Archiv der Kategorie: Partnerschaft und Beziehung

Liebe ist barrierefrei

Valentinstag mit dem „Ambassador of Awesomeness“

Am Wochenende des Valentinstags hatten meine Freundin und ich Besuch von Hannah, einer jungen Frau, die als Bewerbungsaufgabe für die Aufnahme an die Filmhochschule München ein dokumentarisches Essay als Grundlage für ein mögliches Drehbuch zu einem Porträt über mich geschrieben hat. Wir waren gemeinsam unterwegs und hatten zwei spannende Tage, mit tollen Gesprächen und Interviews. Ich denke, das Ergebnis ist auch spitze geworden und ich will es euch nicht vorenthalten 🙂


Text © Hannah Schumacher 2016

14. Februar 2016, vormittags. Der Blumenladen an der Ecke zur Löhrstraße hat gut damit zu tun, Blumen ästhetisch zurechtzuschneiden und in zahlende Hände zu drücken. Junge Paare drängen sich Händchen haltend an großflächigen Werbeplakaten vorbei, auf denen sie sich mit viel Rosa repräsentiert und als Mainstream vermarktet sehen. Als Mitglied der neuheidnischen Szene hält Christian Bayerlein (41) den Valentinstag zwar nicht für eine Verschwörung der Blumenindustrie, nutzt ihn aber lieber, um mit seiner Lebensgefährtin Grit und ihrer gemeinsamen Freundin Elke eine Lichtung ausfindig zu machen, auf der im Frühling in der Nacht auf den ersten Mai mit dem „Rabenclan“ das Beltane-Fest gefeiert werden soll. „Ich war immer der Ansicht, dass Beltane die Hochzeit von Gott und Göttin ist. Und ich hab mich aber belehren lassen, dass das eine sehr eingeschränkte Sichtweise ist, weil das eigentlich nur die Wicca glauben, viele andere Neuheiden haben ein polytheistisches Weltbild mit vielen Göttern und das Ganze auf nur einen Gott und eine Göttin zu reduzieren wäre halt falsch. Trotzdem hat es für mich auch sehr viel Sinnliches als Fest, und das Thema der Liebe, der Vermählung, Verschmelzung steht für mich trotzdem noch im Zentrum – auch in der Hinsicht, dass die komplette Natur da anfängt zu blühen, zu wachsen, zu sprießen und aufzuwachen sozusagen und der Sommer naht mit all seiner Kraft. Es ist für mich ein sehr symbolisches Bild was Liebe und Eros angeht, da es auch in den Menschen, in mir die Gefühle von Zuneigung, von Erotik und Sinnlichkeit wachsen – nicht zuletzt spricht man ja von Frühlingsgefühlen. Und ich glaube das ist im Wonnemonat Mai gerade sehr intensiv. Und auch Feuer ist ein sehr starkes Symbol an Beltane, Feuer spielt für mich eine ganz zentrale Rolle bei dem Fest. Das hat eine sehr starke sinnliche Energie.“

Seine Fußmatte behauptet „There is no place like 127.0.0.1“, dabei ist der studierte Informatiker eigentlich ständig auf Achse und liebt das Reisen über Couchsurfing und AirBnB. Auch seine eigene Couch stellt er für Globetrotter aller Art zur Verfügung, er lernt gerne Leute kennen – für einen sonst typischen Nerd ist er ausgesprochen atypisch sozial. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von der Welt als Kartenprojektion, direkt über der Star Trek-DVD-Sammlung, es gibt fast keinen Kontinent, auf dem er noch nicht war. Nur die Antarktis ist ihm einfach zu kalt. Auch jetzt verlässt er das Haus nicht ohne Decke und Wärmflasche. Wer sich nicht bewegen kann, friert eben sehr leicht, sagt Grit. In der Zimmerecke unter der Weltkarte steht ein Rollstuhl. Gleich geht die Reise in die Eifel los, vorher muss aber noch das übliche Morgenritual absolviert werden. Grit füttert ihn mit Bananenmus, putzt ihm die Zähne, zieht ihm Windel und Strumpfhose an und kämmt seine lange Metalhead-Mähne. Für sie ist Romantik vor allem Wärme, Zärtlichkeit und Vertrautheit. „Das wird auch dadurch, dass ich Christian so viel hin und her bewege noch intensiviert, ich bin jemand, der sehr stark mit dieser Nähe arbeitet und davon viel zieht.“ Wenn sie nicht da ist, beschäftigt Christian Assistentinnen. Er genießt sichtlich das Gefühl der Bürste auf der Kopfhaut. Selbst am Kopf kratzen kann er sich durch seine fortgeschrittene spinale Muskelatrophie nicht, Bewegungsfreiheit bleibt ihm nur im Gesicht und im Geist. Online ist er über sein Smartphone praktisch ständig, die Hälfte seiner Wachzeit bewegt er sich aktiv im Worldwide Web.

Der keltische Knoten, der seine Schulter ziert, ist gleichzeitig der großflächige Heckaufkleber des geräumigen, behindertengerechten Kombis. Was Christian unter die Haut geht, trägt er in die Welt hinaus – so auch seine Identität als Mensch mit einem Liebesleben.

Der ehemalige Behindertenbeauftragte der Stadt Koblenz hat vor einigen Jahren durch doppelten Bruch mit ungeschriebenen Verschwiegenheitsregeln für Furore im Stadtrat gesorgt, die CDU verhinderte seine Wiederwahl, auch wenn alle seine Äußerungen diesbezüglich lediglich im privaten Rahmen getätigt wurden. Sexualität von Behinderten sei eben immer noch ein Tabuthema, sagt er. „Ich gehe offen damit um, und zwar nicht nur Vanilla, sondern auch noch Kink – das war denen wohl ein bisschen zu radikal-progressiv.“, zwinkert er. „Für mich ist es total wichtig – das glaube ich, kann man nur jedem ans Herz legen, dass er sich damit auseinander setzt, was er mag und was nicht. Dass er da eine Offenheit hat und nicht im Bett das macht was alle machen, nur weil es alle machen. Ich finde es viel erfüllender, wenn man experimentiert, wenn man schaut „Was macht mich denn an?“ und wenn man offen dazu stehen kann.“ Durch die SMA ist seine Aussprache etwas undeutlich, die Worte die er wählt sind es nicht.

Seine Freundin fährt die blinkende Rampe an der Seite des Autos aus. „Cool!“, ruft ein vorbeilaufendes Kind. Christian fährt mit seinem Rollstuhl „Quickie“ auf die Einstiegshilfe zu, er navigiert ihn über eine Steuerungsapparatur mit dem Mund. Auch während Grit den Wagen lenkt, übernimmt er die Navigation, er hat gern die Kontrolle. Auf der BDSM-Skala zwischen submissiv und dominant ordnet er sich im eindeutig dominanten Bereich ein. „Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, wie aktiv man ist – offensichtlich kann ich mich nicht bewegen, aber ich glaube, das hat mit Dominanz relativ wenig zu tun, man kann auch mit Worten präsent sein und eine gewisse Präsenz ausstrahlen und auch eine gewisse Macht.“ Die Fahrt ins Mittelgebirge dauert über eine Stunde – für das heidnische Fest der Liebe wird keine Mühe gescheut. Christian glaubt hauptsächlich an die Wissenschaft, das schließt ein gewisses religiöses Brauchtum aber nicht aus, findet er. Er mag Science und Fiction. „Ich bin eigentlich sogar christlich sozialisiert, aber ich selber bin eigentlich eher skeptisch im Sinne von alles zu hinterfragen – und trotzdem bin ich ein Mensch, der fühlt, dass es was gibt, was eine übergeordnete Funktion spielt. Oder was alles durchzieht. Das ist nicht wirklich wissenschaftlich messbar, aber es ist was, das ich in mir spüre und insofern kann ich es auch nicht leugnen. Und zudem, das Heidentum, das ich lebe, bezieht sich in meinem Weltbild auch auf Symboliken, symbolisches Handeln, das dann Auswirkungen auf meine wahrgenommene Realität hat. Das ist dann weniger spirituell, sondern einfach ein pragmatisches, rituelles Handeln, bestimmte Werte einzuüben auch – um eine Gemeinschaft zu bilden zum Beispiel, oder um Solidarität auszudrücken. Oder solche Sachen wie Liebe an Beltane zu unterstreichen, das ist ja nichts Esoterisches, Liebe existiert ja und ist schließlich auch nicht mit Wissenschaft messbar – und trotzdem wird sie mir wohl auch nicht widersprechen, wenn ich behaupte, dass Liebe etwas real Existierendes ist.“ Es fängt an zu regnen, Straßenschilder und dunkler werdende Wolken ziehen vorbei. Die 
Landschaft wird hügeliger und der Kombi biegt in immer unwegsamere, matschige Feldwege ein. „Du hast das Schlachtschiff aber gut im Griff“, sagt Elke zu Grit. „Ach, das ging schnell. Das war eigentlich ie schwer“, meint sie. „Es hat so eine tolle Kamera hinten dran.“ Unter den Regen, der an die Fensterscheiben klatscht, mischen sich immer deutlicher auch Schneeflocken. Schlechte Aussichten für die Planung des Maifestes.

„Ist nicht das Wetter, das man sich für eine solche Expedition wünschen würde“, lacht Elke. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie das Ganze in grün aussieht.“ Dadurch lässt sich das Orga-Team allerdings nicht entmutigen, immer tiefer in den Wald rumpelt das Auto. Rechts und links am Wegrand liegen abgeholzte Baumstämme aufeinander gestapelt, die keine Blätterkrone mehr tragen werden, genormt und lieferfertig, wie die bunten Schnittblumen, die heute überall im Angebot sind. Der Schnee bleibt jetzt liegen. Der Frühling, der gefeiert werden soll, schien nie weiter weg, weit und breit ist keine geeignete Lichtung in Sicht. Kapitän Christian kommandiert weiter zum Vormarsch. Ja, er ist sich sicher. Da und dort schwärmen die beiden Frauen aus, um sich in der Peripherie umzusehen, bisher ohne Erfolg. Am Wegrand hat der Förster ein paar abgebrochene Äste zu einem lodernden Scheiterhaufen aufgetürmt, das sich vom heftigen Schneefall nicht irritieren lässt. Ein Leuchten der Hoffnung. Auch bei Beltane wird wie immer ein Lagerfeuer im Zentrum stehen. „Mit meiner letzten Gruppe haben wir das so gemacht, dass jeder über das Feuer gesprungen ist und sich laut schreiend was gewünscht hat. Mit Christian müssten wir uns da was anderes einfallen lassen.“, überlegt Elke. „Ich bin das Feuer!“, ruft Christian. „Heiß genug bin ich.“ Es soll auch oft zwei Feuer gegeben haben, zwischen denen man herlaufen konnte. „Oder tanzen“, sagt Grit. Nichttänzer Christian weigert sich entschieden. „Du kannst ja mit deinem Joystick tanzen.“, scherzt sie und steckt alle mit dem Lachen an.

Das Pfadfinderheim Ettelscheid, in dem die Übernachtung stattfinden soll, schickt die Truppe noch einen Hügel weiter, da habe man eine Lichtung gepachtet. Doch auch diese liegt im Hang, das Gelände ist hier abschüssig und die Pfade eng und serpentinenreich – ebenerdiger Boden ist im Mittelgebirge rar.

Der holprige Weg hat alle durchgeschüttelt und langsam fühlt Christian sich nicht mehr wohl, er muss sich anders hinsetzen, irgendetwas schneidet ein und tut weh. Die Sicherheit loszuwerden, wird zum Entfesselungsakt. In Beziehungen mag der Angestellte des Bundesarchivs Stabilität, Langfristigkeit und feste Bindungen, solange diese Bindungen nicht zu Zwängen und Fesseln werden. Er hat viel experimentiert, auch in Beziehungen mit mehr als einer Person gelebt. „Ich hab mit Polyamorie Kontakt gehabt im Zeitraum nach meiner ersten Beziehung und hab gemerkt, dass viele monoamore Denkweisen überhaupt nicht mit mir harmonieren, so was wie Besitzdenken oder so was wie „Man kann nur einen lieben“ oder „die Liebe bezieht sich immer nur auf eine Person, die dann hochstilisiert wird“ ist nichts, was ich in mir trage. Und im polyamoren Kontext gibt es sehr viele Ansichten, die mir sehr behagen, zum Beispiel, dass man offen miteinander umgeht und den Austausch pflegt, welche Bedürfnisse man hat. Das ist was, das Polys immer wieder machen müssen, weil ansonsten das ganze System zusammenfallen würde. (…) Viele Polys sagen, sie sind eifersuchtsfrei – das kann ich jetzt nicht von mir behaupten, ich kann durchaus sehr eifersüchtig sein, ich weiß aber auch, dass es bei mir sehr stark mit Verlustangst zusammenhängt. Ich glaube, wenn ich die nicht hätte, dann wär ich auch eifersuchtsfrei, weil, allein die Tatsache, dass ein sexueller Kontakt nach außen besteht, macht mir keine Angst, die besteht bei mir wenn dann darin, dass die Freundin nicht mehr zurückkommt oder ich dann nicht mehr so viel wert bin. Ich hab viele Freunde im polyamoren Kreis, hab in der Zeit auch viele Menschen kennengelernt, die ich sehr wertschätze und von denen ich auch viel gelernt hab. Auch wenn ich jetzt in einer festen Beziehung bin, halte ich die Werte aus dem polyamoren Rahmen immer noch sehr hoch, muss ich sagen.“ Grit hat andere persönliche Erfahrungen gemacht und ein recht negatives Bild vom Miteinander in dieser Art von „Hupfleben“, sie fühlt sich leicht in Konkurrenz mit anderen, sagt sie. Sie befreit ihn aus den Gurten, schnallt ihn erst vom Auto, dann vom Rollstuhl und nimmt ihn in die Arme. Sie duckt sich unter dem Dach des Kombis, ohne recht zu wissen wohin mit ihrem Freund. Das Dirigieren wird zur Mühsal, das Auto ist zwar groß, aber doch sehr eng und ohne klare Anweisungen gibt es ein Chaos. Elke möchte nicht im Weg sein, weiß aber nicht genau, wie sie helfen kann. Der Rollstuhl ist sehr sperrig, vielleicht möchte Christian doch lieber damit nach draußen fahren? Es ist zu wenig Raum zum Atmen, die Stimmung wirkt angespannt bei dem sonst ausgesprochen souveränen Paar. Die Rückbank wird freigeräumt, damit Chris sich hinlegen kann, aber er möchte doch lieber auf den Fahrersitz. Liebevoll legt Grit ihn darauf ab und lockert den Bund der Strumpfhose, dann auch die Windel und lässt ihn ausruhen. Sie bugsiert sich durch die vordere Sitzreihe zu Elke nach hinten. Der Niederschlag lässt langsam nach. Die Verschnaufpause im Auto wird kurzerhand zu Recherchezwecken genutzt, Elke und Grit studieren Tonnen an Büchern zur keltischen Mythologie, der Rabenclan nimmt akademisch fundiertes Wissen sehr ernst. Das übergreifende Thema dieses Jahr sollen Feen sein, vielleicht tanzen sie auch wieder mit Vogelmasken, das haben sie schon einmal gemacht. Grit sitzt entspannt am Boden und liest einen Abschnitt über Kraniche als Symbol der Fruchtbarkeit vor.

„Ihre kultischen Tänze mag man sich als männlichen Initiationsritus vorstellen, die Tänzer vermummt mit Masken des Kranichs, des größten Zugvogels Europas. Seine Ankunft im Frühjahr bedeutete den Beginn des bäuerlichen Jahres – aber auch der Kampfsaison – sein Abflug dessen Ende.“

Christian hat auf Facebook eine eigene Seite als „Ambassador of Awesomeness“ – das ist nicht so leicht zu übersetzen, findet er. „Viele Leute ergeben sich so ein bisschen in ihr…in der Alltäglichkeit. Also geben sich mit Zufriedenheit zufrieden. Mit „Das ist ja ganz nett“ oder mit mediokrem Leben. Und ich mag’s extrem. Diese Mittelmäßigkeit, damit könnte ich nichts anfangen. Ich bin ein Mensch, der… ich glaub, wenn ich laufen könnte, oder wenn ich mich bewegen könnte, dann wär ich mit Sicherheit auch Extremsportler in irgendeiner Art und Weise. Sei es Fallschirmspringen oder Paragliding oder irgendwas. Dahinter steht ja ein gewisser Hang zur Erlebniswelt, zum Erleben von speziellen Situationen und auch wieder ein bisschen der Forschertrieb. Sachen zu entdecken. Ich mag es eben, solche Sachen zu erleben, die eine besondere, exzellente Qualität haben. Und im Deutschen gibt es da kein gutes Wort für. Im Allgemeinen wird „awesome“ mit „geil“ oder „super“ übersetzt, oder so, aber das trifft’s meiner Meinung nach nicht. Es hat so was von „Da steht einem der Mund offen“. Das sind Momente, die ich total mag und gerne die Welt mit durchfluten möchte. Und der Ambassador kommt daher, dass ich das tatsächlich auch in die Welt hinaustrage, es ist ein bisschen ein Spiel damit. Ironisch, mit einem Augenzwinkern – ich bin der Botschafter. Aber ich glaube schon, dass es vielen Leuten gut tun würde, mehr von dieser Qualität in ihr Leben zu holen. Wobei es natürlich auch ein ironisches Spiel mit dem ist, dass viele Menschen den Blick auf behinderte Menschen mit „Inspiration Porn“ werfen. Da gibt es so einen gewissen Narrativ, der erzählt; wenn man behindert ist und irgendwie sein Leben lebt, dass man dann eine Inspiration für andere ist, dass man irgendetwas bewältigt oder schafft oder so. Und das ist natürlich auch ein heimtückischer Narrativ, weil’s wiederum einen ausschließt. Dadurch dass man demjenigen unterstellt, dass er was Besonderes oder was Inspirierendes, ganz Außergewöhnliches macht, holt man ihn aus der Normalität wieder raus. Inklusion – das sollte ja so sein – bedeutet auch, dass jeder Mensch ein normales Leben führen kann. „Ich führ euch was vor, ich bin euer Vorbild“, – damit spielt man, wenn man so einen Titel wie Ambassador nimmt, sozusagen.“

Generell wünscht er sich von den Medien mehr Repräsentation von Behinderten, bei der es nicht um die Behinderung geht. Zur medialen Präsenz von Stephen Hawking ist er zwiegespalten, einerseits findet er es gut, dass seine Arbeit als Wissenschaftler im Fokus steht, aber: „Es gibt eben weit und breit nur ihn – das führt zur Klischeebildung und ich werde immer mit ihm verglichen, obwohl ich eine andere Krankheit habe, ich bin nicht er, ich bin auch nicht so intelligent, ich bin meinetwegen hochintelligent, aber eben nicht so wie er.“ Den Hollywoodfilm über die Beziehung des Ehepaars Hawking fand er allerdings gut, weil er nichts dichterisch beschönigte, um in das Raster des typischen Liebespaares zu passen. Zum Thema Ehe sind Chris und Grit auf der Linie; kann man machen, konkret für seinen Lebensplan gewünscht hat es sich aber keiner von beiden. „Für mich spielt’s jetzt persönlich nicht so eine Rolle,“, erklärt Christian, „weil ich auch außerhalb einer Institution eine Beziehung fest und stabil und in gegenseitiger Verantwortung leben kann. Ich mag glaube ich schon das Ritual, oder die Zeremonie vielmehr, einer Hochzeit, die Vorstellung, dass man das innerhalb einer Zeremonie unterstreicht finde ich total schön, könnte ich mir auch irgendwann vorstellen, aber das muss nichts Staatliches sein. Ich brauch keine Unterschrift von irgendeinem Angestellten von der Stadtverwaltung dafür, der mir bestätigt, dass ich meine Frau liebe. Brauch ich nicht. Das weiß ich, das weiß sie und das reicht.“ Für heute lassen die drei die Lichtung Lichtung sein, für die Hochzeit von Gott und Göttin wird sich schon ein barrierefreier Austragungsort finden.

Am Himmel fliegt, sehr früh dieses Jahr, ein Pfeil aus Zugvögeln, die aus dem Süden nach Hause kommen. Vielleicht sind es Kraniche. Christian ist ein Freigeist, der für alles Neue brennt, Grit, die mit Keramik arbeitet, kennt das Feuer gut, sie erdet ihn, ohne ihn zu beschweren, sie liebt das vulkanische Island und Tibet, wo die Menschen über den Wolken doch ganz mühelos bodenständig bleiben.

Nebeneinander spazieren sie auf Füßen und Rollen über den Waldweg, Krokusse strecken trotzig ihre lilafarbenen Köpfe durch die weiße Decke, ein lebendiger Valentinsgruß an eine gelebte Liebe.

Liebe mit Laufmaschen

Jennifer Sonntag ist blinde Sozialpädagogin, Autorin und Moderatorin der „SonntagsFragen“ im MDR-Fernsehen.Sie beschäftigt sich seit Jahren in meiner Arbeit und meinen Büchern mit der Erotikwahrnehmung blinder Menschen/frauen und bemüht sich, dieses „Doppeltabu“ zu brechen. Jetzt stellt sie ihr neues Projekt vor.

Sie hat mit ihrem sehenden Partner gemeinsam das Literatur- und Kunstprojekt „Liebe mit Laufmaschen“ ins Leben gerufen. Die Laufmasche kann dabei durchaus als verstecktes Symbol für Behinderung verstanden werden, sie stellt aber auch immer eine Inspiration dar, denn das vermeintlich „unperfekte“ macht für uns einen Menschen erst erotisch interessant. In ihrem gleichnamigen Buch, eine Sammlung erotischer Kurzgeschichten, hat jeder Protagonist so eine „Laufmasche“, eine Besonderheit im Leben, einen Fetisch, einen inspirierenden Fehler. Dabei stellen wir in ihrem Buch keine Behinderungen vor, es ist also kein Buch über Behinderungen, aber Jennifer Sonntag meint: „Ich habe eben als Blinde, als Autorin mit kleiner Laufmasche, aus meinem Kopfkino heraus geschrieben und somit eröffnet es wieder eine ganz andere Sichtweise. Ich wünsche mir, dass Frauen mit Behinderung als sinnliche Menschen wahrgenommen werden, die erotisch denken, schreiben, handeln und vielleicht sogar nicht behinderte Leser inspirieren.“

In der „Blind-Galerie“ auf der Seite www.Liebe-mit-Laufmaschen.de finden Sie auch die barrierefreien erotischen Zeichnungen, die Jünnifer Sonntag mit ihrem Partner entwickelt hat. Auch hier möchte sie zeigen, dass „blinde Flächen“ viel Raum für Fantasie bieten und man aus seinem Kopf heraus durchaus auch im erotischen Sinne kreativ werden kann.

Links:

Podiumsdiskussion zu Sexualität und Behinderung in Leipzig – Teil 2

Heute setzen wir nach einer kürzeren Pause die Dokumentation zur Podiumsdiskussion in Leipzig fort. Zum ersten Teil geht es hier.

Weiter geht’s:

Peter:

Es gibt da noch nen Arbeitskreis Sexualpädagogik in Leipzig und wir haben auch in den letzten Jahren Fachtagungen organisiert zum Thema Sexualität in Kitas und das waren ganz, ganz schnell die besorgten Eltern auf dem Plan. Es gibt auch Gegenwehr, das ist richtig, aber wir wollen dort immer wieder dran bleiben. Und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen merken, dass in diesem Bereich sich viel, viel öffnet. Und das finden wir auch toll und arbeiten sehr gerne mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, weil wir erleben, dass die sehr, sehr offen sind. Aber ich geh immer nach Haus mit vielen, vielen Fragen im Kopf wie ist das realisierbar, wie ist das machbar? Es gibt nach wie vor noch viel zu viel Hürden.

Aber ich seh noch eine Frage im Publikum.

Mann aus Publikum:

Ich stelle mir einfach die Frage ob es nicht wichtiger ist, viel klarer zu kommunizieren und auch die Sachen einfach genannt werden? Auch Sexualorgane benannt werden. Behinderte Menschen haben sie, nicht behinderte Menschen haben sie und da gibts inzwischen seh ich auch Kinderbücher schon die sehr klar in der Sprache vermitteln. Und das kenn ich aus meiner Kindheit zB. noch gar nicht. Und da seh ich schon eine Bewegung die in die Richtung geht, das ganze viel offener zu halten. Da bin ich vorsichtig optimistisch, dass sich noch vielleicht was gut wendet, wenn da auch die Sexualaufklärung bisschen mit ansetzt und das vielleicht begleitet.

Ich bin grad in einer ambulanten Einrichtung, die sowohl Behinderte als auch alte Menschen pflegt. Da wurde mir das so präsent, dass das was behinderte Menschen und auch andere Menschen erleben, auch alte Menschen erleben.

Zum Beispiel wird bei einem Pärchen in unserer Einrichtung immer um den heißen Brei herum geredet: natürlich haben sie Sex, aber das wird nicht so ausgesprochen. Es wird gesagt: Ja, er ist wieder bei ihr oben. Oder: sie ist halt wieder bei ihm. Es wird nicht gesagt: die treffen sich und haben Sex. Also niemand gibt es zu. Aber alle Menschen haben dieses Bedürfnis. So wird es aber schwierig, denn gerade Menschen, die es schwierig haben, sich auszudrücken, benötigen eine klare Kommunikation.

Auf jeden Fall find ich es super, dass es Sexualassistenz gibt. Weil da ja auch die Empathie in dem Masse, dann versucht diese Bedürfnisse herauszufinden und sich drauf einzulassen.

Stefanie:

Ich arbeite mehr im Bereich Alte, Pflegebedürftige und Menschen mit dementieller Erkrankung, als mit behinderten Menschen. Aber ich glaube dass der Alten- und Pflegebereich gerade von dem Behinderten-Bereich lernt. Da hat das Thema Sexualassistenz und Sexualität eine viel längere Tradition.

Und da sind auch Menschen viel stärker in die Öffentlichkeit getreten und haben ihre Rechte eingeklagt. Und so langsam, langsam, langsam fängt der Altenpflegebereich an da anzudocken. Und ebenfalls zu verstehen, dass Menschen tatsächlich ein Bedürfnis haben nach Sexualität von der Wiege bis zur Bare haben. Und dass die Begleitumstände keine Rolle spielen. Aber dass ein Leben in der Einrichtung, wie Christian gesagt hat, lusttötend ist: Das muss man sich wirklich vorstellen. Es sind Einrichtungen wo wir zunehmend in Einzelzimmern die standardisiert eingerichtet sind mit nem 80 cm breiten Bett, was höhenzustellbar ist, damit man gut pflegen kann, aber wo weitesgehend keine Privatsphäre ist, wo keine schummrige Atmosphäre geschaffen werden kann, wo morgens um 6 gewaschen wird, egal ob man nun fit ist und aufstehen will, wo es um 7 Uhr Frühstück gibt usw. Es ist völlig alles durchgetacktet. Und da werden wir alle mal hinkommen, wenn wir Pech haben.

Das ist jetzt keine Kritik am Personal solcher großen Organisationen – und der Anspruch lässt sich nicht anders regeln – aber da ist dann auch keine Zeit mehr für Freundschaft, erst recht wenn man dann auch noch krank und pflegebedürftig ist, also wo man auch mal zu anderen hingeführt werden müsste. Da ist keine Atmosphäre, wo Sinnlichkeit, Entwicklung oder Geselligkeit gefördert wird. Wo anfassen und liebevolles Umarmen schon schnell in die Richtung kommt, das ist übergriffig, das ist sexuelle Gewalt,wo insbesondere junges Personal nicht mit umgehen kann. Wenn da ein Herr über den Flur geht und sagt „ich will ficken“, dann denkt das Personal in erster Linie daran, der muss in eine andere Einrichtung, nicht „Was steckt für ein Bedürfnis dahinter?“. Da sind wir tatsächlich nicht geschult, und da glaub ich, sind wir auf dem kleinen Weg, da bin ich ebenfalls kleinbisschen optimistisch, dass sich diese Einrichtungen mehr und mehr anschauen, was in Behinderten-Einrichtungen passiert ist. Da gibt es bereits Sexualpädagogik, da gibt es Personal, was sich mit dem Thema auseinandersetzt und auch wirklich durch wortgewaltige Mitarbeiter und Bewohner damit konfrontiert wird. Immerhin kommt in die Altenpflegeeinrichtungen jetzt so langsam eine Generation, von der wir alle sagen, sie ist sexuell aktiv gewesen und sie hat die sexuelle Revolution miterlebt. Die werden sich nicht ohne weiteres mit du-du-du und „lass dass mal sein“ abschieben lassen…

Christian:

Ich habe vielleicht 2-3 Punkte im Kopf, die angesprochen worden sind und 2 Anekdoten zum Thema Tabuisierung.

Zum einen: man merkt daran, wie sehr das Thema Sexualität allgemein und Sexualität und Behinderung speziell tabuisiert wird und wie sehr es immer noch in die negative Seite gekehrt wird. Peter hat mich daran erinnert, dass ich Behinderten-Beauftragter war, und deswegen nicht mehr im Amt bin, weil ich mich öffentlich zum Thema Sexualität und Behinderung relativ explizit geäussert hab: weil ich das wichtig empfinde, einfach als aufklärerische Arbeit und der Stadtrat in Koblenz fand, dass das zu weit ging. Und genau das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, das so zu machen. Ich bin sehr glücklich mit der Entscheidung, zu sagen „Ok, dann halt nicht, aber das Thema ist mir so wichtig.“

Und zum anderen dann eine persönliche Anekdote: Ich hab mit 25 meine erste Freundin kennen gelernt, mit der ich eine längere Beziehung hatte. Meine Mutter ist eigentlich sehr eng mit mir, sehr, sehr vertraut und kennt mich auch sehr, meinen Körper. Aber bei der Begegnung mit meiner Freundin – wir hatten dann mal Zeit miteinander, alleine und sassen zusammen – fragte meine Mutter meine Freundin, tatsächlich, wie es denn so wäre, mit einem Mann, mit dem sie keinen Sex haben könnte. Dann hat meine Freundin erst mal angefangen zu lachen und meinte1 „Wie meinst Du das, keinen Sex haben? Natürlich haben wir Sex!“ Meine Mutter hat angefangen zu weinen und meinte „Ach, wie schön, ich wusste nicht, dass das geht.“.

Also, ja, so irre ist es teilweise, obwohl man sich so nah ist. Familiär, trotzdem sind die Scheuklappen und die Tabus so gross. Weil da eben viel Unwissen herrscht, und deswegen muss man eben daran arbeiten, dass das Thema normalisiert wird, eben nicht hinter verschlossenen Türen gehalten wird und – es muss einfach in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Dann zur Frage eben, mit der Normalisierung der Sprache, oder ob man nicht lieber explizit reden sollte, und welche Begriffe man da jetzt verwendet: Welche Begriffe würdest Du gern verwenden wollen? Ich glaube, dass es da ein ganz breites Spektrum was man da verwenden kann. Also, z. B. medizinisch korrekt Penis zu sagen. Natürlich ist es so abtörnend, warum sagt man nicht lieber Schwanz? Die Frage ist nicht einfach nur, welche Begriffe wir verwenden, sondern wie wir mit Sexualität generell umgehen?

Peter:

Also, das ist auf jeden Fall richtig. Ich mache manchmal mit Jugendlichen meinen Spass, man sollte hochwissenschaftlich reden, so nach dem Motto „Komm‘, Liebling, lass uns heute vaginal penetrieren“. Da lachen sie alle. Das find’ ich super, und es geht dann als erstes immer darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Also, die Jugendlichen dürfen alle Begriffe verwenden, die dürfen ficken sagen, die dürfen Schwanz sagen, die dürfen Fotze sagen – alles, um dann gemeinsam zu gucken, wie wir sprachlich miteinander arbeiten wollen. Welche Ebene wollen wir finden? Danach schauen wir uns an, wie es ist, wenn zwei sich mögen. Wenn die dort eine andere Sprache haben, die für beide ok ist, ist es super.

Stefanie:

Ich will mal gern auf die Frage antworten. Ich finde, dass jeder für sich Worte finden soll und kann, die ihn dann auch geil machen. Wenn ich jetzt Schwanz sage, dann sage ich Schwanz, wenn ich Penis sage, sage ich Penis. Ich kann Arschficken sagen, ich kann anale Penetration sagen, ich kann AV sagen, wenn ich’s unbedingt abkürzen muss. Ich kann auch sprachliche Vielfalt illustrieren. Ich weiß ja nicht, was er gut findet. Und wenn ich jetzt eben eher Oralverkehr sage oder „Ich möchte deinen Penis mit meinen Lippen liebkosen“, dann kann ich das auch so blumig ausdrücken, dann sag ich auch „Ich möchte dir einen blasen.“.

Peter:

Genau, genau darum geht’s. Aber, Christian, du hast noch was ganz, ganz wichtiges und tolles vorhin gesagt, und zwar das Beispiel mit deiner Mutter, und das war heute auch ein Thema, wie sag ich’s meinen Eltern, dass ich halt ein sexuelles Wesen bin, in einer Gruppe, in der Diakonie, und da haben auch 2 von den Teilnehmern gesagt, ‚hmmm, ich glaube ich traue mich das nicht zu sagen, und da gibt’s viele, viele Hemmnisse. Wir versuchen denen natürlich immer Mut zu machen, das auch zuhause anzusprechen, und werden da auch nicht Müde und da auch nicht nachlassen.

Frau aus Publikum:

Ich hätte noch eine Frage, und zwar an Christian Bayerlein: welche konkreten Forderungen hätten Sie an uns und an die Gesellschaft um die jetzige Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern?

Christian:

Inklusion bedeutet einfach, dass die Lebensentwürfe von behinderten Menschen potentiell genau dieselben sein können, wie die Lebensentwürfe von nichtbehinderten Menschen.

Alsop dass ich die gleichen Möglichkeiten habe, dass ich genauso ins Kino gehen kann, dass ich arbeite, genauso wie jeder andere, oder auch nicht, wenn ich nicht arbeiten möchte. Oder dass ich genauso einfach ne Wohnung in der Stadt oder auf dem Land finden kann, wie jeder andere auch, dass ich einkaufen kann wie jeder andere auch, eben dass ich keine Sonderwelt beziehe, sondern dass ich gleichberechtigt lebe in der Gemeinschaft. Dazu zählt meiner Meinung nach auch Partnerschaft. Wenn alle anderen Punkte abgearbeitet sind, da ist man dann, man kann gleich leben, gleich wohnen, gleich einkaufen, oftmals ist das Thema Partnerschaft und Sexualität trotzdem das, was immer außenvor bleibt. Doch das ist eigentlich die Basis und Essenz vom menschlichen Leben, denn jeder wünscht sich Liebe und Partnerschaft und Sexualität. Für mich wär da alles andere irgendwie ein bisschen sinnlos, wenn eben dieser Bereich nicht wäre. Aber das greift ineinander, denn immer wenn ich ganz normal im Alltag auftauche, kann’s auch zu einer Partnerschaft kommen. Damit ist die Inklusion perfekt. Was man dazu tun kann, ist, einfach die Scheuklappen abnehmen, ein bisschen offener werden, bisschen auf behinderte Menschen zugehen, kreativ sein, keine – oder zumindest weniger – Ängste haben. Das sind ganz schwierige Punkte – für den einen oder anderen erscheint es vielleicht schwierig, aber ich beisse nicht – oder, ich beiss’ nur dann, wenn ich beissen soll.

Peter:

Ja, Offenheit, das ist natürlich was ganz Wichtiges.

Stefanie, wenn die Menschen zu dir kommen, deine Dienste in Anspruch nehmen, ist ihnen das klar, das es nur ne kurze vereinbarte Geschichte ist, erzählen sie dir von ihren Wünschen in der Partnerschaft? Ich glaube schon.

Stefanie:

Dadurch, dass ich fast nur in Einrichtungen gehe, und irgend jemand, wenn es zu mehreren Besuchen kommt, bestimmt, in welchen Abständen ich kommen darf, entwickelt sich mehr als nur eine Geschäftsbeziehung, es entwickelt, es entwickelt Vertrautheit, es entwickelt sich auch…ganz oft die Vorstellung von einer Beziehung, es wir auch viel fantasiert in Richtung einer Beziehung, weil ich oft tatsächlich die einzige Person bin, die außer dem Pflegepersonal kommt. Das ist so, weil die Menschen die ich besuche keinen Kontakt zur Familie haben, weil in den Einrichtungen sich Freundschaften nicht entwickeln, oder weil seit dem Einzug in die Einrichtung Nachbarn und Freunde und Familienangehörige nicht mehr kommen.

Und da verschwimmt bei dem einen oder anderen Kunden und dem Verhältnis zu mir, tatsächlich auch das, was uns verbindet – es wird oft auch nicht mehr thematisiert, dass es Prostitution ist, dass ich dafür bezahlt werde. Sondern es ist dann eher so in die Richtung, ich bin eine Geliebte, wo auch die Wünsche der letzten 4 Wochen oder der letzten 3 Monate übertragen und dann ausgelebt werden.

Das ist problematisch, ja, aber ich sage mir, solange es nichts anderes gibt und ich kann nichts anderes organisieren, ist es mir dann lieber so, als wenn es gar nichts gibt. Und von meiner Seite unterstütze ich nicht die Fantasie, dass es eine Beziehung ist, aber ich werde schon oft in die Richtung angesprochen.
Publikum: Wie ist es wenn man in die Einrichtungen kommt, wer hat denn die größere Angst, das Personal, oder die Leute um die’s geht? Also Angst, ist ein ganz großer Begriff, aber ich denke, die Einrichtungen, die so eine Kooperation eingehen, dass sind ja schon die, die offen sind, die nicht an irgendwelchen…Socken hängen, selbst da ist es schon so verklemmter, in jeden Winkel zu spüren, könnt ich mir vorstellen.

Stefanie:

ja, die Einrichtungen rufen mich oft an, wenn jemand sexuell übergrifflich geworden ist – und dann bin ich so was wie die Erlösung, sprich, man kann auf mich verweisen, man kann sagen, ‚die S. kommt in 2 Wochen, jetzt lässt du mal die Pflegerin in Ruhe und gehst nicht mehr ins Bett von der Bewohnerin’ und es ist tatsächlich auch so, dass wenn ein Mensch eine erfüllte Sexualität hat und weiß, ich bin dafür zuständig, dann kanalisiert sich das auch auf meine Person und die Unruhe oder das, was sonst mit einem passieren kann und das was andere als übergrifflich bezeichnen, fällt tatsächlich weg. Aber es stimmt, Pflegepersonal macht ein ganz grosses Fragezeichen und sagt ‚Gottogottogott, wenn der sich in dich verliebt’.
This is problematic, yes, but tell myself, as long as there is nothing else, and

Ja und?! Welche Alternative gibt’s denn? Soll man denn auf Liebe verzichten?! Doch dann lieber verliebt sein in mich, wo ich alle 4 Wochen komme. Was von Wärme und Zuneigung gegeben ist. Sage ich.

Frau aus Publikum:

Also, ich hab selber 4-5 Jahre in einer Einrichtung gearbeitet mit um die 20-Jahre alten Männern mit Autismus, und ich war immer schockiert darüber, wie der Umgang war. Also, ich war immer ziemlich offen, wär jetzt nie so was eingegangen, weil ich das getrennt habe; ich bin hier Auszubildende und das sind meine Klienten, obwohl das durchaus sehr hübsche Männer waren – aber ich habe halt dann irgendwann in einer Team -Sitzung erwähnt, dass mich jemand angefasst hat und ich halt gesagt hab ‚Nein’, weil ich das wichtig fand, dass es alle wissen. War ein Riesen Aufschrei, ich musste zur Polizei, anzeigen, versuchen, eine forensische Einweisung zu bekommen. Man hat mich wirklich zur Polizei gegängelt. Auf der Wache habe ich begonnen mit „Ich möchte eigentlich gar keine Anzeige erstatten.“ Die Anzeige wurde trotzdem aufgenommen und habe dem Bewohner das auch erzählt und mich dafür bei ihm entschuldigt. Zum Glück hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Aber es hat mich wirklich super aufgeregt, dass mich jemand wirklich zur Polizei gängeln konnte. Dass ich dann auch so angsthandelnd bin und das ganze System so ist, hat mir sehr zu denken gegeben. Für mich sehr interessant zu erfahren, wie dann damit umgegangen wird. Auch wenn sich jemand selbst befriedigt und er oder sie verletzt sich dabei, dann kommt es vor, dass in einer Teamsitzung die Reaktion ist, dann müsse er sich mal richtig wehtun, damit sie die Medikamente hoch setzen können. Solche Reaktionen erleben dann in Teamsitzungen

Ich bin fast vom Stuhl gekippt, aber ich war in der Azubi- Rolle selber sehr untergebuttert und durfte nicht ausrasten. Und mittlerweile darf ich das mindestens, aber dass es das gibt, und Schweigepflicht usw., auch seinen Freunden nicht – aber es ist krass und es ist Alltag.

Christian:

Eine echt krasse Geschichte!

Stefanie:

Gut, dass Sie das ansprechen, weil wir alle darüber überlegen können, was neben uns passiert. Manchmal ist es auch ein Stück weit Normalität, jemanden anzufassen. Und auch wenn jemand an der Brust angefasst wird, muss man doch sehen Kontext sehen und was dahinter steckt – insbesondere, ob es wirklich übergriffig ist. Also, ich denke, wenn mich jemand an der Strasse an der Brust anfassen würde, würde ich dem eine ganz andere Bedeutung beimessen. Aber wenn das in der Einrichtung ist, wo ich weiss, der Herr hat ein ganz starkes sexuelles Bedürfnis und ich weiss, er fährt auf grosse Busen ab, dann sehe ich das als ein Bedürfnis von Nähe und Körperlichkeit, aber würde keine Übergrifflichkeit oder sexuelle Gewalt darin sehen.

Frau aus Publikum:

Alleine das Wort „übergriffig“. Ich meine, jemand, den ich jede zweite Schicht waschen muss, bin ich vielleicht als Pflegepersonal irgendwie nahe gehender, als wenn mich jemand besoffen in der Bushaltestelle oder in der Disko angrapscht. Da sag ich vielleicht, „Komm, hey, verpisst dich“ und dann bin ich fertig damit. Das ist von daher etwas einfacher. Aber das was passiert, ist ja erst mal dasselbe, so eine Kurzschlussreaktion „ich grapsch die mal an“. Warum kann man das dann in einer Einrichtung, wenn es das eine Mal ist, erst einmal es als genau das abtun? Warum muss dann gleich eskaliert werden?

Christian:

Was mir immer wieder auffällt, ist das Sexualität sehr oft als etwas abzuwehrendes dargestellt wird. Also in dem Fall, dass jemand ein sexuelles Bedürfnis hat oder einen sexuellen dreht sich die ganze Diskussion nur darum, wie man man es abstellen kann. Besser wäre doch, dieses Bedürfnis als etwas sehr wertvolles, sehr menschliches zu begreifen, und Wege zu suchen, wie man das erfüllt. Aber das ist allgemein in der Gesellschaft, das es erst negativ dargestellt wird. Ich glaube dass da auch mal die traditionelle katholische Sexualmoral einfach tief in vielen Menschen sitzt und eine ganz grosse Rolle spielt. Das eben da Ängste zum Vorschein kommen, die dann auch gefühlt werden. Ja und viele, viele Menschen sehen da auch immer nur wie sie das abwehren können. Das Thema ist dann immer schnell „sexuelle Gewalt muss verhütet werden“. Das ist natürlich auch sehr wichtig und man muss sexuelle Gewalt verhindern und auch Missbrauch ist eine ganz schlimme Sache. Aber es darf nicht sein, dass das alles andere überschattet.

Peter:

Ich möchte das Thema noch mal aufgreifen, weil wenn ich als Pflegekraft oder als Assistenz eingeteilt bin, und Menschen waschen muss, weil sie’s selber nicht machen können, z.B., und mich sonst niemand anfasst, dass es dann zu sexueller Erregung kommt. Also, ich könnte mir gut vorstellen, ich hätte da immer einen Ständer. Aber wie geht eine Pflegekraft damit um? Wo bekommt sie in irer Ausbildung irgendwas mit darüber? Es sind viele Fragen, nirgends findet was statt. Ein guter Freund von mir der auch jungen Menschen als Assistent begleitet, hat mir erzählt, eine Kollegin habe den nicht mehr gewaschen, weil der immer einen Ständer hat; Da wird unter der Decke gehoben und ein bisschen gesprüht.

Mann aus Publikum:

Zunächst einmal finde ich das unverantwortlich. „Ich sprüh mal so ein bisschen“… Ich kenn das auch, na ja Gott, dann hat er eben einen Ständer, dann kann man momentan halt mal nicy waschen. Ich finde, damit muss man einfach damit leben. Man kann das nicht verhindern, kann ja nicht meine körperliche Reaktion steuern.. Persönlich kenne ich das auch: Ich krieg auch manchmal in bestimmten Situationen eine Errektion und denk so „Hm, ist vielleicht nicht so passend jetzt, na gut, dann bleib ich mal sitzen.“

Peter:

Ja, aber die spannende Frage ist ja dann, wer befriedigt mich? Dann sitz ich ja mit meiner Erregung – und jetzt?

Frau aus Publikum:

Vielleicht ist es einfach mal die Befriedigung, ich eine Erektion haben darf und der andere das sieht und denkt „Ok, das ist jetzt so. Ich wasch erst mal an der anderen Stelle, um ihn nicht weiter zu erregen.“ Ich will ja auch den Menschen pflegen und nicht diese Grenze überschreiten. Oder sollte diese Grenze nicht überschreiten, vielleicht.

Peter:

Na ja, aber wenn ich das nicht selber kann, wer macht das dann? Das ist die Frage. Also, ich bleib dann irgendwo liegen/sitzen mit meiner Erregung und werde immer unzufriedener. Das kann unter Umständen Stress verursachen – für beide Seiten. Und da gibt’s aus meiner Sicht nicht wirklich ne Lösung. Damit will ich’s auch nicht stehen lassen, mit dem Vorwurf. Nicht so zum Abschluss bringen, unsere Diskussion. Vielleicht noch etwas Schönes, was Tolles, was ihr uns mit auf den Nachhauseweg mitgeben möchtet.

Stefanie:

Ich finde solche Veranstaltungen toll. Ich wünsche mir, dass Sie alle nachhause gehen und weiter diskutieren oder die Gelegenheit nutzen, die Idee fortzuentwickeln. Also nicht bei dem stehen bleiben was wir gesagt haben. Da geht noch viel mehr. …und haben sie viel Spass beim Sex.

Christian:

Ja, wir hatten eben herausgefunden, dass es dafür keine einfache Lösung gibt. Aber ich glaube es ist auch ein gutes Credo, einfach zu sagen, manchmal gibt’s keine einfache Lösung. es ist auch gut, dass es nicht ein pauschale Lösung für alle unterschiedlichen Menschen gibt. Denn unterschiedliche Probleme gibt’s,da müssen auch die Lösungen unterschiedlich und vielfältig sein.

Eine Lösung könnte auch sein, dass jeder schaut „Was ist meine Grenze, darf jemand auch mal näher an mich ran? Wo kann ich vielleicht ein Tabu brechen, was gerade gebrochen werden muss?“ Man muss sich nicht immer an gesellschaftliche Normen halten, wenn’s im intimen Bereich, zu zweit, eine individuelle Lösung findet. Wie auch immer die aussehen mag.

Da fordere ich euch alle raus, eure Grenzen auszutesten. Wie weit wollt ihr gehen? Was wollt ihr erleben? Seid offen!

Podiumsdiskussion zu Sexualität und Behinderung in Leipzig – Teil 1

Vor gut einem Monat war ich eingeladen bei der Cinématèque Leipzig, bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Sexualität und Behinderung teilzunehmen. Zur Eröffnung der Veranstaltung wurde der Film „(K)ein besonderes Bedürfnis – a special need“ gezeigt.

Teilhabe am Leben ist ein Grundrecht aller Menschen und schließt auch das Recht auf selbstbestimmte Sexualität und damit die Realisierung der Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit, Liebe, Sex und gelebter Partnerschaft ein – unabhängig von geistiger bzw. körperlicher Benachteiligung.
Der Dokumentarfilm „(K)ein besonderes Bedürfnis“ geht der Frage nach, ob Sex ein lebbarer Bestandteil der Inklusion ist. Der 29jährige Enea ist Autist*in, lebt in einem Heim und möchte endlich einmal Sex mit einer Frau haben. Seine besten Freund*innen Carlos und Alex begeben sich mit ihm auf eine abenteuerliche Reise durch halb Europa, um ihm seinen Traum zu erfüllen. Was als Expedition startet, an deren Ende der Abschied von Eneas „Jungfräulichkeit“ stehen sollte, entwickelt sich zu einer Reise in seine intimste Gefühlswelt und bringt die drei Freunde dazu, ihre (zunächst einseitigen und homophoben) Ansichten von Liebe, Freundschaft und Freiheit zu überdenken.
Der Film thematisiert vordergründig die sexuelle Assistenz als eine Möglichkeit, Nähe, Zärtlichkeit und Sex zu erleben, am Ende jedoch bleibt der Wunsch nach selbstbestimmter und gelebter Sexualität in einer Liebesbeziehung.

Im Anschluss gab es Podiumsdiskussion mit Stephanie Klee (diplomierte Sozialarbeiter*in, Verwaltungswirt*in und Sexarbeiter*in mit dem Schwerpunkt Sexualassistenz) und mir. Moderator war Peter Thürer, Sozialarbeiter*in und Sexualpädagog*in der AIDS-Hilfe Leipzig e.V.

Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Mythos Freiheit: Körper“, in der sich kritisch mit dem Freiheitsbegriff in verschiedenen Kontexten auseinandergesetzt wurde.

Die Diskussion veröffentlichen ist hier als redaktionell überarbeitete, textliche Form in mehreren Teilen. Kommen wir also zum Teil 1:

Peter:

Herzlich willkommen zu unserer Podiumsdiskussion zu unserem Thema Sexualität und Behinderung. Mein Name ist Peter Thürer. Ich bin angestellt hier in Leipzig bei der Aids Hilfe als Sozialarbeiter und von Beruf Sexualpädagoge. Und neben den vielen typischen Dingen die ein Sozialarbeiter halt bei der Aids Hilfe macht – wir klären auf über HIV und andere sexuelle übertragbare Infektionen – arbeite ich auch sexualpädagogisch in Schulen und das hauptsächlich mit männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen an ganz verschiedenen schulischen Einrichtungen. Und auch im Förderschulbereich und Lebesshilfe oder Diakonie in diversen Werkstätten, was meinen Bezug zu dem Thema darstellt.

Aber ich hab ganz interessante Expertinnen hier an meiner Seite die meine und eure Antworten sicherlich gut beantworten können.
Zum einen, zu meiner linken Seite Stefanie Klee. Stefanie kommt aus Berlin und ist Sozialarbeiterin und Sexarbeiterin mit dem Schwerpunkt Sexualassistenz. Sie ist gründete Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen und setzt sich für die natürlichen Rechte von Prostituierten ein. Außerdem macht sie unter anderem unter dem Dach der Deutschen Aidshilfe Fortbildungsveranstaltungen für Prostituierte.

Zu meiner rechten Seite: Christian Bayerlein. Er kommt aus Koblenz, ist freier Software und Webentwickler aber betreibt beispielsweise den Blog Kissability und auch viele Jahre war er eherenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt Koblenz. Christian setzt sich mit seinem Engagement und mit seinem selbstbestimmten Ausleben seiner Sexualität besonders da für Rechte von Behinderten ein.

Beginnen möchte ich damit nochmal auf den Film einzugehn den wir grade gesehn haben. Und in Bezug zu dem: was denkt ihr beide denn von der ganzen Story? Was haltet ihr davon? Ist es realistisch? Was gabs da an Highlights und besonderen Kritikpunkten?

Christian:

Ich fand den Film sehr nett gemacht. Es war eine schöne Anekdote, eine Beschreibung eines Erlebnisses eines behinderten Menschen.natürlich konnte dabei nicht die komplette Vielfalt des Themas Sexualität und Behinderung beleuchtet werden.aber er war doch sehr beeindruckend – etwas, was ich besonders spannend fand, wardie Geschichte und um die Freundschaft der 3 Männer die im Film erzählt wurde.Freundschaft stellt eben auch Inklusion da. im Film wird gezeigt, dass die Reise für alle Beteiligten viel gebracht hat: nicht nur für den Behinderten Protagonisten, sondern auch für seine beiden Freunde. Aufgefallen sind mir natürlich auch die Szenen in Trebel, weil ich auch schon mal da war. ich kenne die Situation dort also auch, wobei ich bei einem Workshop für Körperbehinderte teilgenommen habe und empfehlen ging es um ein Wochenende für geistig behinderte Menschen. ich finde die Herangehensweise in Trebel teilweise sehr gut, teilweise habe ich aber auch meine Kritik.

Stefanie:

Mir hat der Film gut gefallen, weil er so offen Sexualität gezeigt hat. Ich glaube, das ist ein italienisches Spezifikum, wo die Kultur über Sexualität freier spricht und das haben auch die Freunde untereinander getan. es ist natürlich auch für mich ein Einzelbeispiel. Die beiden Freunde haben dem behinderten Enea verschiedene Möglichkeiten geboten, sexuelle Erfahrungen zu machen,als sie mit ihm zum Straßenstrich gefahren sind – noch in Italien – dann in ein Bordell nach Österreich und schließlich ins ISBB nach Trebel. das ist für mich schon sehr natürlicher Umgang, jemanden sein Wunsch zu erfüllen, egal wo dieser Wunsch denn hingeht. Ich war ganz beglückt, dass ich meine italienischen Freun Pia im Film gesehen habe, die die 3 Freunde beraten hat. Das fand ich ganz entzückend. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass es mehr möglich wird – und ich glaube, das ist wirklich eine Ausnahme, dass es Freundschaften gibt, wo so offen auch über Sexualität gesprochen wird, egal wohin die Sexualität geht.

Peter:

Ich möchte eigentlich ein großes Fragezeichen denn da machen,was an dem „speziellen Bedürfnis“/“special need“ denn so speziell ist. Das Bedürfnis nach Sexualität haben die meisten, wie viele Bedürfnisse auch. es gibt das Bedürfnis nach Essen, schlafen, Trinken und natürlich auch nach Sexualität. ich habe den Film jetzt zum 3. Mal gesehen und mir fallen immer wieder neue Aspekte auf. Ein Aspekt ist Sexualbegleitung. Deswegen die Frage an Stephanie: aktive/passive Sexualbegleitung, Prostitution – gibt es da Unterschiede? Wie siehst du das?

Stefanie:

Eigentlich bin ich gegen den Begriff der Sexualassistenz. Es ist ein Begriff, den ich zwar übernommen habe, aber nur weil er in der Gesellschaft besser aufgenommen wird, positiver bewertet wird und ich darüber auch mein Geld als Prostituierte verdiene. Ich verstehe mich als Prostituierte beziehungsweise als Sexarbeiterin und so arbeite ich auchin Einrichtungen und im Bereich, wo Menschen zum Beispiel behindert oder alt sind. Es geht um pure Sexualität und diese ist ganz vielfältig. Da haben behinderte Menschen auch gar keine anderen Wünsche, andere Vorstellungen. Ich glaube, wir sprechen von Sexualassistenz, weil die Menschen drumherum, also Angehörige, Freunde aber auch Mitarbeiter in Einrichtungen dadurch einfacher mit dem Thema umgehen. auf der anderen Seite sagt Sexualassistenz, man hilft, man ist förderlich und unterstützend und so sehe ich mich auch in meiner Arbeit. wenn ich meinen Kunden etwas Gutes tue, wir uns gemeinsam amüsieren,benötigen sie in der Regelhilfe, weil sie selber nicht ohne weiteres dazu in der Lage wären. Üblicherweise brauchen diese Menschen sogar Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit mir – mich im Internet zu finden, sich über meine Arbeitsbedingungen zu informieren, mich anzurufen und letzten Endes mit mir darüber zu sprechen, was bei dem gemeinsamen Termin passieren soll. das verlangt vom Umfeld teilweise relativ viel Unterstützung. Hier arbeite ich für die Rechte behinderter Menschen. Während der Begegnung ist es meine Aufgabe, nicht nur Sexualität in ihrer Vielfalt zu bieten, sondern auch ein Stück weit feinfühlig und sensibel für die Bedürfnisse des Kunden zu seinund herauszufinden, was gewünscht wird. Im Bordell – ich sage es mal so platt – da heißt es „lecken, ficken, blasen“ oder es gibt unterschiedliche sexuelle Stellungen oder Rollenspiele – oder, oder, oder… aber das ist in meinem beruflichen Kontext nicht so klar. Bei der Frage, wie komme ich zum Ausdruck, muss ich vieles ausprobieren und einfach gucken, wie es denn ankommt.

Peter:

O.k., recht vielen Dank. Christian, welche Erwartungen hättest du denn an Sexualbegleitung? Du bist ja auf Assistenz angewiesen. Welche Wünsche hättest du denn an Sexualbegleitung beziehungsweise an sexuelle Assistenz?

Christian:

Für mich steht das Thema Sexualbegleitung im Moment nicht so eine große Rolle, weil ich an einer Beziehung bin, aber in der Zeit in der ich solo war, habe ich vieles ausprobiert – von Sexualbegleitung bis Prostitution. Ich habe also schon alle Erfahrungen sammeln können. Für mich persönlich hat sich immer mehr herausgestellt, dass ich eigentlich das ganz Normale will- eine Normalisierung von Sexualität wie sie jeder andere auch will. Und wenn das „nur“ das Ausleben des Triebes sein soll – „lecken, ficken, blasen“ wie Du eben so schön gesagt hast – dann soll es eben genau das sein. Leider ist es aber so, dass man in Bordellen auf mit Diskriminierung konfrontiert wird und mit Ablehnung rechnen muss – meistens aus Unkenntnis und Unsicherheit. auf der anderen Seite kann Sexualbegleitung manchmal auch zu sehr in die Richtung „Heititeiti-Sexualität“ gehen. Es gibt Sexualbegleiterinnen, die wollen ein streicheln und liebkosen, vögeln ist aber auch schon wieder Tabu. Das ist aber nichts für mich. Wenn jemand genau das braucht uns sucht, zum Beispiel wenn man ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit hat, dann kann es gut sein. Eine Zeit lang war es das für mich auch. Ich brauchte die Sicherheit, dass es auch wirklich funktioniert und dass ich eben nicht auf Ablehnung stoße. Letzten Endes war mir dieses Setting aber zu „sanft“ und ich habe gemerkt, dass ich nicht zur Zielgruppe für Sexualbegleitung gehöre. Bezogen auf Trebel sehe ich das ähnlich. Das kann für viele Leute oder für eine gewisse Zeit sehr gut sein und immerhin wird dort ja auch mit Empowerment gearbeitet. Auf der anderen Seite sehe ich, dass auch dort wieder eine Sonderwelt aufgebaut wird. Für meinen Geschmack gibt es aber schon genug Segregation. Behinderte Menschen leben oft im Heim, gehen in die Behindertenwerkstatt etc. – jetzt auch noch etwas spezielles für Behinderte in Sachen Sexualität? Bei aller Berechtigung, diese Kritik muss sein.

Peter:

Das finde ich auch so. Sonderwelten sind immer schlecht. Es ist aber auch manchmal schwierig, so selbstbewusst und selbstbestimmt seine Rechte einzufordern. Es gibt dabei auch immer wieder Hindernisse und Hemmnisse.

Stefanie:

Ich kann noch an dich anschließen, Christian. Stichwort Normalität. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass es in jeder Stadt ein Bordell gibt, dass selbstverständlich alle möglichen Gäste empfängt. Auch das wäre ein Stück Normalität. Dafür müsst ihr auch noch viel kämpfen. leider ist das noch sehr wenig. Aber auch Sexualassistenz nicht sehr weit verbreitet. Es gibt vielleicht 15 Sexualassistentinnen in Deutschland. Ich kenne keinen einzigen Mann. Umgekehrt möchte ich aber auch eine Lanze brechen: es gibt sehr viele Sexarbeiterinnen und auch Bordelle, die demgegenüber aufgeschlossen sind, die auch gerne Sex mit diesem Kundenkreis machen.Oftmals fehlt es zwar noch ein Information, aber wahrscheinlich hast du es auch so gemacht, dass du am Telefon schon über deine Bedürfnisse gesprochen hast – welche Art von Achtsamkeit man dir gegenüber bringen muss und welche Art von Normalität Du möchtest. Ich würde sagen, unsere Branche ist lernfähig.

Christian:

Ja gut, ich habe es da von meiner Position vielleicht ein bisschen einfacher, weil ich sehr klar bin und weiß und auch formulieren kann, was ich mir wünsche. Was die Normalität angeht, so hängt das natürlich auch ein bisschen an den Darstellungen in den Medien. Heute Abend hatten wir bis jetzt hauptsächlich das Thema Sexualassistenz und auch in den Medien ist das sehr beliebt momentan. Es ist aber nur ein Ausschnitt aus der Thematik Sexualität und Behinderung. Für mich ist es auch nur eine Brückentechnologie, denn Ziel sollte es natürlich sein, dass behinderte Menschen ganz normal und selbstverständlich Sexualität haben wieder andere auch. Nicht behinderte Menschen haben ganz viele Möglichkeiten, ihre Sexualität zu leben und zu gestalten – sei es in einer Beziehung oder im Puff oder was auch immer – und behinderten Menschen sollten die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Dafür ist Inklusion und das Auftauchen in der normalen Gesellschaft notwendig.

Peter:

Wo klemmt es denn? Wo sind die meisten Hindernisse, die an selbstbestimmter Sexualität hindern?

Christian:

Zum einen wären wir dann wieder beim Thema Sonderwelten. Viele behinderte Menschen leben in Einrichtungen. Und Einrichtungen sind Liebestöter. wenn ich in einer Einrichtung lebe, womöglich in einem Zweibettzimmer oder Möglichkeit zur Intimität oder Rückzug, dann verhindert das ganz oft alleine durch die Rahmenbedingungen Sexualität. Aber auch außerhalb von Einrichtungen ist es so, dass das Bild von Behinderung durch althergebrachte Klischees geprägt, durch eine medizinische, mit Defiziten assoziierte Brille. Behinderung wird automatisch geknüpft an Leid und Umstand. Das schreckt natürlich auch ab, sich damit zu beschäftigen. Eine Beziehung einzugehen erfordert aber nun mal, dass die Menschen sich zunächst einmal nähern und sich Freundschaften entwickeln. Hier gibt es die Hemmschuhe schon weit vorher, dass man sich überhaupt begegnen kann. Außerdem haben behinderte Menschen manchmal ein schlechteres Selbstbewusstsein. Die Wahrnehmung oder Erwartung, sowieso keine „abzubekommen“, ist weit verbreitet. Das hat mich im Film übrigens auch wahnsinnig gestört – dieser Satz von Lothar Sandfort, dass der behinderte Protagonist ja nicht zu hohe Ansprüche und Erwartungen haben soll. So eine Frau hätte so viele Angebote, und warum sollte gerade er denn eine solche Frau bekommen? Das ist alles andere als Empowerment. Jemand, der sowieso wenig Erfahrung in Sexualität und wenig Selbstbewusstsein hat, wird damit doch noch mehr geschwächt.

Peter:

Ich erlebe das auch in Leipzig, das sich hier sehr viel entwickelt, aber auch noch sehr viel zu tun ist, damit behinderte Menschen ganz normal im Stadtbild auftauchen, ins Kino etc. gehen können oder Menschen alltäglich bei der Arbeit oder im Alltag kennen lernen können.Stefanie, was äußern denn Menschen mit Behinderungen, die zu dir kommen – wir haben sie den Weg zu dir geschafft?

Stefanie:

Das ist genau das, was ich mir auch wünsche: dass behinderte Menschen selbstständiger sind und auch in einem Umfeld leben, in dem sie als selbstständige Wesen wahrgenommen werden. was ich aber im Moment erleben, ist, dass insbesondere Angehörige eher moralisch zum Thema Sexualität stehen,und sich Eltern zum Beispiel schwer damit tun, ihre Kinder erwachsen werden zu lassen und ihre eigenen Erfahrungen erleben zu lassen. Die Gesellschaft macht das auch nicht leicht. Sexualität ist ein großes Tabuthema.wir lernen weder in der Schule, noch im Alltag, offen darüber zu sprechen. Wenn ich schon sagen „lecken, ficken, blasen“, sehe ich große Münder und sehen es als Gossensprache. Das zeigt mir, es fehlen uns die Worte,damit neutral umzugehen und uns fehlt auch eine gewisse Offenheit. Ich erlebe bei Mitarbeitern in Einrichtungen, aber auch bei älteren eine große Zurückhaltung aber auch eine große Unwissenheit, dass ihre Kinder Sexualität haben können. Zudem müssen wir uns vor Augen halten, dass die Zeiten, wo der Sexualtrieb mit Medikamenten unterdrückt wurde, auch noch nicht so lange her ist. Beziehungsweise mache ich ein Fragezeichen daran, ob das nicht auch heute noch das eine oder andere Mal geschieht, dass andere über den Sexualtrieb entscheiden und ihn unterdrücken. Da wird oftmals nicht gefragt „was spürst du denn?“, „was ist denn mit warm und kalt? Was empfindest du gegenüber der Person? Hast du Schmetterlinge im Bauch?“ Oftmals fehlen uns die Begriffe und wir sollten kreativer mit dem Thema umgehen, oder davor Angst zu haben, dass man in einer Ecke gestellt wird, man würde übergriffig. Wenn man sagt „ich finde dich sympathisch – ich könnte mir vorstellen, mit dir Sex zu haben“- dann muss das ja nicht schlimm sein.es muss auch kein Übergriff sein. Ich glaube, das hat etwas mit unserer Gesellschaft zu tunund meine Wahrnehmung ist, dass wir eher noch einen Rollback haben, dass es noch sexualfeindlicher wird.es werden zwar im Moment viele Filme gezeigt mit dem ThemaBehinderung und Sexualität, was einen aufklärerischen Charakter hat – aber die Bestrebungen in der Gesellschaft, Sexualität aus dem Befreienden, Emanzipatorischen, Spielerischen herauszunehmen, finde ich tragisch. Das ist nicht nur in meinem Bereich als Sexarbeiterinnen so – sie wissen sicherlich, dass es Bestrebungen gibt, Prostitution zu verbieten – aber auch in Schulen, wenn es um Aufklärung und um Schwangerschaftsabbruch geht, ist die Entwicklung sehr bedenklich. Ich glaube trotzdem, man muss daran halten und man muss sich austauschen. Solche Veranstaltungen wie hier sind sehr wichtig – diskutieren und austauschen und… Scheiß drauf, was die Gesellschaft sagt.

SPON: „Sexualität von Behinderten: Doras Erwachen“

Spiegel Online berichtet über den Film „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“.

Im Film geht es um die 18-jährige Dora, die von Victoria Schulz gespielt wird. Dora ist ein lebenslustiges, aufgewecktes, geistig behindertes Mädchen. Seit ihre Mutter Kristin (Jenny Schily) hinter dem Rücken von Doras Vater Felix (Urs Jucker) beschlossen hat, die Medikamente abzusetzen, die die junge Frau ruhiggestellt haben, blüht Dora richtig auf, vor allem ihre Sexualität hat sie neuerdings entdeckt. Als sie den zwielichtigen Peter (Lars Eidinger) auf einem Markt erblickt, gefällt dieser ihr auf Anhieb und es dauert nicht lange, bis die beiden miteinander schlafen – ganz zum Missfallen der Mutter, die ohnehin frustriert ist, weil ihr Wunsch nach einem weiteren Kind bisher nicht erfüllt wurde. Doch Dora trifft sich trotz eines Kontaktverbots weiterhin mit Peter. Schon bald wird sie ungeplant schwanger und als ihre Eltern von der Schwangerschaft erfahren, droht die Familie zu zerbrechen…

Eva Thöne, die Autorin bei Spiegel Online schreibt in Rezension: „Vergewaltigung oder einvernehmlicher Geschlechtsakt? Das Erotikdrama ‚Dora‘ über eine geistig Behinderte, die ihre Sexualität entdeckt, hinterfragt klug unsere Vorstellungen von Selbstbestimmung.“ Weiter lobt sie: „Die moralische Sprachlosigkeit in dieser Sequenz steht beispielhaft für alles, was der großartige Film „Dora“ ist. Regisseurin Stina Werenfels, die ein Theaterstück von Lukas Bärfuss verfilmt hat, wirft 90 Minuten lang die Fragen auf, wann Selbstbestimmung anfängt, wem sie gestattet wird und was die Folgen sind, wenn jemand sie so konsequent beansprucht wie Dora.“

Link zum Artikel bei SPON: „Sexualität von Behinderten: Doras Erwachen“

Was sollte ich beim Date mit einer Rollstuhlfahrerin vermeiden?

Tipps für das erste Date mit einer Rollstuhlfahrerin“ ist nur eins von vielen Themen, über die Anastasia Umrik in Ihrem Blog schreibt. Viele kennen Sie sicher schon von einem ihrer zahlreichen Projekte wie z.B. anderStark oder inkluWAS. Wer sie noch nicht kennt, sollte das schleunigst nachholen – schaut doch einfach mal vorbei, zum Beispiel auf ihrem Blog anastasia-umrik.de .

Inklusion, Fashion, Lifestyle und Reisen sind einige der Themen die im Blog behandelt werden. Und ganz aktuell geht es eben um Tipps, was man beim Date mit einer Rollstuhlfahrerin vermeiden sollte. „Wie machst Du Sex?“ ist dabei nur eine von vielen Fragen, die vielleicht erstmal nicht den Einstieg bilden sollten. Neugierig auf mehr? Dann schaut doch mal nach, was Anastasia so zu berichten hat und surft auf ihren Blog – witzige und pointierte Beobachtungen sind Euch sicher!

 

 

 

Kurzfilm „Nimm mich“ auf ARTE

In der Sendung KurzSchluss von ARTE, in der internationale Kurzfilme gezeigt werden, geht es diese Woche um Menschen mit ‪‎Behinderung‬. Ab heute seht ihr den kanadischen Kurzfilm „Nimm mich“ von Anaïs Barbeau-Lavalette und André Turpin.

Seit kurzer Zeit arbeitet Mani als Pfleger in einem Behindertenheim. Dort kümmert er sich um die Bedürfnisse der Bewohner wie etwa die tägliche Körperpflege. Es gehört aber auch zu seinen Aufgaben, die Bewohner im sogenannten „Intimitätszimmer“ zu betreuen, in dem sie Sex haben können. Die Situation und die ihm auferlegten Aufgaben sind ihm mehr als unangenehm, und er bittet um ein Gespräch mit seiner Vorgesetzten…

Während ihrer Recherchen zu einem anderen Filmprojekt stießen die Filmemacher Anaïs Barbeau-Lavalette und André Turpin auf das Pilotprojekt einer Langzeit-Betreuungseinrichtung für Behinderte. Im sogenannten „Intimitätszimmer“ können die Bewohner in einem betreuten Rahmen Sex haben – was ihnen in anderen Einrichtungen oft verwehrt wird.

Der Trailer zum Kurzfilm mutet etwas seltsam an. Gerade der Pfleger in seinem OP-Outfit wirkt für mich sehr steril, auch das ganze Ambiente macht auf mich leider einen etwas kalten Eindruck. Allerdings gibt es nach ersten Augenschein auch sehr erotische Szenen und die beiden Protagonisten sind offenbar tatsächlich behindert. Darüber hinaus ist es allein schon deshalb interessant, weil der Kurzfilm auf einem realen Pilotprojekt basieren. Ich bin auf jeden Fall gespannt.

Link zur Sendung auf ARTE: „Nimm mich“ von Anaïs Barbeau-Lavalette und André Turpin

UPDATË: Inzwischen habe ich den Kurzfilm gesehen und der erste Eindruck aus dem Trailer hat sich bestätigt. Die erotischen Szenen mit den beiden tatsächlich behinderten Protagonisten waren sehr authentisch, Setting und Ambiente aber steril, deprimierend und krankenhausartig – was durchaus gewollt sein kann und auch leider oftmals die Realität in Heimen entspricht. Der Zwiespalt, in dem der Pfleger stärkste wurde auch sehr realistisch rüber gebracht.Was ich nicht ganz schlüssig fand, war, warum die beiden Protagonisten überhaupt Heimbewohner waren. Immerhin schienen sie doch auch in der Lage, ihr Leben mittels persönlicher Assistent selbstbestimmt zu führen. In einer eigenen Wohnung wäre sicherlich auch kein Intimitätszimmer notwendig.

http://www.youtube.com/watch?v=t0cL2vckZn0

Brigitte.de: „Ist sie deine Krankenschwester?“ „Nein, meine Freundin.“

Shane und Anna sind glücklich verliebt, aber keiner glaubt’s. Schön, dass Brigitte diesen Artikel bringt, auch die tollen Fotos.

Shane Burcaw leidet an Muskelschwund und sitzt im Rollstuhl. Wenn er mit der blonden Anna Reinalda unterwegs ist, hagelt es Kommentare.

An der Wortwahl muss Brigitte vielleicht noch etwas arbeiten, aber inhaltlich ist der Artikel sehr schön geworden und wir begrüßen die Aufnahme eines weiteren Artikels zum Thema Sexualität und Behinderung im Magazin sehr. Vor einigen Monaten hatte Brigitte schon über das Leben und die Arbeit einer Sexualbegleiterin berichtet.

Link zum vollständigen Artikel über Shane und Anna

 

Interview in der TAZ: „Ich habe kein Problem damit, als Fetisch betrachtet zu werden“

Anfang dieses Jahres hat mich Manuela Heims, eine mir bekannte Redakteurin  gefragt, ob ich bereit zu einem Interview sei, das über Sexualität und Behinderung berichten soll. Im Mai  haben wir uns daran getroffen und am Wochenende war es  soweit: das Interview erschien  in der TAZ-Wochenendausgabe.

Christian Bayerlein hat spinale Muskelatrophie, braucht rund um die Uhr Hilfe, nennt sich Nerd, liebt „Star Trek“, reist gern und erforscht die Spielarten des Sex. Monogamie, Polyamorie, BDSM – er ist offen

Link zum Beitrag:  http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ln&dig=2014%2F10%2F18%2Fa0012&cHash=3357e12a31a456ccfcec8aa6f64aa83d

Verwandtschaft oder Betreuerin

Wenn deine Freundin mit dir auf einem Festival gefragt wird „Seid ihr verwandt oder betreust Du ihn“, dann weißt Du, dass es mit der ‪Inklusion in den Köpfen noch nicht sehr weit gediehen ist.

Nach der Aufklärung, dass wir zusammen sind, kam die Frage „Wohnt ihr denn auch zusammen?“ Auf unser „Nein“ kam dann „Ja, das wäre auch sicherlich körperlich zu anstrengend für sie“. Ich hätte am liebsten geantwortet „Ja, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste und der ständige Sex wird irgendwann auch anstrengend“.

Leider ist das kein Einzelfall. Den Spruch habe ich schon vor Jahren gehört. Ich erinnere mich noch daran, als wir im Urlaub in der dominikanischen Republik waren und meine damalige Freundin und mein Assistent als Paar gehalten wurden – mit mir als Sohn.

Paare, bei denen einer der Partner behindert ist stehen oft solchen Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber. Von der Familie meiner damaligen Freundin wurde ich niemals als gleichberechtigter Partner akzeptiert. In sieben Jahren Beziehung habe ich ihre Mutter nur ein einziges mal gesehen und ich war immer „der behinderte Freund, der bei ihr wohnt“. Auch das ist kein Einzelfall. Eine Freundin von mir hatte auch eine Beziehung mit einem behinderten Mann und ihre Eltern haben ihr deswegen oft Vorwürfe gemacht – wieso sie sich sowas antue.

Ich will gar nicht damit sagen, dass es immer einfach ist. Ja, es gibt Hürden zu überwinden. Ist man mit einem behinderten Menschen unterwegs, sei es in einer Partnerschaft oder als Freund, so hat man mit den gleichen Barrieren zu kämpfen wie der behinderte Mensch selbst. Das ist anstrengend. Je nach Behinderung sind manchmal Handgriffe und Pflege notwendig, wenn man alleine und intim und insbesondere ohne Assistenz zusammen sein will. Auch das kann eine Herausforderung darstellen. Das will ich alles überhaupt nicht herab spielen. Aber das größte Hindernis ist nicht die Behinderung sondern die Gesellschaft – den Menschen, die oftmals aus Unwissenheit und Vorurteilen heraus Mücken zu Elefanten machen und an ihrem medizinischen, defizitären Weltbild kleben. Es ist für Partnerinnen und Partner manchmal sehr schwierig, sich selbst und die Beziehung gegen die Außenwelt zu behaupten. Aus Angst vor Mobbing, doofen Blicken und Bemerkungen.

Aber was kann man da tun? Die Inklusion in den Köpfen hat viel mit der Inklusion im Alltag zu tun. Die meisten Menschen sind aufgewachsen mit nur höchst seltenem Kontakt zu Gleichaltrigen mit Behinderung: Wir gingen auf andere Schulen, fuhren mit anderen Bussen, trafen uns auch nicht im Sportverein am Nachmittag oder mangels Einanderkennens zum Spielen in der Freizeit. Wir waren in der für Nicht-behinderte sichtbaren Welt einfach kaum existent – und wenn, dann in Gestalt von Spendenaufrufen im Fernsehen, Mitleid strotzend und von einem Verein, der mit seinem Namen „Aktion Sorgenkind“ dieses Bild nur noch verstärkte.

Das gedankliche Konstrukt, das hinter solchen Formulierungen steht ist meines Erachtens auch verknüpft mit Meinungsäußerungen wie „Ich finde es ja so toll, dass Menschen wie du auch hier sind!“ Solche Aussagen höre ich auch gefühlte tausendmal bei so einer Veranstaltung. Mir geht es mehr und mehr auf den Keks, auch wenn es wahrscheinlich durchaus gut gemeint ist. Aber dahinter steht eine Haltung, eine Prägung und die ist alles andere als gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Manchmal finde ich es sogar gut und nett. Nämlich dann, wenn ich einen greifbaren Bezug habe – zum Beispiel, weil ich weiß, dass derjenige, der es sagt, damit ausdrücken will, dass er sich darüber bewusst ist, dass meine Präsenz durchaus gesellschaftliche Relevanz hat und bewusstseinsbildend in Bezug auf Inklusion für ein bestimmtes Thema ist. Aber einfach nur auf einer Party oder einem Festival? Bitte…

Bizarrerweise ist es genau das, was wahrscheinlich am besten wirkt: Da sein, teilnehmen, Präsenz zeigen. Die Beziehung als Vorbild für andere leben und nach außen tragen. So wird das private politisch, ganz in der Tradition der Frauenbewegung und der Politik der ersten Person. Denn behinderte Menschen haben mit ähnlichen Diskriminierungen zu kämpfen. Aber wir müssen uns zeigen und einbringen. Damit es wirklich „toll ist, dass man da ist“.

Dazu benötigt man aber Mut, Stärke und ein dickes Fell. Und eine Gesellschaft mit Vorurteilen und Barrieren in den Köpfen ist für dieses Anliegen bisweilen sehr hinderlich. Der Weg ist weit.