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Liebe ist barrierefrei

Valentinstag mit dem „Ambassador of Awesomeness“

Am Wochenende des Valentinstags hatten meine Freundin und ich Besuch von Hannah, einer jungen Frau, die als Bewerbungsaufgabe für die Aufnahme an die Filmhochschule München ein dokumentarisches Essay als Grundlage für ein mögliches Drehbuch zu einem Porträt über mich geschrieben hat. Wir waren gemeinsam unterwegs und hatten zwei spannende Tage, mit tollen Gesprächen und Interviews. Ich denke, das Ergebnis ist auch spitze geworden und ich will es euch nicht vorenthalten 🙂


Text © Hannah Schumacher 2016

14. Februar 2016, vormittags. Der Blumenladen an der Ecke zur Löhrstraße hat gut damit zu tun, Blumen ästhetisch zurechtzuschneiden und in zahlende Hände zu drücken. Junge Paare drängen sich Händchen haltend an großflächigen Werbeplakaten vorbei, auf denen sie sich mit viel Rosa repräsentiert und als Mainstream vermarktet sehen. Als Mitglied der neuheidnischen Szene hält Christian Bayerlein (41) den Valentinstag zwar nicht für eine Verschwörung der Blumenindustrie, nutzt ihn aber lieber, um mit seiner Lebensgefährtin Grit und ihrer gemeinsamen Freundin Elke eine Lichtung ausfindig zu machen, auf der im Frühling in der Nacht auf den ersten Mai mit dem „Rabenclan“ das Beltane-Fest gefeiert werden soll. „Ich war immer der Ansicht, dass Beltane die Hochzeit von Gott und Göttin ist. Und ich hab mich aber belehren lassen, dass das eine sehr eingeschränkte Sichtweise ist, weil das eigentlich nur die Wicca glauben, viele andere Neuheiden haben ein polytheistisches Weltbild mit vielen Göttern und das Ganze auf nur einen Gott und eine Göttin zu reduzieren wäre halt falsch. Trotzdem hat es für mich auch sehr viel Sinnliches als Fest, und das Thema der Liebe, der Vermählung, Verschmelzung steht für mich trotzdem noch im Zentrum – auch in der Hinsicht, dass die komplette Natur da anfängt zu blühen, zu wachsen, zu sprießen und aufzuwachen sozusagen und der Sommer naht mit all seiner Kraft. Es ist für mich ein sehr symbolisches Bild was Liebe und Eros angeht, da es auch in den Menschen, in mir die Gefühle von Zuneigung, von Erotik und Sinnlichkeit wachsen – nicht zuletzt spricht man ja von Frühlingsgefühlen. Und ich glaube das ist im Wonnemonat Mai gerade sehr intensiv. Und auch Feuer ist ein sehr starkes Symbol an Beltane, Feuer spielt für mich eine ganz zentrale Rolle bei dem Fest. Das hat eine sehr starke sinnliche Energie.“

Seine Fußmatte behauptet „There is no place like 127.0.0.1“, dabei ist der studierte Informatiker eigentlich ständig auf Achse und liebt das Reisen über Couchsurfing und AirBnB. Auch seine eigene Couch stellt er für Globetrotter aller Art zur Verfügung, er lernt gerne Leute kennen – für einen sonst typischen Nerd ist er ausgesprochen atypisch sozial. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von der Welt als Kartenprojektion, direkt über der Star Trek-DVD-Sammlung, es gibt fast keinen Kontinent, auf dem er noch nicht war. Nur die Antarktis ist ihm einfach zu kalt. Auch jetzt verlässt er das Haus nicht ohne Decke und Wärmflasche. Wer sich nicht bewegen kann, friert eben sehr leicht, sagt Grit. In der Zimmerecke unter der Weltkarte steht ein Rollstuhl. Gleich geht die Reise in die Eifel los, vorher muss aber noch das übliche Morgenritual absolviert werden. Grit füttert ihn mit Bananenmus, putzt ihm die Zähne, zieht ihm Windel und Strumpfhose an und kämmt seine lange Metalhead-Mähne. Für sie ist Romantik vor allem Wärme, Zärtlichkeit und Vertrautheit. „Das wird auch dadurch, dass ich Christian so viel hin und her bewege noch intensiviert, ich bin jemand, der sehr stark mit dieser Nähe arbeitet und davon viel zieht.“ Wenn sie nicht da ist, beschäftigt Christian Assistentinnen. Er genießt sichtlich das Gefühl der Bürste auf der Kopfhaut. Selbst am Kopf kratzen kann er sich durch seine fortgeschrittene spinale Muskelatrophie nicht, Bewegungsfreiheit bleibt ihm nur im Gesicht und im Geist. Online ist er über sein Smartphone praktisch ständig, die Hälfte seiner Wachzeit bewegt er sich aktiv im Worldwide Web.

Der keltische Knoten, der seine Schulter ziert, ist gleichzeitig der großflächige Heckaufkleber des geräumigen, behindertengerechten Kombis. Was Christian unter die Haut geht, trägt er in die Welt hinaus – so auch seine Identität als Mensch mit einem Liebesleben.

Der ehemalige Behindertenbeauftragte der Stadt Koblenz hat vor einigen Jahren durch doppelten Bruch mit ungeschriebenen Verschwiegenheitsregeln für Furore im Stadtrat gesorgt, die CDU verhinderte seine Wiederwahl, auch wenn alle seine Äußerungen diesbezüglich lediglich im privaten Rahmen getätigt wurden. Sexualität von Behinderten sei eben immer noch ein Tabuthema, sagt er. „Ich gehe offen damit um, und zwar nicht nur Vanilla, sondern auch noch Kink – das war denen wohl ein bisschen zu radikal-progressiv.“, zwinkert er. „Für mich ist es total wichtig – das glaube ich, kann man nur jedem ans Herz legen, dass er sich damit auseinander setzt, was er mag und was nicht. Dass er da eine Offenheit hat und nicht im Bett das macht was alle machen, nur weil es alle machen. Ich finde es viel erfüllender, wenn man experimentiert, wenn man schaut „Was macht mich denn an?“ und wenn man offen dazu stehen kann.“ Durch die SMA ist seine Aussprache etwas undeutlich, die Worte die er wählt sind es nicht.

Seine Freundin fährt die blinkende Rampe an der Seite des Autos aus. „Cool!“, ruft ein vorbeilaufendes Kind. Christian fährt mit seinem Rollstuhl „Quickie“ auf die Einstiegshilfe zu, er navigiert ihn über eine Steuerungsapparatur mit dem Mund. Auch während Grit den Wagen lenkt, übernimmt er die Navigation, er hat gern die Kontrolle. Auf der BDSM-Skala zwischen submissiv und dominant ordnet er sich im eindeutig dominanten Bereich ein. „Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, wie aktiv man ist – offensichtlich kann ich mich nicht bewegen, aber ich glaube, das hat mit Dominanz relativ wenig zu tun, man kann auch mit Worten präsent sein und eine gewisse Präsenz ausstrahlen und auch eine gewisse Macht.“ Die Fahrt ins Mittelgebirge dauert über eine Stunde – für das heidnische Fest der Liebe wird keine Mühe gescheut. Christian glaubt hauptsächlich an die Wissenschaft, das schließt ein gewisses religiöses Brauchtum aber nicht aus, findet er. Er mag Science und Fiction. „Ich bin eigentlich sogar christlich sozialisiert, aber ich selber bin eigentlich eher skeptisch im Sinne von alles zu hinterfragen – und trotzdem bin ich ein Mensch, der fühlt, dass es was gibt, was eine übergeordnete Funktion spielt. Oder was alles durchzieht. Das ist nicht wirklich wissenschaftlich messbar, aber es ist was, das ich in mir spüre und insofern kann ich es auch nicht leugnen. Und zudem, das Heidentum, das ich lebe, bezieht sich in meinem Weltbild auch auf Symboliken, symbolisches Handeln, das dann Auswirkungen auf meine wahrgenommene Realität hat. Das ist dann weniger spirituell, sondern einfach ein pragmatisches, rituelles Handeln, bestimmte Werte einzuüben auch – um eine Gemeinschaft zu bilden zum Beispiel, oder um Solidarität auszudrücken. Oder solche Sachen wie Liebe an Beltane zu unterstreichen, das ist ja nichts Esoterisches, Liebe existiert ja und ist schließlich auch nicht mit Wissenschaft messbar – und trotzdem wird sie mir wohl auch nicht widersprechen, wenn ich behaupte, dass Liebe etwas real Existierendes ist.“ Es fängt an zu regnen, Straßenschilder und dunkler werdende Wolken ziehen vorbei. Die 
Landschaft wird hügeliger und der Kombi biegt in immer unwegsamere, matschige Feldwege ein. „Du hast das Schlachtschiff aber gut im Griff“, sagt Elke zu Grit. „Ach, das ging schnell. Das war eigentlich ie schwer“, meint sie. „Es hat so eine tolle Kamera hinten dran.“ Unter den Regen, der an die Fensterscheiben klatscht, mischen sich immer deutlicher auch Schneeflocken. Schlechte Aussichten für die Planung des Maifestes.

„Ist nicht das Wetter, das man sich für eine solche Expedition wünschen würde“, lacht Elke. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie das Ganze in grün aussieht.“ Dadurch lässt sich das Orga-Team allerdings nicht entmutigen, immer tiefer in den Wald rumpelt das Auto. Rechts und links am Wegrand liegen abgeholzte Baumstämme aufeinander gestapelt, die keine Blätterkrone mehr tragen werden, genormt und lieferfertig, wie die bunten Schnittblumen, die heute überall im Angebot sind. Der Schnee bleibt jetzt liegen. Der Frühling, der gefeiert werden soll, schien nie weiter weg, weit und breit ist keine geeignete Lichtung in Sicht. Kapitän Christian kommandiert weiter zum Vormarsch. Ja, er ist sich sicher. Da und dort schwärmen die beiden Frauen aus, um sich in der Peripherie umzusehen, bisher ohne Erfolg. Am Wegrand hat der Förster ein paar abgebrochene Äste zu einem lodernden Scheiterhaufen aufgetürmt, das sich vom heftigen Schneefall nicht irritieren lässt. Ein Leuchten der Hoffnung. Auch bei Beltane wird wie immer ein Lagerfeuer im Zentrum stehen. „Mit meiner letzten Gruppe haben wir das so gemacht, dass jeder über das Feuer gesprungen ist und sich laut schreiend was gewünscht hat. Mit Christian müssten wir uns da was anderes einfallen lassen.“, überlegt Elke. „Ich bin das Feuer!“, ruft Christian. „Heiß genug bin ich.“ Es soll auch oft zwei Feuer gegeben haben, zwischen denen man herlaufen konnte. „Oder tanzen“, sagt Grit. Nichttänzer Christian weigert sich entschieden. „Du kannst ja mit deinem Joystick tanzen.“, scherzt sie und steckt alle mit dem Lachen an.

Das Pfadfinderheim Ettelscheid, in dem die Übernachtung stattfinden soll, schickt die Truppe noch einen Hügel weiter, da habe man eine Lichtung gepachtet. Doch auch diese liegt im Hang, das Gelände ist hier abschüssig und die Pfade eng und serpentinenreich – ebenerdiger Boden ist im Mittelgebirge rar.

Der holprige Weg hat alle durchgeschüttelt und langsam fühlt Christian sich nicht mehr wohl, er muss sich anders hinsetzen, irgendetwas schneidet ein und tut weh. Die Sicherheit loszuwerden, wird zum Entfesselungsakt. In Beziehungen mag der Angestellte des Bundesarchivs Stabilität, Langfristigkeit und feste Bindungen, solange diese Bindungen nicht zu Zwängen und Fesseln werden. Er hat viel experimentiert, auch in Beziehungen mit mehr als einer Person gelebt. „Ich hab mit Polyamorie Kontakt gehabt im Zeitraum nach meiner ersten Beziehung und hab gemerkt, dass viele monoamore Denkweisen überhaupt nicht mit mir harmonieren, so was wie Besitzdenken oder so was wie „Man kann nur einen lieben“ oder „die Liebe bezieht sich immer nur auf eine Person, die dann hochstilisiert wird“ ist nichts, was ich in mir trage. Und im polyamoren Kontext gibt es sehr viele Ansichten, die mir sehr behagen, zum Beispiel, dass man offen miteinander umgeht und den Austausch pflegt, welche Bedürfnisse man hat. Das ist was, das Polys immer wieder machen müssen, weil ansonsten das ganze System zusammenfallen würde. (…) Viele Polys sagen, sie sind eifersuchtsfrei – das kann ich jetzt nicht von mir behaupten, ich kann durchaus sehr eifersüchtig sein, ich weiß aber auch, dass es bei mir sehr stark mit Verlustangst zusammenhängt. Ich glaube, wenn ich die nicht hätte, dann wär ich auch eifersuchtsfrei, weil, allein die Tatsache, dass ein sexueller Kontakt nach außen besteht, macht mir keine Angst, die besteht bei mir wenn dann darin, dass die Freundin nicht mehr zurückkommt oder ich dann nicht mehr so viel wert bin. Ich hab viele Freunde im polyamoren Kreis, hab in der Zeit auch viele Menschen kennengelernt, die ich sehr wertschätze und von denen ich auch viel gelernt hab. Auch wenn ich jetzt in einer festen Beziehung bin, halte ich die Werte aus dem polyamoren Rahmen immer noch sehr hoch, muss ich sagen.“ Grit hat andere persönliche Erfahrungen gemacht und ein recht negatives Bild vom Miteinander in dieser Art von „Hupfleben“, sie fühlt sich leicht in Konkurrenz mit anderen, sagt sie. Sie befreit ihn aus den Gurten, schnallt ihn erst vom Auto, dann vom Rollstuhl und nimmt ihn in die Arme. Sie duckt sich unter dem Dach des Kombis, ohne recht zu wissen wohin mit ihrem Freund. Das Dirigieren wird zur Mühsal, das Auto ist zwar groß, aber doch sehr eng und ohne klare Anweisungen gibt es ein Chaos. Elke möchte nicht im Weg sein, weiß aber nicht genau, wie sie helfen kann. Der Rollstuhl ist sehr sperrig, vielleicht möchte Christian doch lieber damit nach draußen fahren? Es ist zu wenig Raum zum Atmen, die Stimmung wirkt angespannt bei dem sonst ausgesprochen souveränen Paar. Die Rückbank wird freigeräumt, damit Chris sich hinlegen kann, aber er möchte doch lieber auf den Fahrersitz. Liebevoll legt Grit ihn darauf ab und lockert den Bund der Strumpfhose, dann auch die Windel und lässt ihn ausruhen. Sie bugsiert sich durch die vordere Sitzreihe zu Elke nach hinten. Der Niederschlag lässt langsam nach. Die Verschnaufpause im Auto wird kurzerhand zu Recherchezwecken genutzt, Elke und Grit studieren Tonnen an Büchern zur keltischen Mythologie, der Rabenclan nimmt akademisch fundiertes Wissen sehr ernst. Das übergreifende Thema dieses Jahr sollen Feen sein, vielleicht tanzen sie auch wieder mit Vogelmasken, das haben sie schon einmal gemacht. Grit sitzt entspannt am Boden und liest einen Abschnitt über Kraniche als Symbol der Fruchtbarkeit vor.

„Ihre kultischen Tänze mag man sich als männlichen Initiationsritus vorstellen, die Tänzer vermummt mit Masken des Kranichs, des größten Zugvogels Europas. Seine Ankunft im Frühjahr bedeutete den Beginn des bäuerlichen Jahres – aber auch der Kampfsaison – sein Abflug dessen Ende.“

Christian hat auf Facebook eine eigene Seite als „Ambassador of Awesomeness“ – das ist nicht so leicht zu übersetzen, findet er. „Viele Leute ergeben sich so ein bisschen in ihr…in der Alltäglichkeit. Also geben sich mit Zufriedenheit zufrieden. Mit „Das ist ja ganz nett“ oder mit mediokrem Leben. Und ich mag’s extrem. Diese Mittelmäßigkeit, damit könnte ich nichts anfangen. Ich bin ein Mensch, der… ich glaub, wenn ich laufen könnte, oder wenn ich mich bewegen könnte, dann wär ich mit Sicherheit auch Extremsportler in irgendeiner Art und Weise. Sei es Fallschirmspringen oder Paragliding oder irgendwas. Dahinter steht ja ein gewisser Hang zur Erlebniswelt, zum Erleben von speziellen Situationen und auch wieder ein bisschen der Forschertrieb. Sachen zu entdecken. Ich mag es eben, solche Sachen zu erleben, die eine besondere, exzellente Qualität haben. Und im Deutschen gibt es da kein gutes Wort für. Im Allgemeinen wird „awesome“ mit „geil“ oder „super“ übersetzt, oder so, aber das trifft’s meiner Meinung nach nicht. Es hat so was von „Da steht einem der Mund offen“. Das sind Momente, die ich total mag und gerne die Welt mit durchfluten möchte. Und der Ambassador kommt daher, dass ich das tatsächlich auch in die Welt hinaustrage, es ist ein bisschen ein Spiel damit. Ironisch, mit einem Augenzwinkern – ich bin der Botschafter. Aber ich glaube schon, dass es vielen Leuten gut tun würde, mehr von dieser Qualität in ihr Leben zu holen. Wobei es natürlich auch ein ironisches Spiel mit dem ist, dass viele Menschen den Blick auf behinderte Menschen mit „Inspiration Porn“ werfen. Da gibt es so einen gewissen Narrativ, der erzählt; wenn man behindert ist und irgendwie sein Leben lebt, dass man dann eine Inspiration für andere ist, dass man irgendetwas bewältigt oder schafft oder so. Und das ist natürlich auch ein heimtückischer Narrativ, weil’s wiederum einen ausschließt. Dadurch dass man demjenigen unterstellt, dass er was Besonderes oder was Inspirierendes, ganz Außergewöhnliches macht, holt man ihn aus der Normalität wieder raus. Inklusion – das sollte ja so sein – bedeutet auch, dass jeder Mensch ein normales Leben führen kann. „Ich führ euch was vor, ich bin euer Vorbild“, – damit spielt man, wenn man so einen Titel wie Ambassador nimmt, sozusagen.“

Generell wünscht er sich von den Medien mehr Repräsentation von Behinderten, bei der es nicht um die Behinderung geht. Zur medialen Präsenz von Stephen Hawking ist er zwiegespalten, einerseits findet er es gut, dass seine Arbeit als Wissenschaftler im Fokus steht, aber: „Es gibt eben weit und breit nur ihn – das führt zur Klischeebildung und ich werde immer mit ihm verglichen, obwohl ich eine andere Krankheit habe, ich bin nicht er, ich bin auch nicht so intelligent, ich bin meinetwegen hochintelligent, aber eben nicht so wie er.“ Den Hollywoodfilm über die Beziehung des Ehepaars Hawking fand er allerdings gut, weil er nichts dichterisch beschönigte, um in das Raster des typischen Liebespaares zu passen. Zum Thema Ehe sind Chris und Grit auf der Linie; kann man machen, konkret für seinen Lebensplan gewünscht hat es sich aber keiner von beiden. „Für mich spielt’s jetzt persönlich nicht so eine Rolle,“, erklärt Christian, „weil ich auch außerhalb einer Institution eine Beziehung fest und stabil und in gegenseitiger Verantwortung leben kann. Ich mag glaube ich schon das Ritual, oder die Zeremonie vielmehr, einer Hochzeit, die Vorstellung, dass man das innerhalb einer Zeremonie unterstreicht finde ich total schön, könnte ich mir auch irgendwann vorstellen, aber das muss nichts Staatliches sein. Ich brauch keine Unterschrift von irgendeinem Angestellten von der Stadtverwaltung dafür, der mir bestätigt, dass ich meine Frau liebe. Brauch ich nicht. Das weiß ich, das weiß sie und das reicht.“ Für heute lassen die drei die Lichtung Lichtung sein, für die Hochzeit von Gott und Göttin wird sich schon ein barrierefreier Austragungsort finden.

Am Himmel fliegt, sehr früh dieses Jahr, ein Pfeil aus Zugvögeln, die aus dem Süden nach Hause kommen. Vielleicht sind es Kraniche. Christian ist ein Freigeist, der für alles Neue brennt, Grit, die mit Keramik arbeitet, kennt das Feuer gut, sie erdet ihn, ohne ihn zu beschweren, sie liebt das vulkanische Island und Tibet, wo die Menschen über den Wolken doch ganz mühelos bodenständig bleiben.

Nebeneinander spazieren sie auf Füßen und Rollen über den Waldweg, Krokusse strecken trotzig ihre lilafarbenen Köpfe durch die weiße Decke, ein lebendiger Valentinsgruß an eine gelebte Liebe.

Sexualität und Behinderung im Joyclub

Auf der Portalseite Joyclub.de wurden in den letzten Wochen zwei lesenswerte Beiträge zum Thema „Sexualität und Behinderung“ im redaktionell gepflegten Magazinteil veröffentlicht. Diese Beiträge entstammen aus einem Interview, welches im Sommer vergangenen Jahres mit mir und meiner Freundin geführt wurde.

Im ersten Beitrag geht es um Sexualität im allgemeinen und dort wird versucht mit althergebrachten Mythen und Missverständnissen auszuräumen. Im zweiten Teil wird es dann etwas persönlicher. Der Artikel dreht sich um das Thema Beziehung und Behinderung und meine Freundin und ich erzählen über unsere Partnerschaft.

Der Joyclub versteht sich als „Community für stilvolle Erotik“. Man findet dort interessante Foren, um sich mit anderen Interessierten auszutauschen, aber auch einen schönen Magazinteil. Außerdem kann man ähnlich zu einer Datingplattform ein eigenes Profil pflegen und mit anderen Mitgliedern Kontakt aufnehmen.

Hier die Links zu den beiden Beiträgen:

Neue englischsprachige Studien

Wieder einmal gibt es interessante Neuigkeiten zum Thema Sexualität und Behinderung – wieder einmal nicht aus dem deutsch- sondern dem englischsprachigen Raum. Es handelt sich um zwei verschiedene Studien. Die eine Studie kommt aus Kanada, die andere aus Australien und wir wollen Euch im folgenden beide kurz vorstellen.

Kanadische Doktorarbeit will Vorurteile gegenüber dem Thema „Sexualität und Behinderung“ abbauen helfen

Frau Margaret Campbell forscht in ihrer Doktorarbeit an der Concordia Universität in Montreal, Kanada darüber, wie Menschen mit Behinderung ihre Geschlechtlichkeit und ihre Sexualität entdecken und erfahren, inmitten gesellschaftlicher Vorurteile und Stereotypen, die Menschen mit Behinderung eher „ent-sexualisieren“.

Den Original-Bericht zur Studie findet Ihr unter diesem link: http://www.journalpioneer.com/News/Local/2015-11-16/article-4345128/Margaret-Campbell-using-PhD-study-to-erase-stereotypes-regarding-disabled-people-and-sexuality/1

Ein großer Teil der Forschung besteht darin, physische Barrieren, aber auch Barrieren in den Köpfen zu identifizieren, mit denen Menschen mit Behinderung konfrontiert sind. „Es ist sehr hilfreich die vielen Stimmen und Erfahrungen meiner Interviewpartner zu hören – und auch deren kreative Art, mit Probleme umzugehen“, sagt Frau Campbell. Sie möchte aus den Ergebnissen auch Strategien und Richtlinien für die Politik ableiten, um Menschen mit Behinderungen besser unterstützen zu können.

Aber auch Nichtbehinderte tragen zur Stigmatisierung und Aufrechterhaltung der Barrieren bei, weil sie Menschen mit Behinderung häufig keine Sexualität zugestehen, z.B. weil sie denken diese Menschen können oder wollen keinen Sex haben, oder sie können auch keine verantwortungsvollen Eltern sein.

Frau Campbell ist die Studie sehr wichtig, da das Thema Behinderung in Verbindung mit Arbeit, Bildung oder Inklusion mittlerweile auf politischer Ebene angekommen sei, das Thema Sexualität aber eher hinten runter fällt.

Schluß mit den Barrieren im Schlafzimmer – eine universitäre Studie aus Australien

Die Studie aus Australien versucht herauszufinden wie Menschen mit Körperbehinderungen dabei unterstützt werden können, Ihre Sexualität auszudrücken und zu leben. Es gibt Klienten die gerne ein Date hätten, oder ein/e Sexarbeiter/in in Anspruch nehmen oder auch einfach nur einen Porno gucken wollen. Dabei benötigen Sie unterschiedliche Arten der Hilfestellung, vom Transport über das An- und Ausziehen bis hin zur Unterstützung bei der richtigen Stellung während des Geschlechtsverkehrs.

Viele Menschen mit Körperbehinderungen benötigen Assistenz. Dabei kann deren Umgang mit dem Thema „Unterstützung bei der Sexualität“ sehr unterschiedlich sein. Es bestehen auch Ängste auf Seiten der Assistenten oder Organisationen, sich strafbar zu machen oder der sexuellen Belästigung, des Missbrauchs verdächtigt zu werden. Dies zu vermeiden und klare Richtlinien für dieses Thema zu entwickeln ist ein weiteres Anliegen der Studie.

Einer der Forscher betont: „So lange das Thema im Untergrund bleibt, erhöht dies das Risiko für Ausbeutung und Missbrauch sowohl für die Klienten, als auch für die Betreuer und Assistenten.“

Wer den Text im Original lesen möchte, findet ihn unter http://www.theage.com.au/national/more-sex-please-ending-barriers-in-the-bedroom-20151109-gkug7m

 

Thesen und Dialog zu Sex und Behinderung

Ich war im Oktober 2015 als Referent eingeladen, über das Thema Sexualität und Behinderung zu sprechen. Bei der Veranstaltung führten wir eine offene Diskussion in kleiner Runde. Dieser Post zeigt schlaglichtartige Ausschnitte der Gespräche, bei Themen und Thesen, die mir besonders interessant oder wichtig erscheinen. Sie wurden aus Gründen der Besseren Lesbarkeit überarbeitet und neu zusammen gewebt. Zur Wahrung der Anonymität habe ich die Namen geändert.

Wir kamen relativ schnell auf das Thema “Mythen und Vorurteile”, was ich hier als erstes beleuchten möchte.

Julia Ich wurde mal im Internat mal bloßgestellt. Mein damaliger Freund, der auch selbst ein Handicap hatte, nur nicht so stark wie ich, der konnte mich eigentlich ganz normal unterstützen. Aber andere Mädels haben gesagt „Aber was willste denn mit der? Die kann sich ja noch nicht mal selber den Hintern abwischen.“ Und dann war die Beziehung passé. „Die nutzt dich ja nur aus und schikaniert dich rum.“ Weil ich halt gewisse Dinge nicht alleine kann.

David: Ich muss über diese Situation lachen, weil ich ganz klar sag, das ist der Neid. Ich kenne das auch selbst. Ich bin ja hoch aktiv, ich bin zwar hochgradig gelähmt, aber ich gehe auch in Diskos und das ist genau der Punkt, wo ich schon so oft erlebt habe, auf der Tanzfläche beobachtet zu werden. Wenn ich da mit Frauen tanze,  flirte, oder mich mit denen unterhalte, wie auch immer. Da bekommt man Blicke zugeworfen, so „Was will die denn von dem behinderten Idioten?“ In der Anfangszeit hat es mich auch gestört, da ich natürlich auch auffalle. Meine Reaktionen waren damals entsprechend. „Was willst‘n du Idiot? Hast du nichts Besseres zu tun als mir da gerade blöd zuzugucken?“ Heute denke ich „Scheiß drauf.“ Und dann lache ich. „Wollen sie vielleicht zuschauen? Kommen sie her!“

Christian: Ich glaube, dass ist auch wirklich teilweise ein Problem. Ich meine, uns Behinderten ist es klar und wir können auch mittlerweile ganz gut damit umgehen, einfach aus der Erfahrung heraus, aber gerade für die Anderen, für die Partner, ist es schon teilweise schwierig, den Rechtfertigungsdruck auszuhalten. Ich glaube, das ist manchmal schon belastend für eine Beziehung.

Bernd: Ich glaube nicht, dass es spezifisch nur bei Behinderten so ist. Vielleicht wird es so empfunden. Aber ich glaube, Das geht auch anderen so.

David: Aber bei uns augenscheinlich einfacher einen einfachen Haken zu finden nach dem Motto „Was willst’n du mit sowas Behinderten?“

Christian: Meiner Meinung nach ist es aber nicht nur Neid, denn das Unverständnis kommt ja auch oft von Leuten, die gar keinen Grund zum Neid haben, z.B. bei Eltern. Ich habe beispielsweise bei meiner ersten Freundin die Erfahrung gemacht, dass die Eltern mich nie akzeptierten. Die haben es immer so dargestellt, als wäre ich ein guter Freund, was mich verletzte. Das war kein Neid, weil ich ja kein Konkurrenzverhältnis zu den Eltern hatte. Es war einfach nur Unverständnis und eine falsche Einschätzung, aufgrund von Mythen, Unwissenheit und Ähnlichem.

David Die Ausgrenzung, ja. Das geht so weit „Was denkt denn mein Umfeld darüber?“, das stimmt schon. Und falsche Vorstellungen gibt es häufig. Ich bin oft bei Seminaren, wo ich über das Thema Sexualität und Behinderung spreche. Da glaubt man mir oft nicht, dass ich trotz meines kompletten Querschnitts noch Kinder kriegen kann. Viele Menschen fragen sich “Kann der überhaupt Sex haben, wie funktioniert das überhaupt bei dem?” Außerdem verbreitet ist auch das Denken in der Gesellschaft „Wenn der ihr ein Kind macht oder sie nen Kind macht, da kommt bestimmt ein Rollstuhlkind bei raus.“

Julia: Der kleine Rollstuhl kommt gleich mit.

David: Spaß beiseite. Das Denken ist verbreitet: “Wenn behinderte Menschen Sexualität leben und die Frau wird schwanger, dann gibt’s auch gleich nen behindertes Kind und das können wir in der Gesellschaft ja gar nicht brauchen. Wir haben ja genügend behinderte Menschen, die ja so wie so nur ne Belastung für uns sind”

Julia: Ja, aber der Mythos, dass behinderte Menschen keinen Sex haben könnten erstreckt sich ja durchaus auch auf die Frau. Aber warum sollte die Frau nicht können können? Es sei denn jemand hätte Bedenken was kaputt zu machen oder so. Aber als behinderte Frau wirste dennuch gefragt „Könntest du überhaupt?“ Himmel, warum soll ich nicht können?

Christian: Ich glaube das ist relativ geschlechtsunabhängig. Vielleicht ist es als Frau noch schwieriger, weil als Frau noch höhere Schönheitsideale angelegt werden als an einen Mann.

David: Was das angeht, hatte ich heute Morgen erst eine Diskussion gehabt, was an Geld in der plastischen Chirurgie steckt, weil einfach ein Gesundheitsideal oder Schönheitsideal in der Gesellschaft suggeriert wird „Du brauchst Doppel D Oberweite, du brauchst genau eine Westentaille, dieses, jenes – und ess muss genau exakt symmetrisch sein.”

Christian: Und auch Selbstoptimierung. Immer mehr Leistung.

David: Dabei sind solche Ideale ein gesellschaftlich-kulturelles Phänomen: beleibte Menschen waren früher Sexsymbol. Weil sie einfach als Reichtum galten, als wohlhabend. Deswegen waren die damals attraktiv.

Christian: Was ideale angeht, hängt meiner Erfahrung nach die Hemmung, eine Partnerschaft mit einem behinderten Menschen einzugehen, oft damit zusammen, dass man eine zu hohe Erwartung an Partnerschaft allgemein hat. Das Bild ist, dass man bis ans Lebensende mit jemanden zusammen bleiben will und nur mit diesem einen Menschen. Dann kommt vielleicht zuerst der Gedanke „Oh, mit dem Behinderten – will ich das? Nee, das vielleicht dann doch nicht.“ Viele haben Angst vor dieser gesellschaftlich geprägten Bild, dass es „Der jetzt sein muss.“  Aber wenn man erst mal den Druck raus nimmt und ein bisschen offener bleibt, kann man  Möglichkeiten schaffen, um die Beziehung erst mal zu entwickeln. Man sollte Partnerschaft so gestalten, dass sie harmonisch ist und es machbar erscheint.

Außerdem sind Selbstbewusstsein und eine positive Selbstwahrnehmung für Partnerschatün und ein erfülltes Sexualleben ganz wichtig. Das ist es ein Punkt, wo Sexualbegleitung über einen gewissen Punkt hinweg helfen kann – zum Beispiel, dass man sich selber auch wieder attraktiv fühlt. Für mich persönlich hat es eben den absoluten Klick gegeben, als ich mich mit dem Thema Devotees beziehungsweise Amelos beschäftigt habe. Also, Leute, die Behinderung als sexuelle Neigung haben und dies Anziehend finden. In dem Zusammenhang habe ich das erste Mal erlebt, dass es ein ganz anderes Bild gibt, was wir Behinderte bei denen haben. Ich als attraktive Person. Eben wie manche Leute auf Rothaarige oder große Brüste stehen oder was weiß ich, stehen die eben auf Behinderte. Und da habe ich so zu sagen einen Marktvorteil. Das zu spüren hat mit mir und meinem persönlichen Selbstbewusstsein ganz viel gemacht. Natürlich kann man überlegen, dass wenn es extrem wird, dass man dann vielleicht nur als Sexualobjekt gesehen werden könnte; aber bei den Devotinen, die ich kennengelernt habe ist es definitiv nicht so. Die sehen mich als Ganzes an, in meiner kompletten Persönlichkeit.

David: Das sehe ich auch so: bewusst die Person sehen, nicht den Fetisch. Aber gilt auch bei “Normalen”: Ich muss die Person sehen, nicht nur Titten oder das Becken, weil es gebärfreudig ist, sondern mit ihr zusammen einen Weg gehen wollen. Dazu gehört natürlich auch das Zwischenmenschliche – genauso wie die Sexualität.

Christian: Natürlich. Wichtig ist dabei auch, dass jeder sich mit sich selber und seinen Bedürfnissen auseinander setzen sollte: Zu erforschen, was will ich denn, was ist mir wichtig? Und nicht zum Beispiel Monogam ist, oder was auch immer, nur weil das gesellschaftliche Forderung oder kulturelle Norm ist. Das ist glaube ich was, wo ganz viele Leute einfach das machen, was jeder macht. Und ich glaube gerade wir behinderten Menschen haben den Vorteil, dass wir so wie so sehr stark über unsere Bedürfnisse nachdenken und reflektieren müssen und wir das eben gewöhnt sind.

David: Ich sage es ganz krass: Ich glaube etwas Besseres hätte mir nicht passieren können, als im Rollstuhl zu landen. Weil ich habe so einen anderen Blick auf viele Sachen, was Sexualität, was das Leben betrifft. Diese Erfahrung habe ich gewonnen. Ich muss andere Werte leben, ich muss mich ganz anders mit vielen Dingen auseinandersetzen. Deswegen finde ich einfach das Leben schön.

Bernd: Du hast es aber nicht immer so gesehen?

David: Ich bin relativ schnell dazu gekommen. Schon in der Rehaklinik hat die Stationsärztin mich zum Psychologen geschickt, weil sie es ganz komisch fand, dass ich schon nach einem halben, dreiviertel Jahr so gut drauf war: „Da stimmt irgendwas nicht.“ Man muss dazu sagen, ich hab eine bewegtes Leben hinter mir und ich war ein kleiner Gefahrenjunkie. Natürlich gab es nach meinem Unfall immer mal wieder so Phasen, die scheiße waren; gerade wo sich meine Exfrau andertalb Jahre nach dem Unfall von mir getrennt hat. Aber ich konnte mich da ganz gut fangen. Ich lege sehr großen Wert auf meine Selbstständigkeit.

Christian: Aber ist doch gut, dass du da so schnell wieder raus gekommen bist. Und deine Frau hat sich – wenn ich so dreist fragen darf – wegen der Behinderung dann nach dem Unfall getrennt?

David: Ja. Sie hat es zwar immer erklärt damit, ich hättemich so stark geändert, aber sie auch mal bisschen durch die Blume gesagt „Ich kann mir das eigentlich nicht so richtig vorstellen, nur Lecken und Ficken.“

Christian: Auch schade, oder? Das ist aber auch etwas, was weit verbreitet ist und wo auch noch viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden müsste. Eben, dass Sexualität nicht nur Möse und Schwanz bedeutet, sondern den ganzen Körper und dass da die Leute nicht so auf das eine Körperteile fixiert sind.

David: 95% der Frauen und 98% der Männer sind einfach nur blöd, weil sie genau im Großen und Ganzen das denken. Vor dem Unfall hat sich auch bei mir vieles darauf einfach fixiert. Jetzt hat sich das geändert Und ich frage hin und wieder in den Seminaren „Was ist Sex? Was ist das überhaupt? Was ist Sex? Wo fängt‘s an, wo hört‘s auf?“ Die Antworten sind ganz interessant: Die einen sagen „Das ist das Geschlecht, das weißt du doch, Geschlechtsverkehr.“ Ich entgegne dann: “Schon mal feuchte Träume gehabt? Mit Sicherheit oder? War da ein Partner oder eine Partnerin neben dran und hat da irgendetwas gemacht? Ist das kein Sex?” Sex ist nur eine Kopfsache und der Körper ist nur ein Werkzeug dazu.

Doppelbett mit Liebesbrücke

In autobiographischen Buch schreibt Aline Engels (*) über ihre Beziehung zu einem Mann mit Behinderung. Meine Freundin und ich haben es gelesen und haben uns an einigen Stellen wiedererkannt. Das Buch ist amüsant und interessant und man bekommt schnell einen Bezug zur Lebenswelt der Protagonisten. Auch die üblichen Probleme in einer solchen Konstellation sind gut dargestellt. Wem allerdings das Genre „Liebesroman“ absolut nicht zusagt, der wird sich auch mit dieser Geschichte nicht 100 % anfreunden können, am Ende ist es halt eine Liebesgeschichte, auch wenn die Umstände für Romane neu sind. Ich finde aber, das ist auch gut so, denn es zeigt die Normalität von Beziehung, auch wenn ein Partner behindert ist.

Ich hatte die Gelegenheit Aline Engels und ihren Mann Tim Erdmann zu ihrem Buch zu interviewen.

Aline, du schreibst in deinem Buch „Doppelbett mit Liebesbrücke“ über deine Beziehung zu einem behinderten Mann. Sag doch mal kurz in eigenen Worten, warum es in dem Buch genau geht.

Das Buch ist eine Biografie. Es geht um das Kennenlernen, Liebenlernen, die Beziehung zu meinem schwerbehinderten Mann, der rund um die Uhr auf Assistenz angewiesen ist, und die Besonderheiten in unserem gemeinsamen Leben mit Assistenz. Klicken Sie auf den Link, um weitere Informationen zu diesem zu entdecken.

Wie bist du denn auf die Idee gekommen, ein solches Buch zu schreiben? Was war deine Motivation und wen möchtest du damit erreichen?

Die Liebe zu meinem Mann ist wie eine Naturgewalt. Ich bin ein nüchtern denkender Mensch, der sein Leben komplett durchgeplant und durchstrukturiert hat. Und auf einmal hat dieser Mann mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Als nicht-behinderte Frau hatte ich eine Menge Fragen, die mir kein Wikipedia oder Google beantworten konnte. Ich wusste auch nicht, wen ich hätte fragen können.

Mir hat die Beziehung von Fridl und Franzi Mut gemacht. Auf Fridls Homepage fand ich ein paar Antworten auf meine Fragen. Die Filme von den beiden machten mir Mut. Ich war dennoch sehr unsicher und hatte große Ängste.

Die Beziehung zu meinem Mann ist für mich so wahnsinnig bereichernd, dass ich mir dachte, dass es auch für andere möglich sein muss. Und wenn sich wieder ein Nicht-Behinderter in einen schwerbehinderten Partner verlieben sollte, so soll mein Buch und unsere Geschichte einfach Mut machen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.

Mir ist aufgefallen, dass eigentlich alle in deinem Umfeld, die du im Buch beschreibst sehr positiv auf eure Beziehung reagiert haben. Gab es auch negative Stimmen? Wenn ja, wie seid Ihr damit umgegangen?

Es gab wirklich ausschließlich positive Reaktionen in unserem Bekannten- und Freundesumfeld. Einige in meinem Bekanntenkreis reagierten erst etwas unsicher, aber Tim konnte immer sofort diese Unsicherheit nehmen. Er ist ein sehr offener Mensch, der seine Behinderung zu 100 Prozent akzeptiert hat. Das macht es für andere leicht im Umgang mit ihm.

Ein Assistent von Tim hat zuerst sehr unsicher und eher zurückhaltend auf unsere Beziehung reagiert. Das war unseres Erachtens aber eher aus dem Gefühl des Machtverlustes heraus. Im Kapitel Supervision gehe ich näher darauf ein. Tim konnte auch nicht mit ihm darüber sprechen, weil er immer behauptete, es gäbe kein Problem.

Einmal saßen wir in einer Strandbar an der Nordsee und ich küsste Tim, so wie immer. Tim sagte mir später, dass das Pärchen am Nachbartisch komisch geguckt hätte. Mir ist es nicht aufgefallen, wahrscheinlich fehlt mir dafür einfach der Wahrnehmungsfilter. Mich interessieren fremde Leute nicht; unsere Freunde und Bekannte haben einfach super offen reagiert. Es ist auch das einzige Mal gewesen, dass Leute komisch geguckt haben.

Meine Eltern haben eher distanziert auf die neue Beziehung von mir reagiert, das hatte aber nichts mit Tims Behinderung zu tun (von der wussten sie ja lange nichts), sondern einfach aus Sorge um mich. Ich bin als junger Mensch sehr übel auf einen Mann hereingefallen und diese Sorge haben meine Eltern halt immer noch, dass mir das nochmal passieren könnte.

Manche Leute, die uns nicht näher kennen, könnten ja der Meinung sein, dass sich nur Nicht-Behinderte mit Helferkomplex auf einen schwerbehinderten Menschen einlassen können. Aber wer Tim und mich kennt, der weiß, dass dieser Gedanke bei uns völlig absurd ist. Ich habe keinen Helferkomplex (bzw. mein kleiner Helferkomplex ist sehr gut reflektiert) und Tim hätte sich niemals auf eine Partnerin mit Helferkomplex eingelassen.

Tim, es hat ja ziemlich lange dauert, bis ihr zusammen wart. Aline meint zumindest, dass du sie lange hast zappen lassen. Als Grund schreibt Aline von einer Mauer, in die du zum Selbstschutz um dich herum errichtet hast. Oftmalige Enttäuschung kennen viele behinderte Menschen und oft ist auch das Selbstbewusstsein nicht besonders stark. Was würdest du anderen behinderten Menschen raten, nachdem du die Erfahrung mit Aline machen konntest?

Sicherlich tut jeder Korb, den man bekommt, sehr weh, aber die Chance nicht wahrzunehmen, den – aus meiner Sicht – einzigen Menschen zu finden, welcher perfekt zu einem passt, wäre die größte Dummheit des Lebens. Eine 100%ige Sicherheit gibt es nicht, ob die Beziehung hält und ob es wirklich der richtige Partner sein wird. Ich kann nur jedem Menschen mit Behinderung raten, auf sein Bauchgefühl zu hören, wenn die Schmetterlinge fröhlich flattern und man es wirklich ernst meint, sich auf das „Abenteuer Liebe“ einzulassen! Es ist ein unbeschreibliches Glück in einer bedingungslosen und gleichberechtigten Partnerschaft leben zu können und rechtfertigt auch das Risiko eines sicherlich schmerzhaften Scheiterns! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Habt den Mut Wege zu beschreiten, welche Ihr nie gehen wolltet, weil Ihr Angst habt vor der Ungewissheit und der Enttäuschung. Ehrliche Liebe, Vertrauen und Zuversicht machen es einem leicht, diese Ängste zu überwinden!

In deinem Buch gibt es einige Menschen, die neben euch beiden eine Rolle spielen, zum Beispiel Tims Assistenten. Was halten die davon? Erkennen sie sich wieder? Gab es Bedenken?

Tims Assistenten haben – bis auf einen – alle positiv reagiert. Sie haben sich ehrlich für uns gefreut. Kleine Irritationen traten eher unbewusst auf. Siehe Kapitel Supervision. Unterschwellig hatten einige wohl Angst um ihren Job, Tim hat sie nicht mehr in seine kleinen Geheimnisse eingeweiht. Er hat sich dann auch mehr abgegrenzt. Zu manchen Assistenten war das Verhältnis vorher vielleicht zu eng – nun ist es gesund distanziert.

Die Assistenten wissen übrigens noch nichts von dem Buch. Bin gespannt, wann es der erste herausfindet 😉 Ich tippe auf Robin.

Es haben inzwischen einige Assistentenwechsel stattgefunden. Von den „alten Vor-Aline-Assistenten“ gibt es leider nur noch zwei im Team. Die anderen sind aus verschiedensten Gründen ausgeschieden: Krankheit, Studium fertig, berufliche Veränderung usw.  Das ist ein Job, den man wahrscheinlich nicht bis ins hohe Alter machen kann.

Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Assistenten, auch zu den Ex-Assis, bis eben auf den einen Ex-Assi, der von Anfang an ein Problem damit hatte, dass eine Frau in Tims Leben kam.

Das Buch endet kurz nach eurer Hochzeit. Erzähl doch mal noch ein bisschen, was es seitdem neues gibt, welche Ereignisse sich seitdem noch ergeben haben.

Nach der Hochzeit habe ich versucht, mein Eheversprechen einzuhalten und weniger zu arbeiten. (Es ist mir noch nicht so ganz gelungen)

Ich habe daher meine Firmen so umstrukturiert, dass sie nach Möglichkeit auch ohne mich funktionieren.

Auch Tim möchte nicht sein Leben lang arbeiten müssen. Er wird zwar sein Leben lang Chef sein, aber so organisatorische und administrative Abläufe haben wir in einen Verein ausgelagert. Die Dienstpläne, die Stundenzettel, die Über- und Unterstundenberechnung oder Urlaubsberechnung macht nun das Sekretariat des Vereins für ihn.

Da es in unseren Firmen allerdings sehr „menschelt“, wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, sich völlig aus dem Tagesgeschäft herauszuziehen. Wir planen die Einstellung eines Geschäftsführers, der unsere Aufgaben übernehmen kann, aber dafür die richtige Person mit dem richtigen Hintergrundwissen zu finden, ist schwierig.

Wir machen regelmäßig, ungefähr zweimal im Jahr, Urlaub. Wie im Buch beschrieben, fahren wir einmal nach Italien, Nähe Venedig, und einmal an die Ostsee.

Fridls plötzlicher Tod hat uns sehr getroffen und er fehlt uns total. Die Freundschaft zu Fridl und Franzi war sehr intensiv und wir hatten so viele Gemeinsamkeiten. Es tut uns weh, zu sehen, wie sehr Franzi immer noch leidet und trauert. Die „Münchener Truppe“ und unsere gemeinsamen Urlaube in Italien sind nicht mehr so wie früher. Fridl fehlt ganz einfach. Ich finde es schade, dass er das Buch nicht mehr lesen konnte. Er starb, als der Roh-Entwurf fertig war.

Ich glaube und hoffe, es hätte ihm gefallen. Ich hatte ihn bei einem unserer letzten Chats noch nach kreativen Schimpfwörtern für Tim gefragt und fast alle sind in dem Buch verarbeitet. Es tröstet uns, dass Fridl so intensiv gelebt hat und glücklich und ohne Schmerzen einfach eingeschlafen ist.

In der Zeit, in der das Buch spielt, seid Ihr wirklich sehr verliebt ineinander. Mir persönlich ist das Buch deswegen vielleicht ein bisschen zu rosarot. Gab es auch Momente des Frusts oder Streit und wie geht ihr damit um?

Wie bereits oben erwähnt, bin ich ein nüchtern denkender Mensch, der gerne plant und organisiert. Dass ich ein so gefühlsbetontes Buch überhaupt schreiben konnte, verwundert daher so manchen eingeweihten Bekannten, der das Buch gelesen hat. Wir sind nach wie vor genauso verliebt ineinander und zeigen es auch. Uns ist das auch nicht peinlich, sondern es ist eben genau so, wie wir es fühlen. Die Assistenten ziehen uns heute noch auf, dass wir uns wie verliebte Teenager verhalten.

Und was heißt schon „zu rosarot“? Ein Leser hat geschrieben, es wäre ihm an der einen oder anderen Stelle zu schnulzig. Mag sein, ich bin halt Tims größter Fan und komme leicht ins Schwärmen, wenn ich über ihn schreibe. Es ist eben eine Biografie, die Szenen sind echt und ich habe es eben genau so empfunden. Tim sagt selbst manchmal, ich hätte eine rosarote Brille auf, aber ich finde, wenn man einen Menschen so sehr liebt, dann darf das auch so sein.

Tim fragt zum Beispiel: „Wie sehe ich aus? Muss ich mich rasieren oder umziehen?“ Und ich singe: „Du siehst suuuuper aus!“ Strahle ihn an und tanze um ihn herum. Er verdreht dann gespielt übertrieben die Augen und fragt lieber seinen Assistenten um Rat. 😀

Frust und Streit gab es niemals zwischen uns, wir harmonieren total. Meinungsverschiedenheiten kommen vor, sind aber selten. Wir sprechen darüber, aber wir müssen ja nicht zwingend immer einer Meinung sein. Wir haben auch einen ähnlichen Humor. Es ist eine in jeder Hinsicht sehr erwachsene und harmonische Beziehung.

Du schreibst, eines der größten Hindernisse für die Liebe ist die deutsche Gesetzgebung in Bezug auf Assistenz. Was würdet ihr euch in dieser Richtung wünschen?

Natürlich wünschen wir uns, dass die Teilhabeleistungen (Assistenzleistungen für Tim) nicht an die Sozialhilfe gekoppelt sind und bald einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werden. Tim behauptet jedoch, das dauert bestimmt noch 20 Jahre. Das hätte damals mit dem Arbeitgebermodell genauso lange gedauert.

So bleibt uns, wie vielen anderen auch, keine andere Möglichkeit, als mit der Situation zu leben und irgendwie das Beste daraus zu machen. Wir sind in dieser Hinsicht auch sehr kreativ, beraten auch andere Paare in ähnlicher Situation, aber es ist ein blödes Gefühl, immer tricksen und aufpassen zu müssen.

Tim und ich, wir werden nicht vor Gericht oder in der Öffentlichkeit für eine Änderung der Gesetzgebung kämpfen, aber wir sind froh und dankbar, dass es andere tun. Tim hatte seine Zeit, in der er behindertenpolitisch sehr aktiv war; jetzt möchte er einfach nicht mehr kämpfen. Wir wollen jetzt die Zeit miteinander genießen.

Vielen Dank euch Beiden für das Interview und noch ganz viel Romantik und gemeinsame, schöne Erlebnisse!

Das Buch „Doppelbett mit Liebesbrücke“ gibt es im Buchhandel oder bei Amazon als Kindle-Edition.

(*) Alle Namen und Orte, die im Buch vorkommen, sind geändert.

Kampagne „Yo me masturbo“ („Ich masturbiere“)

Ohne Unterstützung gehört mein Körper nicht mir. Sexuelle Hilfe ist ein Recht.

Viele Menschen mit Behinderungen brauchen die Hilfe einer anderen Person, persönliche Assistenz, bei der Erledigung vonrtäglichen Aktivitäten (Hygiene, Aufstehen, zu Bett gehen …). Wenn der Bereich der Sexualität betroffen ist, spricht man von sexuller Assistenz. Über beides bestimmt die unterstützte Person selbst und beides ist ein Grundrecht.

Die Kampagne zeigt sexuelle Assistenz für Menschen mit Behinderungen als Unterstützung für den sexuellen Zugang zum eigenen Körper. Dieser Zugang ermöglicht es, zu erforschen, zu masturbieren oder Sex mit anderen Menschen, die nicht sexuelle Assistent sind, zu haben. Es gibt zwei 40-Sekunden-Videos mit dem Titel „Yo me masturbo“ („Ich masturbiere“).

In den beiden Videos werden Menschen gezeigt, die sich offen dazu bekennen, zu mastubieren, weil sie dadurch zum Beispiel ein besseres Körpergefühl oder mehr Lebensfreude erhalten. Als Kontrast dazu sagt ein behinderter Mensch jeweils am Ende des Films, dass er nicht mastubiert, weil er beziehungsweise sie das ohne Hilfe nicht kann.

Die Kampagne soll sowohl auf den neuen Film “Vivir y otras ficciones” („Leben und andere Fiktionen) des spanischen Filmemachers Jo Sol aufmerksam machen. Dieser ist gerade in Produktion und soll 2016 erscheinen. Eines der Themen des Films ist sexuelle Assistenz.

Ja, Menschen mit Behinderung haben Sex…und vielleicht sollten wir drüber sprechen

Die britische Nachrichtenagentur BBC ist schon lange sehr aktiv in der Berichterstattung rund um das Thema „Behinderung“. Es gibt eine eigene Radioshow mit Podcast zum Download und einem Blog unter dem Titel „Ouch BBC“. Kürzlich gab es einen Bericht zum Thema Sex und Menschen mit Behinderung, den wir hier kurz auf Deutsch zusammenfassen werden. Allen, die der englischen Sprache halbwegs mächtig sind, empfehlen wir alles rund um „Ouch“ – wirklich gut gemacht, von Menschen mit Behinderung – witzig und informativ zugleich!

Ja…Menschen mit Behinderung haben Sex

Darin berichtet unter anderem der 19-jährige Jack über seine Erfahrungen. Er hat eine Hemiplegie, also eine halbseitige Lähmung. Wenn er in Online-Portalen Menschen kennenlernt und seine Behinderung erwähnt brechen einige den Kontakt zu ihm ab, manchmal sogar mit negativen Kommentaren wie „das ist ja eklig“. Er kann darüber meistens lachen, denn, so sagt er selbst: „Ich habe mir eine dicke Haut zugelegt – so bin ich.“

Die 24-jährige Holly (Cerebralparese und Sklerose) sucht ebenfalls nach einem Partner in Online-Börsen. Sie macht die Erfahrung, dass ganz viele Menschen sie nach ihrem Sexleben fragen, oder einfach annehmen, sie wäre sowieso Jungfrau. Von den Menschen die sie kennenlernt behandeln manche ihre Behinderung als Tabu und vermeiden das Thema, nur wenige sprechen mit ihr wie mit einer ganz „normalen“ Person. Viele Menschen machen sich Sorgen, sie könnten Holly beim Sex verletzen oder ihr weh tun, aber das ist nicht der Fall. „Du kannst auch mit Behinderung ganz normal Sex haben“, sagt sie.

Neue Kampagne „End the awkward“ – „Beende die Unsicherheit“

Neue Forschungsergebnisse des Projekts „Scope“ zeigen, dass nur etwa einer von zehn Nichtbehinderten schon einmal ein Date oder eine Beziehung mit einem Menschen mit Behinderung hatte. In ihrem neuen Projekt „End the awkward“ (das heißt soviel wie: Beende die Unsicherheit) versuchen Sie Nichtbehinderten den Umgang mit Menschen mit Behinderung zu erleichtern.

Aber kommen wir nochmal zurück zu Jack. Er hat gerade eine neue Beziehung begonnen und sagt, er fühle sich sehr selbstbewusst und hat keine Probleme, Leute anzusprechen wenn er ausgeht. Seine jetzige Freundin hat er ebenfalls beim Ausgehen kennengelernt. Obwohl der Großteil seiner Erfahrungen positiv ist, hat er auch schon viele negative Kommentare und Bemerkungen hören müssen.

Die Kampagne „End the awkward“ versucht, Nichtbehinderte offener zu machen, auf Menschen mit Behinderung zuzugehen. Ihre Befragung von etwa 2.000 Personen hatte ergeben, dass mehr als die Hälfte der 18- bis 35-Jährigen noch nie ein Gespräch mit einem Menschen mit Behinderung angefangen haben. Drei Viertel der Befragten haben noch nie einen Behinderten zu einem gesellschaftlichen Anlass eingeladen.

Jack sagt, er geht gerne aus. Aber Holly macht eher frustrierende Erfahrungen: „Wenn Du in Clubs und Bars gehst, versuchen die Leute entweder, dich mit ihren behinderten Freunden zu verkuppeln, oder sie sind betrunken und wollen einmal mit dir schlafen, damit sich dich von ihrer Liste streichen können. Auch wenn es frustrierend ist, du musst einfach weitermachen, weiter suchen, oder? Da draussen gibt es für jeden jemanden!“

(Quelle: BBC newsbeat, Amelia Butterly, 5.Oktober 2015)

 

 

Liebe mit Laufmaschen

Jennifer Sonntag ist blinde Sozialpädagogin, Autorin und Moderatorin der „SonntagsFragen“ im MDR-Fernsehen.Sie beschäftigt sich seit Jahren in meiner Arbeit und meinen Büchern mit der Erotikwahrnehmung blinder Menschen/frauen und bemüht sich, dieses „Doppeltabu“ zu brechen. Jetzt stellt sie ihr neues Projekt vor.

Sie hat mit ihrem sehenden Partner gemeinsam das Literatur- und Kunstprojekt „Liebe mit Laufmaschen“ ins Leben gerufen. Die Laufmasche kann dabei durchaus als verstecktes Symbol für Behinderung verstanden werden, sie stellt aber auch immer eine Inspiration dar, denn das vermeintlich „unperfekte“ macht für uns einen Menschen erst erotisch interessant. In ihrem gleichnamigen Buch, eine Sammlung erotischer Kurzgeschichten, hat jeder Protagonist so eine „Laufmasche“, eine Besonderheit im Leben, einen Fetisch, einen inspirierenden Fehler. Dabei stellen wir in ihrem Buch keine Behinderungen vor, es ist also kein Buch über Behinderungen, aber Jennifer Sonntag meint: „Ich habe eben als Blinde, als Autorin mit kleiner Laufmasche, aus meinem Kopfkino heraus geschrieben und somit eröffnet es wieder eine ganz andere Sichtweise. Ich wünsche mir, dass Frauen mit Behinderung als sinnliche Menschen wahrgenommen werden, die erotisch denken, schreiben, handeln und vielleicht sogar nicht behinderte Leser inspirieren.“

In der „Blind-Galerie“ auf der Seite www.Liebe-mit-Laufmaschen.de finden Sie auch die barrierefreien erotischen Zeichnungen, die Jünnifer Sonntag mit ihrem Partner entwickelt hat. Auch hier möchte sie zeigen, dass „blinde Flächen“ viel Raum für Fantasie bieten und man aus seinem Kopf heraus durchaus auch im erotischen Sinne kreativ werden kann.

Links:

Menschen mit Behinderung zahlen auch für Sex – was passiert wenn Kunden Kriminelle werden?

Im sogenannten nordischen Modell, werden nicht Prostituierte kriminalisiert, sondern deren Kunden, also Menschen, die für Sex zahlen. Diesem Modell, das vor allem aus Schweden bekannt ist, folgt nun auch Nordirland – und einige andere Länder überlegen, das Gleiche zu tun.

Die Diskussion über dieses Modell dreht sich meistens um die Frage, ob die Kriminalisierung der Kunden („Freier“) die Sicherheit und das Wohlbefinden der Prostituierten gefährdet. Und es gibt noch eine weitere Facette – die sexuelle Befriedigung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, zum Beispiel Menschen mit Behinderung.

Menschen mit Behinderung werden oft als weniger sexuell angesehen. Der gesellschaftliche Blick auf ihr Verlangen und Lustempfinden wird oft von Vorurteilen und Stigmatisierung geprägt, sowie durch mangelndes Bewusstsein. Das kann dazu führen, dass es für Menschen mit Behinderung schwieriger ist, einen geeigneten Partner oder eine geeignete Partnerin für das Ausleben ihrer Sexualität zu finden.

Die Zeitung „Disability Now“ (Behinderung Jetzt) hat im Jahr 2005 eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt. Darin antworteten etwa 12% der männlichen Teilnehmer, dass sie schon mal für Sex bezahlt hatten. 40% der Männer und 16% der Frauen haben zumindest schon mal darüber nachgedacht, obwohl nur 1% der Frauen diesen Schritt tatsächlich getan hat.

Die Sex-Industrie abzuschaffen und Freier weiter zu kriminalisieren steht schon lange auf der Agenda der britischen Regierung. Den Klienten wird unterstellt, den Drogenhandel zu fördern und die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten voran zu treiben. Die Zahl der Festnahmen für das Aufsuchen einer Sexarbeiterin oder eines Sexarbeiters stieg in London von 81 im Jahr 2010 auf 180 im Jahr 2013.

Dämonisierung von Freiern

Freier werden oft als Männer dargestellt, die gerne Frauen degradieren, oder auch als gewalttätige Charaktere, die Freude daran finden, Frauen zu missbrauchen. Die Forschung allerdings widerspricht diesen Aussagen überwiegend. Die Gründe, warum Freier Prostituierte aufsuchen können sehr vielfältig sein. Dazu zählen sexuelle Frustration, der Wunsch nach mehr Abwechslung in der Wahl sexueller Partner, das Verlangen nach ungewöhnlichen oder besonderen Sexualpraktiken, der Reiz, etwas Verbotenes zu tun, sich nicht auf eine Partnerschaft festlegen zu wollen, Einsamkeit, oder schlicht das Problem, keine Partnerin zu finden.

Auf einer britischen Seite, auf der Freier sexuelle Dienstleistungen bewerten können, erfährt man mehr über die Gründe, warum Männer Sex kaufen. Nur eine Bewertung war sehr abfällig und respektlos.

Die große Mehrheit der Beiträge konzentrierte sich auf den geleisteten Service und die Charakteristik der Prostituierten und war im allgemeinen sehr positiv. Etwa 30% der Kommentare behandelten speziell den „Freundinnen“-Aspekt der Frauen und noch mehr handelten von Dingen wie Augenkontakt, küssen und kuscheln. Das zeigt, dass die Männer nicht nur Sex, sondern auch Nähe und Intimität suchen. Die Rückmeldung von Klienten mit Behinderung waren besonders positiv.

Spezielle Angebote für Menschen mit Behinderung

Tuppy Owens, Sexualtherapeutin und Gründerin der TLC Stiftung, die Menschen mit Behinderung mit Prostituierten in Kontakt bringt argumentiert, dass eine Kriminalisierung der Kunden für Menschen mit Behinderung besonders tragisch wäre. Andere Freier können in den Untergrund ausweichen, wenn sie Angst haben, entdeckt zu werden. Das sei für Menschen mit Behinderung schwieriger, weil sie teilweise auch noch eine außenstehende Person benötigen, die ihnen beim Kontakt behilflich ist.

Eine Kriminalisierung würde es für manche Menschen mit Behinderung schlicht unmöglich machen, käufliche sexuelle Dienstleistungen weiterhin in Anspruch zu nehmen.

Touching Base ist eine weitere Organisation aus New South Wales in Australien, die Sexarbeiter an Menschen mit Behinderung vermittelt. Sie schult Sexarbeiter darin, im Umgang mit Behinderten informiert zu sein und das nötige Vorwissen bezüglich besonderer Bedürfnisse zu haben. Derartige Dienstleistungen wären unter einer Kriminalisierung nicht möglich.

Wir müssen anerkennen, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Bedürfnisse nach Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse haben und dass nicht jeder dafür einen Partner im realen Leben und ohne professionellen (bezahlten) Hintergrund finden kann. Wir sollten Initiativen, die dafür eine sichere Umgebung schaffen eher fördern als verhindern.

(Übersetzung eines Artikels aus „The Conversation“)

 

Podiumsdiskussion zu Sexualität und Behinderung in Leipzig – Teil 2

Heute setzen wir nach einer kürzeren Pause die Dokumentation zur Podiumsdiskussion in Leipzig fort. Zum ersten Teil geht es hier.

Weiter geht’s:

Peter:

Es gibt da noch nen Arbeitskreis Sexualpädagogik in Leipzig und wir haben auch in den letzten Jahren Fachtagungen organisiert zum Thema Sexualität in Kitas und das waren ganz, ganz schnell die besorgten Eltern auf dem Plan. Es gibt auch Gegenwehr, das ist richtig, aber wir wollen dort immer wieder dran bleiben. Und nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen merken, dass in diesem Bereich sich viel, viel öffnet. Und das finden wir auch toll und arbeiten sehr gerne mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, weil wir erleben, dass die sehr, sehr offen sind. Aber ich geh immer nach Haus mit vielen, vielen Fragen im Kopf wie ist das realisierbar, wie ist das machbar? Es gibt nach wie vor noch viel zu viel Hürden.

Aber ich seh noch eine Frage im Publikum.

Mann aus Publikum:

Ich stelle mir einfach die Frage ob es nicht wichtiger ist, viel klarer zu kommunizieren und auch die Sachen einfach genannt werden? Auch Sexualorgane benannt werden. Behinderte Menschen haben sie, nicht behinderte Menschen haben sie und da gibts inzwischen seh ich auch Kinderbücher schon die sehr klar in der Sprache vermitteln. Und das kenn ich aus meiner Kindheit zB. noch gar nicht. Und da seh ich schon eine Bewegung die in die Richtung geht, das ganze viel offener zu halten. Da bin ich vorsichtig optimistisch, dass sich noch vielleicht was gut wendet, wenn da auch die Sexualaufklärung bisschen mit ansetzt und das vielleicht begleitet.

Ich bin grad in einer ambulanten Einrichtung, die sowohl Behinderte als auch alte Menschen pflegt. Da wurde mir das so präsent, dass das was behinderte Menschen und auch andere Menschen erleben, auch alte Menschen erleben.

Zum Beispiel wird bei einem Pärchen in unserer Einrichtung immer um den heißen Brei herum geredet: natürlich haben sie Sex, aber das wird nicht so ausgesprochen. Es wird gesagt: Ja, er ist wieder bei ihr oben. Oder: sie ist halt wieder bei ihm. Es wird nicht gesagt: die treffen sich und haben Sex. Also niemand gibt es zu. Aber alle Menschen haben dieses Bedürfnis. So wird es aber schwierig, denn gerade Menschen, die es schwierig haben, sich auszudrücken, benötigen eine klare Kommunikation.

Auf jeden Fall find ich es super, dass es Sexualassistenz gibt. Weil da ja auch die Empathie in dem Masse, dann versucht diese Bedürfnisse herauszufinden und sich drauf einzulassen.

Stefanie:

Ich arbeite mehr im Bereich Alte, Pflegebedürftige und Menschen mit dementieller Erkrankung, als mit behinderten Menschen. Aber ich glaube dass der Alten- und Pflegebereich gerade von dem Behinderten-Bereich lernt. Da hat das Thema Sexualassistenz und Sexualität eine viel längere Tradition.

Und da sind auch Menschen viel stärker in die Öffentlichkeit getreten und haben ihre Rechte eingeklagt. Und so langsam, langsam, langsam fängt der Altenpflegebereich an da anzudocken. Und ebenfalls zu verstehen, dass Menschen tatsächlich ein Bedürfnis haben nach Sexualität von der Wiege bis zur Bare haben. Und dass die Begleitumstände keine Rolle spielen. Aber dass ein Leben in der Einrichtung, wie Christian gesagt hat, lusttötend ist: Das muss man sich wirklich vorstellen. Es sind Einrichtungen wo wir zunehmend in Einzelzimmern die standardisiert eingerichtet sind mit nem 80 cm breiten Bett, was höhenzustellbar ist, damit man gut pflegen kann, aber wo weitesgehend keine Privatsphäre ist, wo keine schummrige Atmosphäre geschaffen werden kann, wo morgens um 6 gewaschen wird, egal ob man nun fit ist und aufstehen will, wo es um 7 Uhr Frühstück gibt usw. Es ist völlig alles durchgetacktet. Und da werden wir alle mal hinkommen, wenn wir Pech haben.

Das ist jetzt keine Kritik am Personal solcher großen Organisationen – und der Anspruch lässt sich nicht anders regeln – aber da ist dann auch keine Zeit mehr für Freundschaft, erst recht wenn man dann auch noch krank und pflegebedürftig ist, also wo man auch mal zu anderen hingeführt werden müsste. Da ist keine Atmosphäre, wo Sinnlichkeit, Entwicklung oder Geselligkeit gefördert wird. Wo anfassen und liebevolles Umarmen schon schnell in die Richtung kommt, das ist übergriffig, das ist sexuelle Gewalt,wo insbesondere junges Personal nicht mit umgehen kann. Wenn da ein Herr über den Flur geht und sagt „ich will ficken“, dann denkt das Personal in erster Linie daran, der muss in eine andere Einrichtung, nicht „Was steckt für ein Bedürfnis dahinter?“. Da sind wir tatsächlich nicht geschult, und da glaub ich, sind wir auf dem kleinen Weg, da bin ich ebenfalls kleinbisschen optimistisch, dass sich diese Einrichtungen mehr und mehr anschauen, was in Behinderten-Einrichtungen passiert ist. Da gibt es bereits Sexualpädagogik, da gibt es Personal, was sich mit dem Thema auseinandersetzt und auch wirklich durch wortgewaltige Mitarbeiter und Bewohner damit konfrontiert wird. Immerhin kommt in die Altenpflegeeinrichtungen jetzt so langsam eine Generation, von der wir alle sagen, sie ist sexuell aktiv gewesen und sie hat die sexuelle Revolution miterlebt. Die werden sich nicht ohne weiteres mit du-du-du und „lass dass mal sein“ abschieben lassen…

Christian:

Ich habe vielleicht 2-3 Punkte im Kopf, die angesprochen worden sind und 2 Anekdoten zum Thema Tabuisierung.

Zum einen: man merkt daran, wie sehr das Thema Sexualität allgemein und Sexualität und Behinderung speziell tabuisiert wird und wie sehr es immer noch in die negative Seite gekehrt wird. Peter hat mich daran erinnert, dass ich Behinderten-Beauftragter war, und deswegen nicht mehr im Amt bin, weil ich mich öffentlich zum Thema Sexualität und Behinderung relativ explizit geäussert hab: weil ich das wichtig empfinde, einfach als aufklärerische Arbeit und der Stadtrat in Koblenz fand, dass das zu weit ging. Und genau das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, das so zu machen. Ich bin sehr glücklich mit der Entscheidung, zu sagen „Ok, dann halt nicht, aber das Thema ist mir so wichtig.“

Und zum anderen dann eine persönliche Anekdote: Ich hab mit 25 meine erste Freundin kennen gelernt, mit der ich eine längere Beziehung hatte. Meine Mutter ist eigentlich sehr eng mit mir, sehr, sehr vertraut und kennt mich auch sehr, meinen Körper. Aber bei der Begegnung mit meiner Freundin – wir hatten dann mal Zeit miteinander, alleine und sassen zusammen – fragte meine Mutter meine Freundin, tatsächlich, wie es denn so wäre, mit einem Mann, mit dem sie keinen Sex haben könnte. Dann hat meine Freundin erst mal angefangen zu lachen und meinte1 „Wie meinst Du das, keinen Sex haben? Natürlich haben wir Sex!“ Meine Mutter hat angefangen zu weinen und meinte „Ach, wie schön, ich wusste nicht, dass das geht.“.

Also, ja, so irre ist es teilweise, obwohl man sich so nah ist. Familiär, trotzdem sind die Scheuklappen und die Tabus so gross. Weil da eben viel Unwissen herrscht, und deswegen muss man eben daran arbeiten, dass das Thema normalisiert wird, eben nicht hinter verschlossenen Türen gehalten wird und – es muss einfach in die Gesellschaft hineingetragen werden.

Dann zur Frage eben, mit der Normalisierung der Sprache, oder ob man nicht lieber explizit reden sollte, und welche Begriffe man da jetzt verwendet: Welche Begriffe würdest Du gern verwenden wollen? Ich glaube, dass es da ein ganz breites Spektrum was man da verwenden kann. Also, z. B. medizinisch korrekt Penis zu sagen. Natürlich ist es so abtörnend, warum sagt man nicht lieber Schwanz? Die Frage ist nicht einfach nur, welche Begriffe wir verwenden, sondern wie wir mit Sexualität generell umgehen?

Peter:

Also, das ist auf jeden Fall richtig. Ich mache manchmal mit Jugendlichen meinen Spass, man sollte hochwissenschaftlich reden, so nach dem Motto „Komm‘, Liebling, lass uns heute vaginal penetrieren“. Da lachen sie alle. Das find’ ich super, und es geht dann als erstes immer darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Also, die Jugendlichen dürfen alle Begriffe verwenden, die dürfen ficken sagen, die dürfen Schwanz sagen, die dürfen Fotze sagen – alles, um dann gemeinsam zu gucken, wie wir sprachlich miteinander arbeiten wollen. Welche Ebene wollen wir finden? Danach schauen wir uns an, wie es ist, wenn zwei sich mögen. Wenn die dort eine andere Sprache haben, die für beide ok ist, ist es super.

Stefanie:

Ich will mal gern auf die Frage antworten. Ich finde, dass jeder für sich Worte finden soll und kann, die ihn dann auch geil machen. Wenn ich jetzt Schwanz sage, dann sage ich Schwanz, wenn ich Penis sage, sage ich Penis. Ich kann Arschficken sagen, ich kann anale Penetration sagen, ich kann AV sagen, wenn ich’s unbedingt abkürzen muss. Ich kann auch sprachliche Vielfalt illustrieren. Ich weiß ja nicht, was er gut findet. Und wenn ich jetzt eben eher Oralverkehr sage oder „Ich möchte deinen Penis mit meinen Lippen liebkosen“, dann kann ich das auch so blumig ausdrücken, dann sag ich auch „Ich möchte dir einen blasen.“.

Peter:

Genau, genau darum geht’s. Aber, Christian, du hast noch was ganz, ganz wichtiges und tolles vorhin gesagt, und zwar das Beispiel mit deiner Mutter, und das war heute auch ein Thema, wie sag ich’s meinen Eltern, dass ich halt ein sexuelles Wesen bin, in einer Gruppe, in der Diakonie, und da haben auch 2 von den Teilnehmern gesagt, ‚hmmm, ich glaube ich traue mich das nicht zu sagen, und da gibt’s viele, viele Hemmnisse. Wir versuchen denen natürlich immer Mut zu machen, das auch zuhause anzusprechen, und werden da auch nicht Müde und da auch nicht nachlassen.

Frau aus Publikum:

Ich hätte noch eine Frage, und zwar an Christian Bayerlein: welche konkreten Forderungen hätten Sie an uns und an die Gesellschaft um die jetzige Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern?

Christian:

Inklusion bedeutet einfach, dass die Lebensentwürfe von behinderten Menschen potentiell genau dieselben sein können, wie die Lebensentwürfe von nichtbehinderten Menschen.

Alsop dass ich die gleichen Möglichkeiten habe, dass ich genauso ins Kino gehen kann, dass ich arbeite, genauso wie jeder andere, oder auch nicht, wenn ich nicht arbeiten möchte. Oder dass ich genauso einfach ne Wohnung in der Stadt oder auf dem Land finden kann, wie jeder andere auch, dass ich einkaufen kann wie jeder andere auch, eben dass ich keine Sonderwelt beziehe, sondern dass ich gleichberechtigt lebe in der Gemeinschaft. Dazu zählt meiner Meinung nach auch Partnerschaft. Wenn alle anderen Punkte abgearbeitet sind, da ist man dann, man kann gleich leben, gleich wohnen, gleich einkaufen, oftmals ist das Thema Partnerschaft und Sexualität trotzdem das, was immer außenvor bleibt. Doch das ist eigentlich die Basis und Essenz vom menschlichen Leben, denn jeder wünscht sich Liebe und Partnerschaft und Sexualität. Für mich wär da alles andere irgendwie ein bisschen sinnlos, wenn eben dieser Bereich nicht wäre. Aber das greift ineinander, denn immer wenn ich ganz normal im Alltag auftauche, kann’s auch zu einer Partnerschaft kommen. Damit ist die Inklusion perfekt. Was man dazu tun kann, ist, einfach die Scheuklappen abnehmen, ein bisschen offener werden, bisschen auf behinderte Menschen zugehen, kreativ sein, keine – oder zumindest weniger – Ängste haben. Das sind ganz schwierige Punkte – für den einen oder anderen erscheint es vielleicht schwierig, aber ich beisse nicht – oder, ich beiss’ nur dann, wenn ich beissen soll.

Peter:

Ja, Offenheit, das ist natürlich was ganz Wichtiges.

Stefanie, wenn die Menschen zu dir kommen, deine Dienste in Anspruch nehmen, ist ihnen das klar, das es nur ne kurze vereinbarte Geschichte ist, erzählen sie dir von ihren Wünschen in der Partnerschaft? Ich glaube schon.

Stefanie:

Dadurch, dass ich fast nur in Einrichtungen gehe, und irgend jemand, wenn es zu mehreren Besuchen kommt, bestimmt, in welchen Abständen ich kommen darf, entwickelt sich mehr als nur eine Geschäftsbeziehung, es entwickelt, es entwickelt Vertrautheit, es entwickelt sich auch…ganz oft die Vorstellung von einer Beziehung, es wir auch viel fantasiert in Richtung einer Beziehung, weil ich oft tatsächlich die einzige Person bin, die außer dem Pflegepersonal kommt. Das ist so, weil die Menschen die ich besuche keinen Kontakt zur Familie haben, weil in den Einrichtungen sich Freundschaften nicht entwickeln, oder weil seit dem Einzug in die Einrichtung Nachbarn und Freunde und Familienangehörige nicht mehr kommen.

Und da verschwimmt bei dem einen oder anderen Kunden und dem Verhältnis zu mir, tatsächlich auch das, was uns verbindet – es wird oft auch nicht mehr thematisiert, dass es Prostitution ist, dass ich dafür bezahlt werde. Sondern es ist dann eher so in die Richtung, ich bin eine Geliebte, wo auch die Wünsche der letzten 4 Wochen oder der letzten 3 Monate übertragen und dann ausgelebt werden.

Das ist problematisch, ja, aber ich sage mir, solange es nichts anderes gibt und ich kann nichts anderes organisieren, ist es mir dann lieber so, als wenn es gar nichts gibt. Und von meiner Seite unterstütze ich nicht die Fantasie, dass es eine Beziehung ist, aber ich werde schon oft in die Richtung angesprochen.
Publikum: Wie ist es wenn man in die Einrichtungen kommt, wer hat denn die größere Angst, das Personal, oder die Leute um die’s geht? Also Angst, ist ein ganz großer Begriff, aber ich denke, die Einrichtungen, die so eine Kooperation eingehen, dass sind ja schon die, die offen sind, die nicht an irgendwelchen…Socken hängen, selbst da ist es schon so verklemmter, in jeden Winkel zu spüren, könnt ich mir vorstellen.

Stefanie:

ja, die Einrichtungen rufen mich oft an, wenn jemand sexuell übergrifflich geworden ist – und dann bin ich so was wie die Erlösung, sprich, man kann auf mich verweisen, man kann sagen, ‚die S. kommt in 2 Wochen, jetzt lässt du mal die Pflegerin in Ruhe und gehst nicht mehr ins Bett von der Bewohnerin’ und es ist tatsächlich auch so, dass wenn ein Mensch eine erfüllte Sexualität hat und weiß, ich bin dafür zuständig, dann kanalisiert sich das auch auf meine Person und die Unruhe oder das, was sonst mit einem passieren kann und das was andere als übergrifflich bezeichnen, fällt tatsächlich weg. Aber es stimmt, Pflegepersonal macht ein ganz grosses Fragezeichen und sagt ‚Gottogottogott, wenn der sich in dich verliebt’.
This is problematic, yes, but tell myself, as long as there is nothing else, and

Ja und?! Welche Alternative gibt’s denn? Soll man denn auf Liebe verzichten?! Doch dann lieber verliebt sein in mich, wo ich alle 4 Wochen komme. Was von Wärme und Zuneigung gegeben ist. Sage ich.

Frau aus Publikum:

Also, ich hab selber 4-5 Jahre in einer Einrichtung gearbeitet mit um die 20-Jahre alten Männern mit Autismus, und ich war immer schockiert darüber, wie der Umgang war. Also, ich war immer ziemlich offen, wär jetzt nie so was eingegangen, weil ich das getrennt habe; ich bin hier Auszubildende und das sind meine Klienten, obwohl das durchaus sehr hübsche Männer waren – aber ich habe halt dann irgendwann in einer Team -Sitzung erwähnt, dass mich jemand angefasst hat und ich halt gesagt hab ‚Nein’, weil ich das wichtig fand, dass es alle wissen. War ein Riesen Aufschrei, ich musste zur Polizei, anzeigen, versuchen, eine forensische Einweisung zu bekommen. Man hat mich wirklich zur Polizei gegängelt. Auf der Wache habe ich begonnen mit „Ich möchte eigentlich gar keine Anzeige erstatten.“ Die Anzeige wurde trotzdem aufgenommen und habe dem Bewohner das auch erzählt und mich dafür bei ihm entschuldigt. Zum Glück hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Aber es hat mich wirklich super aufgeregt, dass mich jemand wirklich zur Polizei gängeln konnte. Dass ich dann auch so angsthandelnd bin und das ganze System so ist, hat mir sehr zu denken gegeben. Für mich sehr interessant zu erfahren, wie dann damit umgegangen wird. Auch wenn sich jemand selbst befriedigt und er oder sie verletzt sich dabei, dann kommt es vor, dass in einer Teamsitzung die Reaktion ist, dann müsse er sich mal richtig wehtun, damit sie die Medikamente hoch setzen können. Solche Reaktionen erleben dann in Teamsitzungen

Ich bin fast vom Stuhl gekippt, aber ich war in der Azubi- Rolle selber sehr untergebuttert und durfte nicht ausrasten. Und mittlerweile darf ich das mindestens, aber dass es das gibt, und Schweigepflicht usw., auch seinen Freunden nicht – aber es ist krass und es ist Alltag.

Christian:

Eine echt krasse Geschichte!

Stefanie:

Gut, dass Sie das ansprechen, weil wir alle darüber überlegen können, was neben uns passiert. Manchmal ist es auch ein Stück weit Normalität, jemanden anzufassen. Und auch wenn jemand an der Brust angefasst wird, muss man doch sehen Kontext sehen und was dahinter steckt – insbesondere, ob es wirklich übergriffig ist. Also, ich denke, wenn mich jemand an der Strasse an der Brust anfassen würde, würde ich dem eine ganz andere Bedeutung beimessen. Aber wenn das in der Einrichtung ist, wo ich weiss, der Herr hat ein ganz starkes sexuelles Bedürfnis und ich weiss, er fährt auf grosse Busen ab, dann sehe ich das als ein Bedürfnis von Nähe und Körperlichkeit, aber würde keine Übergrifflichkeit oder sexuelle Gewalt darin sehen.

Frau aus Publikum:

Alleine das Wort „übergriffig“. Ich meine, jemand, den ich jede zweite Schicht waschen muss, bin ich vielleicht als Pflegepersonal irgendwie nahe gehender, als wenn mich jemand besoffen in der Bushaltestelle oder in der Disko angrapscht. Da sag ich vielleicht, „Komm, hey, verpisst dich“ und dann bin ich fertig damit. Das ist von daher etwas einfacher. Aber das was passiert, ist ja erst mal dasselbe, so eine Kurzschlussreaktion „ich grapsch die mal an“. Warum kann man das dann in einer Einrichtung, wenn es das eine Mal ist, erst einmal es als genau das abtun? Warum muss dann gleich eskaliert werden?

Christian:

Was mir immer wieder auffällt, ist das Sexualität sehr oft als etwas abzuwehrendes dargestellt wird. Also in dem Fall, dass jemand ein sexuelles Bedürfnis hat oder einen sexuellen dreht sich die ganze Diskussion nur darum, wie man man es abstellen kann. Besser wäre doch, dieses Bedürfnis als etwas sehr wertvolles, sehr menschliches zu begreifen, und Wege zu suchen, wie man das erfüllt. Aber das ist allgemein in der Gesellschaft, das es erst negativ dargestellt wird. Ich glaube dass da auch mal die traditionelle katholische Sexualmoral einfach tief in vielen Menschen sitzt und eine ganz grosse Rolle spielt. Das eben da Ängste zum Vorschein kommen, die dann auch gefühlt werden. Ja und viele, viele Menschen sehen da auch immer nur wie sie das abwehren können. Das Thema ist dann immer schnell „sexuelle Gewalt muss verhütet werden“. Das ist natürlich auch sehr wichtig und man muss sexuelle Gewalt verhindern und auch Missbrauch ist eine ganz schlimme Sache. Aber es darf nicht sein, dass das alles andere überschattet.

Peter:

Ich möchte das Thema noch mal aufgreifen, weil wenn ich als Pflegekraft oder als Assistenz eingeteilt bin, und Menschen waschen muss, weil sie’s selber nicht machen können, z.B., und mich sonst niemand anfasst, dass es dann zu sexueller Erregung kommt. Also, ich könnte mir gut vorstellen, ich hätte da immer einen Ständer. Aber wie geht eine Pflegekraft damit um? Wo bekommt sie in irer Ausbildung irgendwas mit darüber? Es sind viele Fragen, nirgends findet was statt. Ein guter Freund von mir der auch jungen Menschen als Assistent begleitet, hat mir erzählt, eine Kollegin habe den nicht mehr gewaschen, weil der immer einen Ständer hat; Da wird unter der Decke gehoben und ein bisschen gesprüht.

Mann aus Publikum:

Zunächst einmal finde ich das unverantwortlich. „Ich sprüh mal so ein bisschen“… Ich kenn das auch, na ja Gott, dann hat er eben einen Ständer, dann kann man momentan halt mal nicy waschen. Ich finde, damit muss man einfach damit leben. Man kann das nicht verhindern, kann ja nicht meine körperliche Reaktion steuern.. Persönlich kenne ich das auch: Ich krieg auch manchmal in bestimmten Situationen eine Errektion und denk so „Hm, ist vielleicht nicht so passend jetzt, na gut, dann bleib ich mal sitzen.“

Peter:

Ja, aber die spannende Frage ist ja dann, wer befriedigt mich? Dann sitz ich ja mit meiner Erregung – und jetzt?

Frau aus Publikum:

Vielleicht ist es einfach mal die Befriedigung, ich eine Erektion haben darf und der andere das sieht und denkt „Ok, das ist jetzt so. Ich wasch erst mal an der anderen Stelle, um ihn nicht weiter zu erregen.“ Ich will ja auch den Menschen pflegen und nicht diese Grenze überschreiten. Oder sollte diese Grenze nicht überschreiten, vielleicht.

Peter:

Na ja, aber wenn ich das nicht selber kann, wer macht das dann? Das ist die Frage. Also, ich bleib dann irgendwo liegen/sitzen mit meiner Erregung und werde immer unzufriedener. Das kann unter Umständen Stress verursachen – für beide Seiten. Und da gibt’s aus meiner Sicht nicht wirklich ne Lösung. Damit will ich’s auch nicht stehen lassen, mit dem Vorwurf. Nicht so zum Abschluss bringen, unsere Diskussion. Vielleicht noch etwas Schönes, was Tolles, was ihr uns mit auf den Nachhauseweg mitgeben möchtet.

Stefanie:

Ich finde solche Veranstaltungen toll. Ich wünsche mir, dass Sie alle nachhause gehen und weiter diskutieren oder die Gelegenheit nutzen, die Idee fortzuentwickeln. Also nicht bei dem stehen bleiben was wir gesagt haben. Da geht noch viel mehr. …und haben sie viel Spass beim Sex.

Christian:

Ja, wir hatten eben herausgefunden, dass es dafür keine einfache Lösung gibt. Aber ich glaube es ist auch ein gutes Credo, einfach zu sagen, manchmal gibt’s keine einfache Lösung. es ist auch gut, dass es nicht ein pauschale Lösung für alle unterschiedlichen Menschen gibt. Denn unterschiedliche Probleme gibt’s,da müssen auch die Lösungen unterschiedlich und vielfältig sein.

Eine Lösung könnte auch sein, dass jeder schaut „Was ist meine Grenze, darf jemand auch mal näher an mich ran? Wo kann ich vielleicht ein Tabu brechen, was gerade gebrochen werden muss?“ Man muss sich nicht immer an gesellschaftliche Normen halten, wenn’s im intimen Bereich, zu zweit, eine individuelle Lösung findet. Wie auch immer die aussehen mag.

Da fordere ich euch alle raus, eure Grenzen auszutesten. Wie weit wollt ihr gehen? Was wollt ihr erleben? Seid offen!