Wie ich meine Sexualität durch den Austausch mit anderen besser verstehen lernte

Eine ungewöhnliche Sexualität zu haben, kann eine einsame Sache sein. Ich stehe auf Menschen mit einer körperlichen Behinderung. Diese Art der Vorliebe hat zugegebenermaßen Seltenheitswert.

Der Umstand, dass meine Art von Sexualität ein Nischenthema ist, hat mich sehr geprägt. Sehr lange, weit über die Pubertät hinaus, habe ich mich gefragt, was sexuelle Gefühle eigentlich sind und warum sie plötzlich für alle um mich herum so eine lebensverändernde Wirkung haben. Da ich überhaupt keinen Vergleich hatte, habe ich oberflächliche Schwärmereien für Sexualität gehalten – im Nachhinein ein Irrtum. Aber ich hatte einfach keine Erfahrungen, die mir etwas anderes gezeigt hätten.

Im Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, gab es keine Menschen mit sichtbaren Behinderungen. Es war auch eine Zeit, in der das Internet und mein Medienkonsum noch in den Kinderschuhen steckten. Ich hatte daher über Jahre sehr wenige Gelegenheiten, Menschen zu sehen, die für mich sexuell attraktiv waren. Entsprechend lange hat es auch gedauert, bis der Groschen gefallen ist und ich verstanden habe, dass ich nicht, wie zunächst angenommen, asexuell bin. Es gibt einfach nur sehr, sehr wenige Menschen, die sexuelle Gefühle in mir auszulösen vermögen.

Als ich dann durch Introspektion und endlich auch durch Googlen langsam verstanden habe, weshalb ich mich so anders fühlte, hat sich eine neue Welt aufgetan. Bis dahin hatte ich keinen Grund anzunehmen, dass es noch andere Menschen gibt, die eine Vorliebe für Menschen mit Behinderung haben. Zum Glück, und das kann ich gar nicht genug betonen, zum Glück habe ich online herausgefunden, dass ich nicht die einzige bin. Auch wenn wir selten sind – es gibt uns. Und wir haben es geschafft, uns zu vernetzen.

Für unsere Vorliebe gibt es keine Gebrauchsanweisung. Es gibt kaum Forschung und erst recht keine öffentliche Unterstützung, wenn man gerade ein inneres Coming-Out durchläuft. Das einzige, was vielen von uns bleibt, ist, auf Unterstützung von anderen Betroffenen zu hoffen. Für mich persönlich war besonders das Coming-Out vor anderen Personen eine tiefgreifende und im Anfangsstadium auch sehr negative Erfahrung. Aus Mangel an Alternativen habe ich zu dieser Zeit Coming-Out-Ratgeber für homosexuelle Menschen konsultiert. Die Inhalte mögen teilweise andere sein, aber vieles war glücklicherweise übertragbar. Das hat mir eine gewisse Ruhe gegeben und einen Leitfaden, der mich in den dunklen Stunden nach so manchem Coming-Out getragen hat.

Dennoch – als queer wird meine Sexualität meist nicht betrachtet. Die größte Stütze und der größte Motor für Selbsterkenntnis und Erfahrungsaustausch war und ist daher der Kontakt zu anderen Menschen mit meiner Vorliebe. Wenn schon die Forschung keine Anhaltspunkte bietet, so doch die vielen Erfahrungen, die mit mir seit meinen ersten vorsichtigen Recherchen geteilt wurden. Ich wüsste nicht, was ich ohne die anderen Frauen gemacht hätte, die mir von ihrer eigenen Sicht auf die Vorliebe berichtet haben, von ihren Dating-Erfahrungen mit Männern mit und ohne Behinderung und davon, wie sie es geschafft haben, damit zu leben. Denn niemand von uns hat es sich ausgesucht und jede und jeder, mit der und dem ich Kontakt hatte, versucht, verantwortungsvoll damit umzugehen.

Da wäre die Entscheidung, ob man die Vorliebe wirklich in die Tat umsetzen möchte, ob und wie man den eigenen Freunden und vielleicht sogar der Familie davon erzählt. Außerdem trifft man auf den unwahrscheinlich kleinen Dating-Pool und all die Herausforderungen, die ein Leben mit einer Behinderung, gerade für den Partner in einer Beziehung, mit sich bringt. Aber es stehen auch ganz andere Fragen im Raum: Wie kommt es dazu, dass wir diese in weiten Teilen für uns selbst häufig unerklärliche Vorliebe haben? Ist sie ein Spektrum und welche Unterschiede gibt es zwischen uns? Sollten wir danach streben, einen passenden Partner zu finden oder ist die Wahrscheinlichkeit dafür einfach zu gering? Inwieweit sind wir bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn es nicht so perfekt passt wie gehofft? Wie gehen wir mit negativen Reaktionen aus dem Umfeld um? Wie können wir mit oder ohne Partner mit einer solchen Sexualität glücklich werden? Was können wir tun, um uns gegenseitig zu unterstützen? Wie helfen wir Menschen, die gerade für sich herausgefunden haben, dass sie eine solche Vorliebe haben und vielleicht voller Scham und Angst sind?

In einer Welt, in der wir Menschen mit ungewöhnlichen Vorlieben bei Unterhaltungen über Sexualität häufig nur unbeteiligt daneben stehen, sind solche Kontakte zu anderen betroffenen Menschen für mich eine der größten Bereicherungen im Leben. All die Fragen, die uns im Kopf sind, vielleicht auch die Erlebnisse, die wir haben und die wir gern in einem größeren Spektrum einordnen möchten, um zu verstehen, wo wir selbst unseren Platz finden können, dafür gibt es nur wenige Räume. Ich hatte das unglaubliche Glück, solche Menschen nicht nur online kennen zu lernen, sondern auch persönlich und vor Ort. Vor kurzem habe ich mehrere andere Frauen mit einer Vorliebe für Menschen mit Behinderung für einige Tage getroffen. Es war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Weil ich mich noch nie so gesehen gefühlt habe. Weil ich weiß, dass die Gelegenheiten dafür so selten kommen. Und weil ich jetzt ein kleines bisschen weniger allein bin.