Archiv des Autors: Anna D

Rollirotik – der Podcast zu Sexualität und Behinderung

Darf ein behinderter Körper sexy sein?
Wie gefährlich sind Devs wirklich?
Wie erlebt man Sexualität in einer interablen Beziehung?

Ich, Anna, beleuchte als Devotine zusammen mit Kjell, der eine Körperbehinderung hat, im neuen Podcast Rollirotik das Thema Sexualität und Behinderung: unverblümt und mit Fokus auf all den Dingen, die sonst hinter verschlossenen Türen bleiben. Für alle, die lieber zuhören statt lange Texte zu lesen und für alle, die ein wenig mehr wissen wollen, als es angebracht wäre zu fragen.

Im Podcast sprechen wir über unsere ganz persönlichen Erfahrungen, über Leidenschaft, Tabu-Brüche und die praktischen Aspekte von interablen Beziehungen. Und wir sprechen mit euch! Sagt uns, was euch besonders interessiert und welche Fragen ihr schon immer mal stellen wolltet.

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„Besonders Verliebt“: VOX plant Datingsendung mit Menschen mit Behinderung

VOX hat sich in Kooperation mit Handicap Love vom britischen Fernsehen inspirieren lassen. Dort läuft seit einigen Jahren (offenbar relativ erfolgreich) die Sendung „The Undateables“. Singles mit Behinderung treffen vor laufender Kamera andere Singles, um einen passenden Partner zu finden. Mal ganz abgesehen vom Namen der Sendung (der im Deutschen immerhin ein kleines bisschen Würde bewahrt), erscheint mir das Konzept alles andere als inklusiv.

Im Moment werden dafür Teilnehmer mit Behinderung gesucht. Immerhin gibt man sich Mühe, dem beinahe sicheren Abrutschen in die Inspiration-Porn- und Sensationsschiene etwas entgegenzuwirken. Dazu wird im Aufruf versichert, dass niemand vorgeführt oder blamiert werden soll, sondern dass der Schwerpunkt darauf liegt, „auf einfühlsame Weise für mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen“ zu werben. Ob das gelingt und wie das Konzept umgesetzt wird, können die Zuschauer ab September 2021 herausfinden.

Passende Singles für die Teilnehmer werden derzeit über Handicap Love, die größte und bekannteste Singlebörse für Menschen mit Behinderung im deutschsprachigen Raum, gesucht. Da sehe ich die erste Problematik: Nach dem „Gleich und gleich gesellt sich gern“-Prinzip erfolgt die Suche auf einer Plattform, die vor allem von Menschen mit Behinderung frequentiert wird. Schade, dass eine Sendung, die vermutlich einen relativ großen Zuschauerkreis erreichen wird, sich in dieser Hinsicht bereits im Voraus positioniert. Soweit ich erkennen kann, ist nicht klar formuliert, dass potentielle Partner auch eine Behinderung haben sollten. In der Handicap Love-Bubble ist das jedoch für die meisten Mitglieder der Fall. Vielleicht wird ja auch auf anderen Wegen gesucht, ich würde es mir jedenfalls wünschen und bin auf die Reaktionen zur Sendung gespannt.

Eine Beziehung für die ganze Welt: Partnerschaften von Menschen mit und ohne Behinderung auf Social Media

Paare, bei denen einer der Partner eine sichtbare Behinderung hat, ziehen Blicke auf sich. Im Internet sind sie Klickgarant. Einige dieser Paare präsentieren ihr gemeinsames Leben online und versuchen so, Bewusstsein zu schaffen für eine eigentlich ganz alltägliche Sache.


Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, das außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts Liegende seltsam spannend zu finden: das Ungewöhnliche, Exotische und eben auch Menschen, die auf den ersten Blick nicht in die breite Masse passen. Wenn Menschen mit Behinderung auf sozialen Medien von ihren Erfahrungen berichten, kann das ein Türöffner sein, eine Einladung, in eine sonst unbekannte Welt einzutauchen. Es ist aber auch eine Welt, von der häufig Vorurteile und vorgefertigte Meinungen existieren und die es in den Köpfen der Menschen vielleicht irgendwo gibt, aber die um Himmels Willen keine Berührungspunkte mit der eigenen haben soll.

Auch ohne den zusätzlichen Faktor der romantischen Beziehung zeigen YouTuber, wie man mit Humor und Leichtigkeit, aber auch mit Ernsthaftigkeit, diese Grenzen überwindet. Berühmte deutschsprachige Beispiele aus den letzten Jahren, die schnell eine große Zahl Follower und Klicks erlangten, sind Gewitter im Kopf, die auf witzige Art über das Tourette-Syndrom aufklären, und Leeroy Matata, der viele verschiedene Menschen mit interessanten Geschichten interviewt und seine eigene Behinderung dabei ganz ohne Anstrengung in den Hintergrund rückt.

Wenn zur Behinderung allerdings noch der Gedanke an Beziehung und Sexualität kommt, wird das Spannende zum wirklich Ungesagten, zu etwas, das manchmal als das letzte Tabu bezeichnet wird. Dem stellen sich YouTuber entgegnen, öffnen ihr privates (Beziehungs-)Leben und schaffen so eine neue Welt. Eine Welt mit viel Potenzial, aber auch mit viel Ablehnung und Kampf.

Shane und Hannah (als Squirmy and Grubs) sind das derzeit wohl bekannteste „interabled couple“ auf YouTube. Über 750.000 Abonnenten interessieren sich für den Alltag der beiden. Aber auch andere Paare haben erfolgreiche Kanäle, zum Beispiel Cole und Charisma und das Sign Duo. Im deutschen Sprachraum gehören Brittlebonesking dazu. Was die Paare eint: Eigentlich lebt niemand von ihnen einen sonderlich ungewöhnlichen Alltag. Sie reden übers Kochen, über Ausflüge und Urlaube, übers Heiraten, übers Kinderkriegen. Das Ungewöhnliche ist die öffentliche Präsentation. Und dass es sicher immer noch Menschen gibt, für die es nicht vorstellbar ist, wie Behinderung und Sexualität zu vereinen sind.

Vor vielen Jahren schrieb Raul Krauthausen einmal: „Wenn ich so durch die Stadt fahre und behinderte Menschen Arm in Arm mit Nichtbehinderten sehe, dann fällt mir immer wieder auf, dass es meist die Frau ist, die ein Handicap hat.“ Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein: Bei allen erwähnten Paaren ist es der Mann, der eine Behinderung hat. (Ein Kanal einer Frau mit Behinderung zum Thema, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat, ist Finding Ren.) Dass diese Männer dann ihre Beziehung mit einer klassisch attraktiven Frau zeigen, ist für einige Zuschauer sicher ein weiterer Überraschungsmoment.

Dennoch: der Ruhm und das noble Ziel, Bewusstsein zu schaffen, haben auch ihre Kehrseiten. Social Media bietet den typischen Internet-Schutz für Konsumenten: Hier kann man ungeniert und unerkannt starren. Hier kann man anonyme Kommentare verfassen und Dinge loswerden, die man von Angesicht zu Angesicht nie sagen würde. Gerade bei Squirmy and Grubs gibt es eine ganze Szene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die beiden als Fakes zu entlarven und Verschwörungstheorien zu verbreiten, weshalb eine so attraktive Frau auf keinen Fall einen Mann mit Behinderung lieben kann.

Paare, in denen ein Partner eine Behinderung hat, betreten auf Social Media Neuland. Vor allem für die Gesellschaft, aber auch für ein Genre, das sich langsam einen Platz erarbeitet. Sie setzen ein Zeichen für alle Menschen, die in einer solchen Beziehung leben, und für deren Umfeld: dass das Unbekannte und Ungedachte so greifbar und alltäglich sein kann.

Wie viele Amelos gibt es? – Der Versuch einer Annäherung mangels wissenschaftlicher Evidenz

Die Grundlage zu diesem Text habe ich zuerst in einem Forum veröffentlicht, in dem die Frage aufgekommen ist, wie viele Menschen es wohl gibt, die man als Amelos/Amelinen bezeichnen kann. Die Bezeichnung Amelo verwende ich hier für Personen mit einer sexuellen Vorliebe für Menschen mit Behinderung (synonym zu dem bei Kissability sonst häufig verwendeten Wort Devotine). Dieser Begriff ist im deutschen Sprachraum inzwischen nicht mehr nur auf die Vorliebe für Menschen mit Amputationen beschränkt, auch wenn die etymologische Perspektive darauf hindeutet.


Wenn man einschlägige Webseiten befragt, sind Amelos kein seltenes Phänomen. Als Mensch mit Behinderung trifft man immer mal auf sie. Meist im Internet unter angenehmen oder nervigen Vorzeichen, manchmal aber auch in der unangenehmen Form von Bildersammlern oder Voyeuren im echten Leben. Wie viel Prozent der Bevölkerung aber tatsächlich diese Vorliebe hat, ist eine sowohl interessante als auch meines Wissens unzureichend geklärte Frage.

Mich beschäftigt die Frage schon seit Jahren. Weniger, weil ich unbedingt wissen möchte, wie viel Seltenheitswert mir nun zugesprochen werden kann, sondern eher, weil mir die Frage danach so häufig begegnet. Sie ist mir vor allem von Menschen mit Behinderung gestellt worden, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen (ob man nun wissen will, wie hoch die Chancen sind, eine/n von uns als Partner zu finden oder eben zu vermeiden).

Es gibt ein paar mehr oder weniger wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zum Amelotatismus. Im deutschen Sprachraum ist da vor allem die Arbeit von Ilse Martin zu nennen, die die Neigung als „Mancophilie“ bezeichnet und darüber ein Buch veröffentlicht hat. Darin spricht sie von einer „wahrscheinlich[en …] Inzidenz von 1:1000“ (Martin 2014: 25). Es ist leider nicht ganz klar ersichtlich, woher die Zahl stammt. Alle in diesem Buch zitierten Studien waren auf die Befragung von Betroffenen beschränkt, teilweise gibt es auch Einzelfallstudien.

Der einzige andere Anhaltspunkt, der aus nicht-wissenschaftlicher Perspektive bleibt, ist anekdotische Hochrechnung.

Das größte mir bekannte Forum für weibliche hetero-/bisexuelle und männliche homosexuelle Amelos hat im Moment (Mai 2020) ca. 2500 Mitglieder. Vermutlich sind ca. 1000 bis 1500 davon Amelinen (der Rest sind Männer mit Behinderung). Dieses Forum ist zwar auf die englischsprachige Bevölkerung begrenzt, hat aber Mitglieder aus der ganzen Welt. Zur Hochrechnung: 330 Millionen Menschen auf der Welt sprechen Englisch als Muttersprache, 600 Millionen Menschen haben Englisch als erste Fremdsprache gelernt. Gehen wir also davon aus, dass gut eine Milliarde Menschen die sprachlichen Voraussetzungen für das Forum erfüllt. Circa die Hälfte davon sind heterosexuelle Frauen bzw. homosexuelle Männer, also eine halben Milliarde Menschen. Das entspricht einem Prozentsatz von 0,0003% (1500 von einer halben Milliarde). Diese Zahl ist jedoch zu niedrig, da es weitere ausschlaggebende Faktoren gibt. Die 1500 Amelos und Amelinen haben u.a. folgende Gemeinsamkeiten:

  • mindestens 18 Jahre alt,
  • Internetzugang,
  • Interesse am Austausch mit anderen Betroffenen,
  • die Selbsterkenntnis, dass man diese sexuelle Orientierung/Neigung hat,
  • der Wille, sich damit auseinanderzusetzen

Diese Faktoren sind leider nicht bezifferbar; man muss also schätzen. Wenn wir den oben genannten Prozentsatz vertausendfachen (d.h. 1 von 1000 existierenden Amelinen ist im Forum angemeldet) wären wir bei 0,3% Prozent.

Das ist natürlich keine wissenschaftliche Argumentation, sondern dient nur dazu, zu zeigen, dass es sehr wenige Amelos gibt. Was ich hier nicht beachtet habe, ist das oft zu findende Argument, dass es mehr männliche als weibliche Amelos gibt. Das ist eine weitere unzureichend geklärte Frage und vielleicht Thema für einen zukünftigen Text.

Zum Schluss noch eine anekdotische Betrachtung zur Ausgangsfrage: Ich bin schon seit einigen Jahren im Netz zu den Themen Dating und Sexualität unterwegs, häufig direkt als Ameline erkennbar. Aus der Stadt, in der ich in den vergangenen Jahren gewohnt habe und die etwas weniger als 600.000 Einwohner hat, habe ich in dieser Zeit zwei Menschen online kennen gelernt, die sich auch als Amelo identifiziert haben (was, zusammen mit mir, übrigens einem Wert von 0,0005% entspricht, ziemlich nah an dem oben berechneten Wert).

Auch andere Erfahrungen zeigt mir, dass es gar nicht so viele Amelos gibt, wie man zunächst annehmen könnte. Ich spreche immer mal mit Menschen mit Behinderung und frage, ob sie in ihrem bisherigen Leben jemanden kennen gelernt haben, von dem sie wissen, dass derjenige Amelo oder Ameline ist. Viele ahnen es vielleicht bei dem ein oder anderen, haben aber konkret nur dann Amelos kennen gelernt, wenn sie im Netz danach gesucht haben bzw. dort kontaktiert wurden.

Schließlich zeigt auch der Mangel an wissenschaftlichen Betrachtungen zum Thema, dass es weder ein häufiges Phänomen ist, noch eines, das erhöhter medizinischer Aufmerksamkeit bedarf. Ich fände vor allem Studien interessant, die den sozialen und gesellschaftlichen Aspekt des Amelotatismus beleuchten. Dafür gibt es mit den erwähnten empirischen Studien (nicht zuletzt mit der von Ilse Martin durchgeführten Befragung) zumindest Ansatzpunkte, die eine interessante Grundlage für weitere Forschung bilden.


Martin, Ilse (2014). Mancophilie: Zur Vollkommenheit fehlt nur ein Mangel. Homo-Mancus-Verlag, Maintal

Der böse Amelo: Ein Blick auf die andere Seite

Ich bin eine Ameline: eine Frau, die mit einer sexuellen Vorliebe ausgestattet wurde, die mit einem großen Stigma behaftet ist. Dieser Beitrag ist aus meiner Perspektive geschrieben und erzählt von meiner Meinung und meinen Erfahrungen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Was das Amelosein genau bedeutet, ist in Diskussionen oft unklar. Wenn man nur zehn Minuten in eine Google-Suche investiert, stößt man auf mindestens fünf sich widersprechende Erklärungen. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht: Amelos stehen auf Menschen mit körperlicher Behinderung. Und das beinhaltet ziemlich viel Konfliktpotential, denn unbefriedigte sexuelle Vorlieben bleiben ungern im stillen Kämmerlein. Aus diesem Grund findet man auch ziemlich viele Geschichten von behinderten Menschen, die Amelos begegnet sind. Und die wenigsten davon erzählen Positives.

Vor kurzem hat Amelie Ebner (Autorin des Buches „Willkommen im Erdgeschoss“) in einem Blogeintrag unter dem schönen Titel „Die fabelhafte Welt der Amelos“ von ihren Erfahrungen berichtet. Und die scheinen leider durchweg negativ zu sein. Es gibt zwei Hauptkritikpunkte, die in solchen Beiträgen und Diskussionen (denn Frau Ebner ist längst nicht die erste, die sich dazu äußert) meist zur Sprache kommen: das respektlose Verhalten von Amelos beim Annäherungsversuch und die Frage nach dem Motiv dieses Versuchs.

Meinungsäußerungen zum ersten Punkt sind leicht zu finden: Amelos bauen sich ein elaboriertes Lügennetz auf, verfolgen (im Glücksfall nur) Social-Media-Kanäle oder stehen (im schlimmsten Fall) als Stalker im echten Leben gleich mit dem Fernglas hinter der nächsten Gardine. Einige machen heimlich Bilder oder Filme, die dann auf einschlägigen Internetseiten wiedergefunden werden. Das ist eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte und nicht zu entschuldigen oder zu tolerieren. Das alles reicht schon aus, um mit Amelos nichts zu tun haben zu wollen. Aber hier – wie auch sonst häufig im Leben – gilt: Man sollte nicht gleich alle über einen Kamm scheren. Dieses Verhalten ist – so unverzeihlich es auch sein mag – sehr sichtbar und es ist leicht, durch die Fehler weniger das verheerende Urteil auf die gesamte Gruppe zu übertragen. Ich kann und möchte mich nicht mit so einem Bild von Amelos identifizieren. Ja, ich habe eine sexuelle Vorliebe für Menschen mit Behinderung. Das macht mich aber noch nicht zum Stalker.

Der zweite Punkt geht philosophisch etwas tiefer: Reduzieren Amelos den Menschen auf die Behinderung? Findet eine Objektifizierung statt? In einer Facebook-Diskussion zum Thema war zu lesen: „Eine Beziehung zu einem Amelo oder einer Ameline ist für Menschen mit Behinderung nur eine Notlösung, weil sie es schwerer haben, einen Partner zu finden.“ Das ist starker Tobak und ehrlich gesagt der verletzendere Punkt der Diskussion. Eher für die inneren Werte als die Optik geliebt werden zu wollen, ist ein verständlicher (wenn auch heutzutage gesellschaftlich unterrepräsentierter) Wunsch. Das heißt für Menschen mit Behinderung, dass der ausschlaggebende Faktor für den potentiellen Partner möglichst nicht die Behinderung sein sollte, sowohl im negativen (*trotz* der Behinderung) als auch im positiven (*wegen* der Behinderung) Sinn. In vielen Fällen ist jedoch erste Eindruck von einem Menschen ein optischer. Und oft hängt von dieser Einschätzung das weitere Vorgehen ab. Für eine gelungene Partnerschaft ist eine sexuelle Anziehung fast unerlässlich, wieso sollte dann nicht auch die Behinderung Ausgangspunkt dieser Anziehung sein? Wenn es beim äußeren Merkmal bleibt, reicht das Potential nicht weiter als bis zu einem One-Night-Stand. Wenn mehr dazukommt, wer weiß? Für mich (und wahrscheinlich die meisten anderen Menschen) ist die äußere Erscheinung nicht das alleinige oder wichtigste Merkmal eines potentiellen Partners.

Ich weiß, dass viele behinderte Frauen schlimme und teilweise traumatische Erfahrungen mit Amelos gemacht haben. Und da ist Frau Ebners Aufforderung zum „Überdenken des Verhaltens“ schon eine Untertreibung. Aber es gibt auch die entgegengesetzten Beispiele: Amelinen und Amelos, die keine wildfremden Menschen auf Facebook anschreiben. Die in glücklichen, ausgewogenen Beziehungen zu Menschen mit Behinderung sind. Die tagtäglich zusammen gegen die gesellschaftlichen Vorurteile („Du bist ja dann dein Leben lang seine Pflegerin!“) kämpfen und zeigen, dass Schönheit auch (und vor allem) außerhalb von Hochglanzmagazinen zu finden ist. Die den eher als asexuell wahrgenommenen behinderten Menschen und allen anderen zeigen: Du bist attraktiv! Die gemeinsam die Blicke der anderen aushalten und sich öffentlich als Paar bekennen. Die eine Familie gründen und allen Zweifeln der Mitmenschen zum Trotz Kinder großziehen, die mit einer toleranten und offenen Haltung durchs Leben gehen.

Mein Wunsch ist es, dass das Stigma, welches auf uns Amelos lastet, ein wenig aufgebrochen werden kann, indem wir uns durch solche positiven Beispiele definieren und uns von dem leider viel weiter verbreiteten Bild des unheimlichen, nur seine eigene Befriedigung im Sinn habenden Amelos verabschieden. Wachsamkeit ist gut und wichtig, aber lasst sie nicht den Blick auf die vielen Menschen trüben, die in den meisten Fällen tief verwurzelte Konflikte mit der eigenen Sexualität austragen. Angenommensein als Ameline, geschätzt als Mensch und geachtet als Partner: Diese Momente sind die tiefsten, schönsten Erfahrungen.

 

Ihr habt Fragen, Bemerkungen, Meinungen? Schreibt sie in die Kommentare. Ich beantworte gern alle Fragen :-).

Erforschung von Intimität und Sexualität: Touch me not

Alles beginnt mit einer Frage: „Gibt es eine stille, bequeme Übereinkunft, nicht darüber zu sprechen?“

„Ja!“ möchte man als Zuschauer schreien, der nicht das erste Mal mit dem Gedanken in Berührung kommt, dass auch nicht-schönheitsideal-konforme Menschen ihre Sexualität ausleben. Im gesellschaftlichen Diskurs ist die Situation wohl leider bekannt. Aber im Individuellen? Was bedeutet Sexualität? Wie kann ich mich darauf einlassen? Und plötzlich birgt die Antwort ein ungeahntes Risiko, denn: Was uns auf der Suche danach begegnet, ist unklar.

Die Berliner Morgenpost schreibt: „Der Sex-Schocker […] verlangt viel vom Zuschauer.“ Und in der faz ist zu lesen: „„Touch Me Not“ […] gehörte zu den Filmen […] deren Ansatz für mich möglicherweise dokumentarisch interessant gewesen wäre, mir im Spielfilmformat aber unangenehm war.“ Der Film hat eine einfache Antwort darauf: „Jede Emotion ist willkommen.“

„Touch me not“, Film der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie, gewann auf der diesjährigen Berline den Goldenen Bären. Es geht um die Erforschung von Initimität und Sexualität, einige der Schauspieler sind Menschen mit Behinderung, die übrigen kommen im Laufe des Films damit in Berührung. Das ist ein aufwühlendes Thema – besonders, wenn man bisher eher die eingangs erwähnte bequeme Übereinkunft bevorzugt hat.

Eine wichtige Transformation, die „Touch me not“ zeigt, beginnt in einer Berührungs-Therapie. Zwar wird man als Zuschauer über die genauen Umstände im Unklaren gelassen (Ein Berührungs-Workshop in einer sterilen Umgebung eines beliebigen Krankenhauses/Altersheims/Betonbaus? Wirklich?), aber hier passiert Wichtiges: Tómas‘ (Tómas Lemarquis) Ekel vor der Berührung von Christians (Christian Bayerlein) Gesicht, Großaufnahmen ungewöhnlicher Körper und die Selbstverständlichkeit ungewöhnlicher Beziehungskonstellationen und Sexualpraktiken (es gibt eine beeindruckende, intime Szene zwischen Christian und Grit (Grit Uhlemann) in einem SM-Club). Der Film traut sich all das mit einer unglaublichen Unaufgeregtheit zu zeigen, die ihresgleichen sucht. Und er gibt gleichzeitig die Möglichkeit, alle entstehenden Gefühle zu ergründen, zu verstehen und vielleicht zu transformieren. Nur vielleicht, denn „Touch me not“ bereitet lediglich die Basis, ohne eine explizite Forderung nach Toleranz zu formulieren.

Ich verlasse das Kino. Die prophezeite unangenehme Berührtheit oder Überforderung bleibt aus. Was ich gesehen habe, ist das Leben, eine Umgebung, in der jeder er selbst sein darf, die Schönheit von Sexualität und der eigenen inneren Reise. Und zum Schluss zeigt die Kamera auf den Zuschauer. „Es gibt nichts Sonderbares, wenn es um Sexualität geht.“ Dieser Satz, beinahe beiläufig erwähnt, ist doch ein guter Ausgangspunkt für diesen Augenblick, in dem nichts mehr versteckt ist.


Kinostart von Touch me not ist am 1.11.2018. Der Film ist in vielen deutschen Städten zu sehen.

Die 5 besten Arten zu kuscheln: Shane Burcaws Liebesleben im Vlog

Im Jahr 2011 begann Shane Burcaw in einem Blog auf humorvolle Weise über sein Leben mit SMA zu schreiben. Die ehrlichen und erfrischenden Geschichten fanden immer mehr Leser. Der Autor gründete daraufhin die gemeinnützige Organisation Laughing At My Nightmare (deutsch etwa: „Lachen über meinen Albtraum“), die mithilfe von Spendengeldern Equipment für Menschen mit Muskeldystrophie finanziert und eine positive Einstellung gegenüber Vielfältigkeit vermitteln will. Doch damit nicht genug: Shane Burcaw hat seine Erlebnisse bereits in mehreren Büchern veröffentlicht (u.a. „Strangers assume my girlfriend is my nurse“, deutsch etwa: „Fremde nehmen an, meine Freundin sei meine Pflegerin“). Seit Kurzem zeigt er auf Youtube Ausschnitte aus seinem Leben.

Der Vlog „Squirmy and Grubs“ konzentriert sich vor allem auf die Beziehung von Shane und Hannah. In der Kanalbeschreibung auf Youtube heißt es: „We’ve been dating for over two years, and we’ve discovered that people find our relationship to be pretty peculiar.“ (deutsch etwa: „Wir sind seit über zwei Jahren zusammen und erleben, dass Leute unsere Beziehung ziemlich merkwürdig finden.“) Grund genug für die beiden, den Zuschauern Einblicke in ihr (Liebes-) Leben zu gewähren: die 5 besten Arten zu kuscheln, gemeinsames Duschen und wie man das Beste aus gar-nicht-mal-so-barrierefreien Toiletten auf einem Europa-Trip macht. Die Offenheit, mit der die beiden diese Videos angehen, mag schon wieder eine eigene Merkwürdigkeit kreieren ;).

Die Videos sind alle auf Englisch, aber mit englischen Untertiteln fällt das Verstehen etwas leichter. Ich kann den Vlog nur allen ans Herz legen, die Beziehung und Sexualität mit Behinderung schon immer mal von einer locker-humorvollen Seite betrachten wollten! Und vielleicht gibt es ja die ein oder andere Anregung …

 

 

Aus der Komfortzone in die Komfortzone – Wenn die Kirche über Sexualität und Behinderung spricht

Dass Behinderung und Sexualität als Tabuthema behandelt wird, ist nichts Neues. Bei kirchlichen Einrichtungen vermutet man da noch viel größere Zurückhaltung, sich der Sache zu nähern. Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass die evangelische Landeskirche Württemberg vor einigen Tagen bei YouTube eine knapp halbstündige Talkrunde mit dem etwas vereinfachenden Titel „Tabu im Rollstuhl – Sex mit Handicap“ veröffentlicht hat. Die Sendung ist Teil der Reihe „Alpha & Omega“, die sich ab und an auch mit (vor allem für die Kirche) recht heiklen Themen wie der Ehe für alle und Nahtoderfahrungen auseinandersetzt.

Bei der Talkrunde sind neben der Moderatorin Heidrun Lieb drei Gäste anwesend: Francis Augostine, der nach einem Motorradunfall mit kognitiven und körperlichen Einschränkungen lebt, Jürgen Schaaf, Sexualpädagoge von ProFamilia und Jessica Philipps, Sexualbegleiterin für Menschen mit Behinderung. Was zunächst recht vielversprechend klingt, entpuppt sich nur langsam zu einem interessanten Gespräch. Insgesamt kann ich den Eindruck nicht abschütteln, dass das Thema vor allem als Problem aufgefasst wird und auch die Anwesenden nicht genau wissen, wie damit umzugehen ist. Das ist eigentlich erstaunlich, da es auf dem YouTube-Kanal einige Videos gibt, die sich mit Behinderung beschäftigen. Es sollte also kein vollkommenes Neuland sein. Aber wenn dann auch noch Sexualität ins Spiel kommt, werden die Karten wohl neu gemischt.

Trotzdem: Die Diskussionsteilnehmer sprechen viele wichtige Fragen an, etwa warum die Gesellschaft behinderte Menschen nicht als sexuelle Wesen wahrnimmt, welche Rolle Eltern als Pflegepersonen spielen und wie Menschen mit geistiger Behinderung vor negativen sexuellen Erfahrungen geschützt werden können. Bei all dem sticht vor allem Jessica Philipps mit ihrem großen Erfahrungsschatz hervor. Mutig und offen spricht sie die Probleme an und scheut sich – im Gegensatz zu den übrigen Gesprächspartnern – auch nicht davor, konkrete Lösungsansätze vorzustellen. Sie zeigt ein umfassendes Gesamtverständnis und spricht auch die zusätzlichen Schwierigkeiten sexueller Thematiken in kirchlichen Einrichtungen der Behindertenhilfe an. Zu einer Diskussion darüber kommt es dann leider nicht mehr. Schade, dass diese Chance verpasst wurde. Eine konstruktive Auseinandersetzung damit wäre wirklich ein neuer Ansatzpunkt gewesen.

Dafür kommt das Thema der Sexualbegleitung ausführlich zur Sprache. Was aber im gesamten Beitrag fehlt, sind positive Beispiele erfüllter Sexualität. Neben all den Problematiken sollte nicht vergessen werden, dass es viele Paare gibt, in denen die Partner mit oder ohne Behinderung Sexualität leben, ganz ohne große Dramatik, sondern als Teil des Alltags. Diese Alternative zu den vielbesprochenen Sonderwelten zu zeigen, hätte einen schönen Gegenpol zur Problematisierung gebildet.

Zum Schluss werden einige positive Entwicklungen der vergangenen Jahre beleuchtet, die Anlass zur Hoffnung auf breitere Akzeptanz und Offenheit geben: die wachsende Zahl an Beratungsangeboten, die schrittweise Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und das gesteigerte Bewusstsein über die sexuellen Bedürfnisse von allen Menschen.

#HotPersonInAWheelchair – Sexuelle Inklusion auf Twitter

Eigentlich ist der Anlass dieses bemerkenswerten Internet-Phänomens schon einige Jahre her und wäre möglicherweise gar nicht mehr der Rede wert. Da jedoch ein einzelner Tweet manchmal Berge versetzen kann, lohnt sich ein Blick darauf, was hier genau passiert ist und warum.

Im Jahr 2014 hat Ken Jennings, ein amerikanischer Quiz-Profi und Autor, folgenden Tweet gepostet:

Damals war der Aufschrei offenbar gar nicht so groß. Vor einigen Wochen allerdings entstand daraus der Hashtag #HotPersonInAWheelchair, unter dem viele User Fotos von sich im Rollstuhl veröffentlichten, oft zusammen mit positiven Botschaften.

Auch wenn der ein oder andere vielleicht etwas zögert, sich vor aller Welt selbstbewusst als attraktiven Menschen darzustellen, gibt das Phänomen einen wichtigen Hinweis auf etwas, das auch für den heutigen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung von großer Relevanz ist: Nicht nur im Äußeren muss für Inklusion und Gerechtigkeit gekämpft werden. Ebenso wichtig ist die Einstellung der Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung. Darauf beruht jedes Umdenken, das den Grundstein zu positiven und sichtbaren Veränderungen legen kann.

Tweets wie der von Jennings geben einen kleinen Vorgeschmack darauf, welche Hürden auf diesem Weg noch zu überwinden sind. Die Berichterstattung in den Medien (beispielsweise von der taz und bento) zeigt mal wieder das alte Problem: Solange es noch etwas besonderes ist, behinderten Menschen sexuelle Attraktivität zuzugestehen, sind solche Aktionen vonnöten. Hier spitzt sich ein gesamtgesellschaftliches Problem zu: die Auffassung davon, welche Menschen als gutaussehend zu verstehen sind. Wenn Menschen mit Merkmalen, die derzeit in der Gesellschaft als nachteilig oder gar störend empfunden werden, mehr in das öffentliche Bewusstsein und Rampenlicht rücken, ist vielleicht ein weiterer Schritt Richtung Inklusion und der Wertschätzung von Vielfalt getan. Damit Attraktivität und Behinderung nicht mehr als sich ausschließende Eigenschaften verstanden werden.

Gewinner des Goldenen Bären und Liebespaar: SWR-Portrait über Christian Bayerlein und Grit Uhlemann

Der SWR hat vor kurzem einen Beitrag über die Beziehung von Christian Bayerlein und Grit Uhlemann im Rahmen der Landesschau Rheinland-Pfalz gesendet. Der 5-minütige Bericht geht erfrischend unvoreingenommen mit dem Thema Liebe und Sexualität zwischen einem behinderten und einem nicht-behinderten Partner um.

Während vergleichbare Beiträge über behinderte Menschen und ihr Umfeld ja häufig tief in die Kiste der üblichen stereotypen Annahmen und Formulierungen („Protagonist A leidet unter Behinderung X und ist an den Rollstuhl gefesselt“) greifen, werden diese hier nicht nur vermieden, sondern auch gleich von Christian thematisiert. Dass er nicht leide, könne man ja schnell bemerken. Auch seine Freundin Grit bekräftigt das später. Christians Lebendigkeit und lebensfrohes Gemüt spielen die Hauptrolle, die Behinderung steht eher im Hintergrund.

Auch sonst ist kaum die Rede von dem, was aufgrund der Behinderung nicht geht. Relativ schnell wird stattdessen klargestellt, dass dies nicht bloß ein weiterer Beitrag auf der Inspirationsschiene ist. Der eigentlich Grund für den Bericht ist nämlich der jüngste Erfolg des Films „Touch me not“, der auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde und in dem Christian und Grit als Schauspieler zu sehen sind. Der Film beschäftigt sich mit Intimität, Sexualität, u.a. im Kontext von Behinderung.

Klar, dass da ganz praktische Fragen abseits der Leinwand und künstlerischen Umsetzung auftauchen. Wie sieht so eine Beziehung aus? Wie funktioniert das Sexualleben mit einem behinderten Partner? Und genau dort zeigt sich für mich eine weitere Besonderheit des SWR-Berichts. Er kehrt nicht ungefragt alle Zweifel unter den Teppich, sondern lässt Grit und Christian auch Bedenken äußern. Dass diese im nächsten Schritt mit Liebe und Kreativität überwunden werden können, müsste am Ende gar nicht mehr gesagt werden, wird es aber dennoch. Diese Botschaft dürfte also angekommen sein.

Genauso wie die Botschaft, dass das Außergewöhnliche an der Beziehung ja eher der Goldene Bär ist und nicht Christians Behinderung. Zum Schluss wird der Begriff der „Normalität“ vielleicht doch noch etwas überstrapaziert. Für viele mag eine Liebesbeziehung zu einem behinderten Partner nicht unmittelbar vorstellbar sein. Das Schlagwort des „besonderen, normalen Liebespaars“ erscheint dann dennoch eher gezwungen und einige Male zu oft betont.

Nichtsdestotrotz können sich Berichterstattungen über Menschen mit Behinderung an diesem Bericht ein Beispiel nehmen. Der Spruch „Vorbild sein, ohne den schweren Weg zu verschweigen“ kommt mir besonders im zweiten Teil in den Sinn. Schön, dass der SWR mutig genug ist, sich des Themas anzunehmen! Und schön, dass es Menschen gibt, die dafür Einblicke in ihr Leben geben und so hoffentlich auf lange Sicht mit Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen aufräumen.