Paare, bei denen einer der Partner eine sichtbare Behinderung hat, ziehen Blicke auf sich. Im Internet sind sie Klickgarant. Einige dieser Paare präsentieren ihr gemeinsames Leben online und versuchen so, Bewusstsein zu schaffen für eine eigentlich ganz alltägliche Sache.
Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, das außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts Liegende seltsam spannend zu finden: das Ungewöhnliche, Exotische und eben auch Menschen, die auf den ersten Blick nicht in die breite Masse passen. Wenn Menschen mit Behinderung auf sozialen Medien von ihren Erfahrungen berichten, kann das ein Türöffner sein, eine Einladung, in eine sonst unbekannte Welt einzutauchen. Es ist aber auch eine Welt, von der häufig Vorurteile und vorgefertigte Meinungen existieren und die es in den Köpfen der Menschen vielleicht irgendwo gibt, aber die um Himmels Willen keine Berührungspunkte mit der eigenen haben soll.
Auch ohne den zusätzlichen Faktor der romantischen Beziehung zeigen YouTuber, wie man mit Humor und Leichtigkeit, aber auch mit Ernsthaftigkeit, diese Grenzen überwindet. Berühmte deutschsprachige Beispiele aus den letzten Jahren, die schnell eine große Zahl Follower und Klicks erlangten, sind Gewitter im Kopf, die auf witzige Art über das Tourette-Syndrom aufklären, und Leeroy Matata, der viele verschiedene Menschen mit interessanten Geschichten interviewt und seine eigene Behinderung dabei ganz ohne Anstrengung in den Hintergrund rückt.
Wenn zur Behinderung allerdings noch der Gedanke an Beziehung und Sexualität kommt, wird das Spannende zum wirklich Ungesagten, zu etwas, das manchmal als das letzte Tabu bezeichnet wird. Dem stellen sich YouTuber entgegnen, öffnen ihr privates (Beziehungs-)Leben und schaffen so eine neue Welt. Eine Welt mit viel Potenzial, aber auch mit viel Ablehnung und Kampf.
Shane und Hannah (als Squirmy and Grubs) sind das derzeit wohl bekannteste „interabled couple“ auf YouTube. Über 750.000 Abonnenten interessieren sich für den Alltag der beiden. Aber auch andere Paare haben erfolgreiche Kanäle, zum Beispiel Cole und Charisma und das Sign Duo. Im deutschen Sprachraum gehören Brittlebonesking dazu. Was die Paare eint: Eigentlich lebt niemand von ihnen einen sonderlich ungewöhnlichen Alltag. Sie reden übers Kochen, über Ausflüge und Urlaube, übers Heiraten, übers Kinderkriegen. Das Ungewöhnliche ist die öffentliche Präsentation. Und dass es sicher immer noch Menschen gibt, für die es nicht vorstellbar ist, wie Behinderung und Sexualität zu vereinen sind.
Vor vielen Jahren schrieb Raul Krauthausen einmal: „Wenn ich so durch die Stadt fahre und behinderte Menschen Arm in Arm mit Nichtbehinderten sehe, dann fällt mir immer wieder auf, dass es meist die Frau ist, die ein Handicap hat.“ Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein: Bei allen erwähnten Paaren ist es der Mann, der eine Behinderung hat. (Ein Kanal einer Frau mit Behinderung zum Thema, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat, ist Finding Ren.) Dass diese Männer dann ihre Beziehung mit einer klassisch attraktiven Frau zeigen, ist für einige Zuschauer sicher ein weiterer Überraschungsmoment.
Dennoch: der Ruhm und das noble Ziel, Bewusstsein zu schaffen, haben auch ihre Kehrseiten. Social Media bietet den typischen Internet-Schutz für Konsumenten: Hier kann man ungeniert und unerkannt starren. Hier kann man anonyme Kommentare verfassen und Dinge loswerden, die man von Angesicht zu Angesicht nie sagen würde. Gerade bei Squirmy and Grubs gibt es eine ganze Szene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die beiden als Fakes zu entlarven und Verschwörungstheorien zu verbreiten, weshalb eine so attraktive Frau auf keinen Fall einen Mann mit Behinderung lieben kann.
Paare, in denen ein Partner eine Behinderung hat, betreten auf Social Media Neuland. Vor allem für die Gesellschaft, aber auch für ein Genre, das sich langsam einen Platz erarbeitet. Sie setzen ein Zeichen für alle Menschen, die in einer solchen Beziehung leben, und für deren Umfeld: dass das Unbekannte und Ungedachte so greifbar und alltäglich sein kann.