Solche Aussagen höre ich auch gefühlte tausendmal bei so einer Veranstaltung. Mir geht es mehr und mehr auf den Keks, auch wenn es wahrscheinlich durchaus gut gemeint ist. Aber dahinter steht eine Haltung, eine Prägung und die ist alles andere als gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Manchmal finde ich es sogar gut und nett. Nämlich dann, wenn ich einen greifbaren Bezug habe – zum Beispiel, weil ich weiß, dass derjenige, der es sagt, damit ausdrücken will, dass er sich darüber bewusst ist, dass meine Präsenz durchaus gesellschaftliche Relevanz hat und bewusstseinsbildend in Bezug auf Inklusion für ein bestimmtes Thema ist. Aber einfach nur auf einer Party oder einem Festival? Bitte…
Bizarrerweise ist es genau das, was wahrscheinlich am besten wirkt: Da sein, teilnehmen, Präsenz zeigen. Die Beziehung als Vorbild für andere leben und nach außen tragen. So wird das private politisch, ganz in der Tradition der Frauenbewegung und der Politik der ersten Person. Denn behinderte Menschen haben mit ähnlichen Diskriminierungen zu kämpfen. Aber wir müssen uns zeigen und einbringen. Damit es wirklich „toll ist, dass man da ist“.
Dazu benötigt man aber Mut, Stärke und ein dickes Fell. Und eine Gesellschaft mit Vorurteilen und Barrieren in den Köpfen ist für dieses Anliegen bisweilen sehr hinderlich. Der Weg ist weit.