Alles beginnt mit einer Frage: „Gibt es eine stille, bequeme Übereinkunft, nicht darüber zu sprechen?“
„Ja!“ möchte man als Zuschauer schreien, der nicht das erste Mal mit dem Gedanken in Berührung kommt, dass auch nicht-schönheitsideal-konforme Menschen ihre Sexualität ausleben. Im gesellschaftlichen Diskurs ist die Situation wohl leider bekannt. Aber im Individuellen? Was bedeutet Sexualität? Wie kann ich mich darauf einlassen? Und plötzlich birgt die Antwort ein ungeahntes Risiko, denn: Was uns auf der Suche danach begegnet, ist unklar.
Die Berliner Morgenpost schreibt: „Der Sex-Schocker […] verlangt viel vom Zuschauer.“ Und in der faz ist zu lesen: „„Touch Me Not“ […] gehörte zu den Filmen […] deren Ansatz für mich möglicherweise dokumentarisch interessant gewesen wäre, mir im Spielfilmformat aber unangenehm war.“ Der Film hat eine einfache Antwort darauf: „Jede Emotion ist willkommen.“
„Touch me not“, Film der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie, gewann auf der diesjährigen Berline den Goldenen Bären. Es geht um die Erforschung von Initimität und Sexualität, einige der Schauspieler sind Menschen mit Behinderung, die übrigen kommen im Laufe des Films damit in Berührung. Das ist ein aufwühlendes Thema – besonders, wenn man bisher eher die eingangs erwähnte bequeme Übereinkunft bevorzugt hat.
Eine wichtige Transformation, die „Touch me not“ zeigt, beginnt in einer Berührungs-Therapie. Zwar wird man als Zuschauer über die genauen Umstände im Unklaren gelassen (Ein Berührungs-Workshop in einer sterilen Umgebung eines beliebigen Krankenhauses/Altersheims/Betonbaus? Wirklich?), aber hier passiert Wichtiges: Tómas‘ (Tómas Lemarquis) Ekel vor der Berührung von Christians (Christian Bayerlein) Gesicht, Großaufnahmen ungewöhnlicher Körper und die Selbstverständlichkeit ungewöhnlicher Beziehungskonstellationen und Sexualpraktiken (es gibt eine beeindruckende, intime Szene zwischen Christian und Grit (Grit Uhlemann) in einem SM-Club). Der Film traut sich all das mit einer unglaublichen Unaufgeregtheit zu zeigen, die ihresgleichen sucht. Und er gibt gleichzeitig die Möglichkeit, alle entstehenden Gefühle zu ergründen, zu verstehen und vielleicht zu transformieren. Nur vielleicht, denn „Touch me not“ bereitet lediglich die Basis, ohne eine explizite Forderung nach Toleranz zu formulieren.
Ich verlasse das Kino. Die prophezeite unangenehme Berührtheit oder Überforderung bleibt aus. Was ich gesehen habe, ist das Leben, eine Umgebung, in der jeder er selbst sein darf, die Schönheit von Sexualität und der eigenen inneren Reise. Und zum Schluss zeigt die Kamera auf den Zuschauer. „Es gibt nichts Sonderbares, wenn es um Sexualität geht.“ Dieser Satz, beinahe beiläufig erwähnt, ist doch ein guter Ausgangspunkt für diesen Augenblick, in dem nichts mehr versteckt ist.
Kinostart von Touch me not ist am 1.11.2018. Der Film ist in vielen deutschen Städten zu sehen.