Archiv der Kategorie: Medien, Blogs und Podcasts

#HotPersonInAWheelchair – Sexuelle Inklusion auf Twitter

Eigentlich ist der Anlass dieses bemerkenswerten Internet-Phänomens schon einige Jahre her und wäre möglicherweise gar nicht mehr der Rede wert. Da jedoch ein einzelner Tweet manchmal Berge versetzen kann, lohnt sich ein Blick darauf, was hier genau passiert ist und warum.

Im Jahr 2014 hat Ken Jennings, ein amerikanischer Quiz-Profi und Autor, folgenden Tweet gepostet:

Damals war der Aufschrei offenbar gar nicht so groß. Vor einigen Wochen allerdings entstand daraus der Hashtag #HotPersonInAWheelchair, unter dem viele User Fotos von sich im Rollstuhl veröffentlichten, oft zusammen mit positiven Botschaften.

Auch wenn der ein oder andere vielleicht etwas zögert, sich vor aller Welt selbstbewusst als attraktiven Menschen darzustellen, gibt das Phänomen einen wichtigen Hinweis auf etwas, das auch für den heutigen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung von großer Relevanz ist: Nicht nur im Äußeren muss für Inklusion und Gerechtigkeit gekämpft werden. Ebenso wichtig ist die Einstellung der Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung. Darauf beruht jedes Umdenken, das den Grundstein zu positiven und sichtbaren Veränderungen legen kann.

Tweets wie der von Jennings geben einen kleinen Vorgeschmack darauf, welche Hürden auf diesem Weg noch zu überwinden sind. Die Berichterstattung in den Medien (beispielsweise von der taz und bento) zeigt mal wieder das alte Problem: Solange es noch etwas besonderes ist, behinderten Menschen sexuelle Attraktivität zuzugestehen, sind solche Aktionen vonnöten. Hier spitzt sich ein gesamtgesellschaftliches Problem zu: die Auffassung davon, welche Menschen als gutaussehend zu verstehen sind. Wenn Menschen mit Merkmalen, die derzeit in der Gesellschaft als nachteilig oder gar störend empfunden werden, mehr in das öffentliche Bewusstsein und Rampenlicht rücken, ist vielleicht ein weiterer Schritt Richtung Inklusion und der Wertschätzung von Vielfalt getan. Damit Attraktivität und Behinderung nicht mehr als sich ausschließende Eigenschaften verstanden werden.

Gewinner des Goldenen Bären und Liebespaar: SWR-Portrait über Christian Bayerlein und Grit Uhlemann

Der SWR hat vor kurzem einen Beitrag über die Beziehung von Christian Bayerlein und Grit Uhlemann im Rahmen der Landesschau Rheinland-Pfalz gesendet. Der 5-minütige Bericht geht erfrischend unvoreingenommen mit dem Thema Liebe und Sexualität zwischen einem behinderten und einem nicht-behinderten Partner um.

Während vergleichbare Beiträge über behinderte Menschen und ihr Umfeld ja häufig tief in die Kiste der üblichen stereotypen Annahmen und Formulierungen („Protagonist A leidet unter Behinderung X und ist an den Rollstuhl gefesselt“) greifen, werden diese hier nicht nur vermieden, sondern auch gleich von Christian thematisiert. Dass er nicht leide, könne man ja schnell bemerken. Auch seine Freundin Grit bekräftigt das später. Christians Lebendigkeit und lebensfrohes Gemüt spielen die Hauptrolle, die Behinderung steht eher im Hintergrund.

Auch sonst ist kaum die Rede von dem, was aufgrund der Behinderung nicht geht. Relativ schnell wird stattdessen klargestellt, dass dies nicht bloß ein weiterer Beitrag auf der Inspirationsschiene ist. Der eigentlich Grund für den Bericht ist nämlich der jüngste Erfolg des Films „Touch me not“, der auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde und in dem Christian und Grit als Schauspieler zu sehen sind. Der Film beschäftigt sich mit Intimität, Sexualität, u.a. im Kontext von Behinderung.

Klar, dass da ganz praktische Fragen abseits der Leinwand und künstlerischen Umsetzung auftauchen. Wie sieht so eine Beziehung aus? Wie funktioniert das Sexualleben mit einem behinderten Partner? Und genau dort zeigt sich für mich eine weitere Besonderheit des SWR-Berichts. Er kehrt nicht ungefragt alle Zweifel unter den Teppich, sondern lässt Grit und Christian auch Bedenken äußern. Dass diese im nächsten Schritt mit Liebe und Kreativität überwunden werden können, müsste am Ende gar nicht mehr gesagt werden, wird es aber dennoch. Diese Botschaft dürfte also angekommen sein.

Genauso wie die Botschaft, dass das Außergewöhnliche an der Beziehung ja eher der Goldene Bär ist und nicht Christians Behinderung. Zum Schluss wird der Begriff der „Normalität“ vielleicht doch noch etwas überstrapaziert. Für viele mag eine Liebesbeziehung zu einem behinderten Partner nicht unmittelbar vorstellbar sein. Das Schlagwort des „besonderen, normalen Liebespaars“ erscheint dann dennoch eher gezwungen und einige Male zu oft betont.

Nichtsdestotrotz können sich Berichterstattungen über Menschen mit Behinderung an diesem Bericht ein Beispiel nehmen. Der Spruch „Vorbild sein, ohne den schweren Weg zu verschweigen“ kommt mir besonders im zweiten Teil in den Sinn. Schön, dass der SWR mutig genug ist, sich des Themas anzunehmen! Und schön, dass es Menschen gibt, die dafür Einblicke in ihr Leben geben und so hoffentlich auf lange Sicht mit Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen aufräumen.

Interviews zu Behinderung und sexuellen Vorlieben

Nachdem es in den letzten Monaten um kissability ziemlich ruhig geworden ist, möchte ich einige aktuelle Links und Informationen zum Anlass nehmen, dem Blog auch thematisch wieder etwas Leben einzuhauchen.

Vor vier Jahren gab es hier die Interviewserie „Frag eine Devotine“ (Teil 1, 2, 3 und 4) mit einigen der ersten öffentlichen deutschsprachigen Interviews zum Thema Devotees bzw. Amelotatismus. Obwohl das Phänomen der sexuellen Vorliebe für Menschen mit Behinderung ja eher eine Randerscheinung ist, sind die Diskussionen zum Thema meist von sehr gespaltenen Meinungen geprägt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass einige Diskussionsteilnehmer schon Erfahrungen mit Devotees gemacht haben, die nicht in allen Fällen positiv verliefen. Andere hingegen sehen die Vorliebe gleichgestellt zu sonstigen sexuellen Interessen oder freuen sich über Kontakte zu Devotees.

In den vergangenen Monaten sind zwei Interviews zum Thema erschienen, in denen Devotinen zu Wort kommen und mit teilweise heiklen Fragen konfrontiert werden. Alle, die sich schon immer mal ausführlicher damit beschäftigen wollten, finden dort einen guten Ansatzpunkt.

Der br hat die Devotine Marie und ihren querschnittsgelähmten Freund interviewt. Veröffentlicht wurden dazu das gekürzte Interview in schriftlicher Form und ein ausführlicher Podcast, in dem es vor allem in der ersten Hälfte auch Gespräche über Sexualität, Beziehungen und Behinderung allgemein gibt.

Podcast über Sex mit Behinderung und Interview mit Marie:
https://www.br.de/puls/programm/puls-radio/im-namen-der-hose-sex-mit-behinderung100.html

Interview mit Marie (gekürzt) zum Nachlesen:
https://www.br.de/puls/themen/leben/querschnittlaehmung-behinderung-sex-devotees-100.html

Ein weiteres Interview zum Thema haben Udo und Gerald von Normalo TV im Dezember mit mir, Anna, geführt. Dabei geht es u.a. um die gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz von Beziehungen mit einem behinderten Partner und das Coming-Out als Devotine.

Interview von Normalo TV mit Anna:

Solche Berichterstattungen lassen aufgrund der strittigen Thematik ja viel Raum zu Meinungsäußerungen. In einem zukünftigen Blogeintrag würde ich gern auf einige der häufigsten Bedenken und Reaktionen eingehen und auch über die vielen negativen Beispiele sprechen, die in den beiden hier gezeigten Interviews keine Erwähnung finden. Dafür freue ich mich über Fragen und Meinungen in den Kommentaren!

Ja, ich bin behindert. Aber ich liebe Sex immer noch.

Und schon wieder ein neuer Artikel zum Thema „Sexualität und Behinderung“, diesmal in der Washington Post, einer amerikanischen Tageszeitung.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit 24 Jahren eine neurologische Autoimmunerkrankung bekommen würde, hätte ich nicht gewartet bis ich 20 bin, um meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Ich hätte früher angefangen, um mit meinem Körper das beste zu machen, solange er noch uneingeschränkt mitmacht.

Als ich noch nicht behindert war, stellten mir Männer Fragen wie: „Habe ich Dich schon mal im Traum gesehen?“ oder „Was hat Botticelli getan, nachdem er Dich gezeichnet hat?“. Kitschige Fragen, zugegeben, aber auch implizierend, dass ich ein sexuelles Wesen bin. Nachdem ich meine Behinderung hatte wurden die Fragen noch dümmer: „Bist Du ansteckend?“ oder „Kannst Du überhaupt Sex haben?“ (Diese Frage habe ich übrigens schon mehrmals beantwortet mit: Ja, aber nicht mit Dir!)

Sex kann ein Minenfeld für uns alle sein. Aber ich muss seit Jahren der Schrapnelle auf Krücken ausweichen.

Ich bin nun 49 Jahre alt und lebe über die Hälfte meines Lebens mit Myalgischer Enzephalomyelitis, oft unpassend als Chronisches Müdigkeitssyndrom bezeichnet. Meine Symptome sind unter anderem ständige Temperaturschwankungen, gefährlich niedriger Blutdruck, Schwindel, Anfälligkeit für Infekte, geschwollene Lymphknoten, extreme Empfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen, häufige Übelkeit, ständige Schmerzen und quälende Müdigkeit (zu sagen ich sei müde ist wie wenn man Lungenentzündung als Erkältung bezeichnete).

An meinen besten Tagen fühle ich mich, als hätte ich Grippe. Ich hatte zwei Phasen im Rollstuhl, zwei längere Abschnitte in denen ich frei laufen konnte, aber meistens benötige ich einen Stock oder Krücken. Ich kann pro Tag etwa 1,5 bis 2 Kilometer gehen, mit Pausen wenn notwendig, aber ich bin darüber sehr dankbar. Laut Aussage des medizinischen Instituts wird etwa ein Viertel der Patienten mit meiner Krankheit ab einem gewissen Punkt bettlägerig bzw. kann das Haus nicht mehr verlassen. Ich bin froh, dass ich immer noch so erstaunlich fit bin, auch wenn ich die meiste Zeit liegend verbringen muss.

Klingt alles nicht sehr sexy, ich weiß.

Sogar ich denke mir, „Wie kann ich bei dieser Wagenladung an Symptomen guten Sex gehabt haben?“. Und wenn ich ehrlich bin, „Bitte bitte bitte kann ich eine Zeitmaschine haben und in die Zeit zurückkehren in der ich noch gesund war, oder soweit in die Zukunft, dass es eine erfolgreiche Behandlung oder Heilung gibt?“.

Leider braucht das Zeitreisen noch eine Weile. Und während namhafte Institute und Ärzte noch an einer Behandlung oder Heilung arbeiten, sind sie nur knapp vor einer Zeitreise. Sie haben herausgefunden, dass ME multi-systemisch, degenerativ und wahrscheinlich tödlich ist. Mögliche Therapien sind stehen bevor. Bis jetzt, allerdings? Null.

Das heißt, ich habe mich damit arrangiert, vor allem weil ich keine andere Wahl hatte. Sex liebe ich immer noch. Teile von mir sind behindert, aber meine Libido ist sehr stark. Ja, den überwiegenden Teil meines Sexlebens hatte ich ME. Aber ich bin sexuell aktiv geblieben und habe versucht den Bedürfnissen meines Partners und meinen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Auf eine sonderbare Weise bringt mich die Behinderung meinen Partnern näher, weil wir vor Anfang an offen kommunizieren müssen. Idioten halten sowas nicht aus. (Ich hatte mehrere längere Beziehungen. (Ich bin wieder Single, weil mein Partner vor sieben Jahren gestorben ist und ich letztes Jahr eine Verlobung gelöst habe.)

Laut Statistik der USA hat eine/r von fünf Amerikaner/innen eine Behinderung. Aus eigener Erfahrung (z.B. online oder aus Selbsthilfegruppen) habe ich das Gefühl, dass viele von uns sexuell aktiv sind und Wege gefunden haben, mit der Behinderung eine erfüllte Sexualität erleben zu können.

Halten wir kurz inne und merken an, dass Behinderung ein weites Feld ist. Nicht alle von uns haben die gleichen Symptome und nicht alle von uns haben die gleichen körperlichen Voraussetzungen. Ich habe eine der oft „unsichtbar“ genannten Behinderungen – unter die auch Multiple Sklerose, Luxus, Borreliose und andere fallen – wobei eine Person sehr krank sein kann, aber normalerweise gesund aussieht. (Mehrmals pro Woche passiert es mir, dass mich Leute, die meine Krücken sehen fragen, was ich mir denn getan hätte, am Bein.)

Natürlich gibt es Menschen, deren Behinderung Sex unmöglich macht. Oder manche Menschen möchten vielleicht in bestimmten Phasen keinen Sex. Natürlich soll dieser Wunsch respektiert werden. Kein Mensch mit Behinderung soll zum Sex gezwungen werden, wenn ihr Körper nicht mitmacht. Noch sollten sie deshalb anders behandelt werden. Wenn ein Mensch mit Behinderung keinen Sex möchte oder haben kann heißt das nicht, dass er oder sie keine Liebe möchte oder braucht. Das sollte eigentlich jedem Menschen klar sein.

Zu oft suchen Nichtbehinderte Beispiele von behinderten Menschen die Hochleistungen bringen. Und viele von uns tun das auch, indem wir Karriere machen und ein aktives Sexleben haben. Aber es ist hart. Härter, als Nichtbehinderte wissen können. Allerdings werden wir als Beispiele hochgehalten, als ob man Menschen mit anderen Behinderungen tadeln wollte. „Siehst Du? Schau, was Du erreichen kannst, wenn Du es nur versuchst!“ Und das ist unfair. Jede Person mit einer Behinderung lebt sein oder ihr Leben so, wie es der Körper zulässt, innerhalb und außerhalb des Schlafzimmers.

War Sex leichter für mich, als ich noch nicht behindert war? Außer Frage. Macht es mir immer noch Spaß? Ja klar. Ich bin dankbar dafür. Besonders dann, wenn mein Partner meinen Körper versteht.

Dabei, zumindest, haben Behinderte und Nichtbehinderte womöglich mehr gemeinsam als sie wissen.

Behinderung und Sex schließen sich nicht gegenseitig aus

Ein aktueller Artikel in der englischen Zeitung „the guardian“ befasst sich mit der Thematik Sex und Behinderung aus der Sicht einer jungen Frau mit Cerebralparese, Emily Yates. Sie beschreibt zuerst, wie die Paralympics die Wahrnehmung von Sport und Behinderung zum Positiven verändert haben. Es ist nun nicht mehr allzu ungewöhnlich, herausragende Sportler vor gefüllten Hallen Medaillen gewinnen zu sehen, wobei die Sportler nur wie zufällig Prothesen tragen, im Rollstuhl sitzen, sehbehindert sind und ähnliches.

Was aber wäre, wenn es um Sex und Behinderung geht? Ist da die Bildung und die Wahrnehmung ähnlich?

Inklusive und barrierefreie Sexualerziehung gab es bis vor einiger Zeit nicht. Es ist bekannt, dass Frauen mit Behinderung dreimal so häufig sexuell missbraucht werden wie nichtbehinderte Frauen. Die bestehenden Angebote zur Sexualerziehung sind häufig nicht für Menschen mit Behinderung ausgelegt. Es gibt – wenn Überhaupt – wenige Videos mit Untertitel oder Audiodeskription, die Informationen sind häufig nicht leicht zu lesen oder zu verstehen, und die gezeigten Körper haben niemals offensichtliche Einschränkungen oder Behinderungen, was Menschen mit Behinderung noch mehr ausgrenzt oder in ihrem Körpergefühl beeinträchtigt.

Kindern und Teenagern wird häufig gesagt, sich und andere zu tolerieren. Kinder mit Behinderung werden von vielen Erwachsenen nicht unbedingt als sexuelle Wesen betrachtet und deshalb fallen die üblichen Warnungen und Strategien gar nicht vermittelt werden. Als Mensch mit Behinderung ist man dadurch doppelt verletzlich, wenn man auch physisch nicht leicht aus einer verfänglichen Situation fliehen kann.

Die junge Frau mit Cerebralparese berichtet, dass sie glücklicherweise ihre Sexualität in erfüllender Weise ausleben kann. Der Weg dorthin war allerdings sehr schwierig und sie hatte geradezu Panik vor dem ersten Mal, weil sie sich unter anderem große Gedanken dazu machte, welche Stellungen sie praktizieren konnte und wie das alles bei ihr überhaupt klappen würde. Da es an Informationen dazu mangelte, musste sie sich alleine bzw. mit vertrauten Personen darüber Gedanken machen. Sie empfindet es als schlimm, dass sie soviel Angst vor etwas haben musste, was eigentlich etwas schönes und lustvolles sein sollte.

Einige Menschen denken immer noch, dass Behinderte nicht sexy sein können oder – noch schlimmer – dass Sex mit Behinderten falsch sei. Emily Yates sieht, dass sich die Dinge ändern, und sie sieht sich selbst als einen Teil davon. Sie arbeitet mittlerweile unter anderem als Autorin für Reiseführer und Online Reiseplattformen, oder auch für britische Online-Projekte zum Thema „Liebe und Sexualität“.

Sie plädiert für mehr Sexualerziehung an Schulen, vor allem auch für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Eltern behinderter Kinder können diesbezüglich ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und ihre Kinder unterstützen. Menschen mit Behinderung, die in der Öffentlichkeit stehen, können Rollenmodelle sein und die Wahrnehmung in der Bevölkerung hinsichtlich „Sexualität und Behinderung“ verändern.

Obwohl ihre Arbeit in erster Linie mit ihrer Behinderung zu tun hat betont sie, dass sie darüber hinaus eine ganz normale junge Frau ist, mit den gleichen Hobbies, gefärbten Haaren, etc. – sie hofft, dass andere Menschen nicht nur ihren Rollstuhl sehen, sondern die Person darin. Emily Yates hat gelernt, dass sich Sexualität und Behinderung nicht ausschließen, und sie liebt den Weg, der damit verbunden ist.

(Für links zu den angesprochenen Reiseführern, Online-Portalen und Online-Projekten bitte einfach den Original-Artikel hier aufrufen. Alle links sind nur in englischer Sprache verfügbar.)

 

Podcast: Sexualität inklusive

Franziska Ruhland studiert Kulturwissenschaften an der Universität Koblenz. Im Rahmen ihres Studiums hat sie zum Thema „Emotion“ rechercheriert. Herausgekommen ist ein Podcast zu Sexualität und Behinderung. Die Authorin schreibt:

In unserer alltäglichen Lebenswelt scheint Sexualität und vor allem das Geschäft mit ihr nichts schockierendes mehr zu sein: nackte Haut strahlt von Werbeplakaten; „Sex sells“. Von einer sexuellen Revolution im Zuge der Individualisierung des 21. Jahrhunderts ist hier die Rede- doch lässt sich diese Enthemmung auch auf Gesellschaftsgruppen übertragen, die nicht zum allgemein anerkannten Schönheitsideal passen?

Nein. Menschen mit Behinderungen werden oftmals nicht als sexuelle Wesen wahrgenommen. Das Menschenrecht zur gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist zwar ratifiziert, doch noch nicht in alle Lebensbereiche umgesetzt. Besonders ihre sexuellen Bedürfnisse schreibt man ihnen schnell ab, da das vermeintliche Defizit der Behinderung im Vordergrund steht.

Um ihre Sexualität ausleben; erfahren zu können, wenden sich manche an die Dienste der Sexualbegleiter-/innen.

Ein Podcast über das Recht auf sexuelle Unterstützung im Zuge der Inklusion, über barrierefreie Liebe und über eine Form der Prostitution, die doch so viel mehr ist als bloße sexuelle Dienstleistung.

Podcast anhören: Sexualität inklusive

Liebe ist barrierefrei

Valentinstag mit dem „Ambassador of Awesomeness“

Am Wochenende des Valentinstags hatten meine Freundin und ich Besuch von Hannah, einer jungen Frau, die als Bewerbungsaufgabe für die Aufnahme an die Filmhochschule München ein dokumentarisches Essay als Grundlage für ein mögliches Drehbuch zu einem Porträt über mich geschrieben hat. Wir waren gemeinsam unterwegs und hatten zwei spannende Tage, mit tollen Gesprächen und Interviews. Ich denke, das Ergebnis ist auch spitze geworden und ich will es euch nicht vorenthalten 🙂


Text © Hannah Schumacher 2016

14. Februar 2016, vormittags. Der Blumenladen an der Ecke zur Löhrstraße hat gut damit zu tun, Blumen ästhetisch zurechtzuschneiden und in zahlende Hände zu drücken. Junge Paare drängen sich Händchen haltend an großflächigen Werbeplakaten vorbei, auf denen sie sich mit viel Rosa repräsentiert und als Mainstream vermarktet sehen. Als Mitglied der neuheidnischen Szene hält Christian Bayerlein (41) den Valentinstag zwar nicht für eine Verschwörung der Blumenindustrie, nutzt ihn aber lieber, um mit seiner Lebensgefährtin Grit und ihrer gemeinsamen Freundin Elke eine Lichtung ausfindig zu machen, auf der im Frühling in der Nacht auf den ersten Mai mit dem „Rabenclan“ das Beltane-Fest gefeiert werden soll. „Ich war immer der Ansicht, dass Beltane die Hochzeit von Gott und Göttin ist. Und ich hab mich aber belehren lassen, dass das eine sehr eingeschränkte Sichtweise ist, weil das eigentlich nur die Wicca glauben, viele andere Neuheiden haben ein polytheistisches Weltbild mit vielen Göttern und das Ganze auf nur einen Gott und eine Göttin zu reduzieren wäre halt falsch. Trotzdem hat es für mich auch sehr viel Sinnliches als Fest, und das Thema der Liebe, der Vermählung, Verschmelzung steht für mich trotzdem noch im Zentrum – auch in der Hinsicht, dass die komplette Natur da anfängt zu blühen, zu wachsen, zu sprießen und aufzuwachen sozusagen und der Sommer naht mit all seiner Kraft. Es ist für mich ein sehr symbolisches Bild was Liebe und Eros angeht, da es auch in den Menschen, in mir die Gefühle von Zuneigung, von Erotik und Sinnlichkeit wachsen – nicht zuletzt spricht man ja von Frühlingsgefühlen. Und ich glaube das ist im Wonnemonat Mai gerade sehr intensiv. Und auch Feuer ist ein sehr starkes Symbol an Beltane, Feuer spielt für mich eine ganz zentrale Rolle bei dem Fest. Das hat eine sehr starke sinnliche Energie.“

Seine Fußmatte behauptet „There is no place like 127.0.0.1“, dabei ist der studierte Informatiker eigentlich ständig auf Achse und liebt das Reisen über Couchsurfing und AirBnB. Auch seine eigene Couch stellt er für Globetrotter aller Art zur Verfügung, er lernt gerne Leute kennen – für einen sonst typischen Nerd ist er ausgesprochen atypisch sozial. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von der Welt als Kartenprojektion, direkt über der Star Trek-DVD-Sammlung, es gibt fast keinen Kontinent, auf dem er noch nicht war. Nur die Antarktis ist ihm einfach zu kalt. Auch jetzt verlässt er das Haus nicht ohne Decke und Wärmflasche. Wer sich nicht bewegen kann, friert eben sehr leicht, sagt Grit. In der Zimmerecke unter der Weltkarte steht ein Rollstuhl. Gleich geht die Reise in die Eifel los, vorher muss aber noch das übliche Morgenritual absolviert werden. Grit füttert ihn mit Bananenmus, putzt ihm die Zähne, zieht ihm Windel und Strumpfhose an und kämmt seine lange Metalhead-Mähne. Für sie ist Romantik vor allem Wärme, Zärtlichkeit und Vertrautheit. „Das wird auch dadurch, dass ich Christian so viel hin und her bewege noch intensiviert, ich bin jemand, der sehr stark mit dieser Nähe arbeitet und davon viel zieht.“ Wenn sie nicht da ist, beschäftigt Christian Assistentinnen. Er genießt sichtlich das Gefühl der Bürste auf der Kopfhaut. Selbst am Kopf kratzen kann er sich durch seine fortgeschrittene spinale Muskelatrophie nicht, Bewegungsfreiheit bleibt ihm nur im Gesicht und im Geist. Online ist er über sein Smartphone praktisch ständig, die Hälfte seiner Wachzeit bewegt er sich aktiv im Worldwide Web.

Der keltische Knoten, der seine Schulter ziert, ist gleichzeitig der großflächige Heckaufkleber des geräumigen, behindertengerechten Kombis. Was Christian unter die Haut geht, trägt er in die Welt hinaus – so auch seine Identität als Mensch mit einem Liebesleben.

Der ehemalige Behindertenbeauftragte der Stadt Koblenz hat vor einigen Jahren durch doppelten Bruch mit ungeschriebenen Verschwiegenheitsregeln für Furore im Stadtrat gesorgt, die CDU verhinderte seine Wiederwahl, auch wenn alle seine Äußerungen diesbezüglich lediglich im privaten Rahmen getätigt wurden. Sexualität von Behinderten sei eben immer noch ein Tabuthema, sagt er. „Ich gehe offen damit um, und zwar nicht nur Vanilla, sondern auch noch Kink – das war denen wohl ein bisschen zu radikal-progressiv.“, zwinkert er. „Für mich ist es total wichtig – das glaube ich, kann man nur jedem ans Herz legen, dass er sich damit auseinander setzt, was er mag und was nicht. Dass er da eine Offenheit hat und nicht im Bett das macht was alle machen, nur weil es alle machen. Ich finde es viel erfüllender, wenn man experimentiert, wenn man schaut „Was macht mich denn an?“ und wenn man offen dazu stehen kann.“ Durch die SMA ist seine Aussprache etwas undeutlich, die Worte die er wählt sind es nicht.

Seine Freundin fährt die blinkende Rampe an der Seite des Autos aus. „Cool!“, ruft ein vorbeilaufendes Kind. Christian fährt mit seinem Rollstuhl „Quickie“ auf die Einstiegshilfe zu, er navigiert ihn über eine Steuerungsapparatur mit dem Mund. Auch während Grit den Wagen lenkt, übernimmt er die Navigation, er hat gern die Kontrolle. Auf der BDSM-Skala zwischen submissiv und dominant ordnet er sich im eindeutig dominanten Bereich ein. „Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, wie aktiv man ist – offensichtlich kann ich mich nicht bewegen, aber ich glaube, das hat mit Dominanz relativ wenig zu tun, man kann auch mit Worten präsent sein und eine gewisse Präsenz ausstrahlen und auch eine gewisse Macht.“ Die Fahrt ins Mittelgebirge dauert über eine Stunde – für das heidnische Fest der Liebe wird keine Mühe gescheut. Christian glaubt hauptsächlich an die Wissenschaft, das schließt ein gewisses religiöses Brauchtum aber nicht aus, findet er. Er mag Science und Fiction. „Ich bin eigentlich sogar christlich sozialisiert, aber ich selber bin eigentlich eher skeptisch im Sinne von alles zu hinterfragen – und trotzdem bin ich ein Mensch, der fühlt, dass es was gibt, was eine übergeordnete Funktion spielt. Oder was alles durchzieht. Das ist nicht wirklich wissenschaftlich messbar, aber es ist was, das ich in mir spüre und insofern kann ich es auch nicht leugnen. Und zudem, das Heidentum, das ich lebe, bezieht sich in meinem Weltbild auch auf Symboliken, symbolisches Handeln, das dann Auswirkungen auf meine wahrgenommene Realität hat. Das ist dann weniger spirituell, sondern einfach ein pragmatisches, rituelles Handeln, bestimmte Werte einzuüben auch – um eine Gemeinschaft zu bilden zum Beispiel, oder um Solidarität auszudrücken. Oder solche Sachen wie Liebe an Beltane zu unterstreichen, das ist ja nichts Esoterisches, Liebe existiert ja und ist schließlich auch nicht mit Wissenschaft messbar – und trotzdem wird sie mir wohl auch nicht widersprechen, wenn ich behaupte, dass Liebe etwas real Existierendes ist.“ Es fängt an zu regnen, Straßenschilder und dunkler werdende Wolken ziehen vorbei. Die 
Landschaft wird hügeliger und der Kombi biegt in immer unwegsamere, matschige Feldwege ein. „Du hast das Schlachtschiff aber gut im Griff“, sagt Elke zu Grit. „Ach, das ging schnell. Das war eigentlich ie schwer“, meint sie. „Es hat so eine tolle Kamera hinten dran.“ Unter den Regen, der an die Fensterscheiben klatscht, mischen sich immer deutlicher auch Schneeflocken. Schlechte Aussichten für die Planung des Maifestes.

„Ist nicht das Wetter, das man sich für eine solche Expedition wünschen würde“, lacht Elke. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie das Ganze in grün aussieht.“ Dadurch lässt sich das Orga-Team allerdings nicht entmutigen, immer tiefer in den Wald rumpelt das Auto. Rechts und links am Wegrand liegen abgeholzte Baumstämme aufeinander gestapelt, die keine Blätterkrone mehr tragen werden, genormt und lieferfertig, wie die bunten Schnittblumen, die heute überall im Angebot sind. Der Schnee bleibt jetzt liegen. Der Frühling, der gefeiert werden soll, schien nie weiter weg, weit und breit ist keine geeignete Lichtung in Sicht. Kapitän Christian kommandiert weiter zum Vormarsch. Ja, er ist sich sicher. Da und dort schwärmen die beiden Frauen aus, um sich in der Peripherie umzusehen, bisher ohne Erfolg. Am Wegrand hat der Förster ein paar abgebrochene Äste zu einem lodernden Scheiterhaufen aufgetürmt, das sich vom heftigen Schneefall nicht irritieren lässt. Ein Leuchten der Hoffnung. Auch bei Beltane wird wie immer ein Lagerfeuer im Zentrum stehen. „Mit meiner letzten Gruppe haben wir das so gemacht, dass jeder über das Feuer gesprungen ist und sich laut schreiend was gewünscht hat. Mit Christian müssten wir uns da was anderes einfallen lassen.“, überlegt Elke. „Ich bin das Feuer!“, ruft Christian. „Heiß genug bin ich.“ Es soll auch oft zwei Feuer gegeben haben, zwischen denen man herlaufen konnte. „Oder tanzen“, sagt Grit. Nichttänzer Christian weigert sich entschieden. „Du kannst ja mit deinem Joystick tanzen.“, scherzt sie und steckt alle mit dem Lachen an.

Das Pfadfinderheim Ettelscheid, in dem die Übernachtung stattfinden soll, schickt die Truppe noch einen Hügel weiter, da habe man eine Lichtung gepachtet. Doch auch diese liegt im Hang, das Gelände ist hier abschüssig und die Pfade eng und serpentinenreich – ebenerdiger Boden ist im Mittelgebirge rar.

Der holprige Weg hat alle durchgeschüttelt und langsam fühlt Christian sich nicht mehr wohl, er muss sich anders hinsetzen, irgendetwas schneidet ein und tut weh. Die Sicherheit loszuwerden, wird zum Entfesselungsakt. In Beziehungen mag der Angestellte des Bundesarchivs Stabilität, Langfristigkeit und feste Bindungen, solange diese Bindungen nicht zu Zwängen und Fesseln werden. Er hat viel experimentiert, auch in Beziehungen mit mehr als einer Person gelebt. „Ich hab mit Polyamorie Kontakt gehabt im Zeitraum nach meiner ersten Beziehung und hab gemerkt, dass viele monoamore Denkweisen überhaupt nicht mit mir harmonieren, so was wie Besitzdenken oder so was wie „Man kann nur einen lieben“ oder „die Liebe bezieht sich immer nur auf eine Person, die dann hochstilisiert wird“ ist nichts, was ich in mir trage. Und im polyamoren Kontext gibt es sehr viele Ansichten, die mir sehr behagen, zum Beispiel, dass man offen miteinander umgeht und den Austausch pflegt, welche Bedürfnisse man hat. Das ist was, das Polys immer wieder machen müssen, weil ansonsten das ganze System zusammenfallen würde. (…) Viele Polys sagen, sie sind eifersuchtsfrei – das kann ich jetzt nicht von mir behaupten, ich kann durchaus sehr eifersüchtig sein, ich weiß aber auch, dass es bei mir sehr stark mit Verlustangst zusammenhängt. Ich glaube, wenn ich die nicht hätte, dann wär ich auch eifersuchtsfrei, weil, allein die Tatsache, dass ein sexueller Kontakt nach außen besteht, macht mir keine Angst, die besteht bei mir wenn dann darin, dass die Freundin nicht mehr zurückkommt oder ich dann nicht mehr so viel wert bin. Ich hab viele Freunde im polyamoren Kreis, hab in der Zeit auch viele Menschen kennengelernt, die ich sehr wertschätze und von denen ich auch viel gelernt hab. Auch wenn ich jetzt in einer festen Beziehung bin, halte ich die Werte aus dem polyamoren Rahmen immer noch sehr hoch, muss ich sagen.“ Grit hat andere persönliche Erfahrungen gemacht und ein recht negatives Bild vom Miteinander in dieser Art von „Hupfleben“, sie fühlt sich leicht in Konkurrenz mit anderen, sagt sie. Sie befreit ihn aus den Gurten, schnallt ihn erst vom Auto, dann vom Rollstuhl und nimmt ihn in die Arme. Sie duckt sich unter dem Dach des Kombis, ohne recht zu wissen wohin mit ihrem Freund. Das Dirigieren wird zur Mühsal, das Auto ist zwar groß, aber doch sehr eng und ohne klare Anweisungen gibt es ein Chaos. Elke möchte nicht im Weg sein, weiß aber nicht genau, wie sie helfen kann. Der Rollstuhl ist sehr sperrig, vielleicht möchte Christian doch lieber damit nach draußen fahren? Es ist zu wenig Raum zum Atmen, die Stimmung wirkt angespannt bei dem sonst ausgesprochen souveränen Paar. Die Rückbank wird freigeräumt, damit Chris sich hinlegen kann, aber er möchte doch lieber auf den Fahrersitz. Liebevoll legt Grit ihn darauf ab und lockert den Bund der Strumpfhose, dann auch die Windel und lässt ihn ausruhen. Sie bugsiert sich durch die vordere Sitzreihe zu Elke nach hinten. Der Niederschlag lässt langsam nach. Die Verschnaufpause im Auto wird kurzerhand zu Recherchezwecken genutzt, Elke und Grit studieren Tonnen an Büchern zur keltischen Mythologie, der Rabenclan nimmt akademisch fundiertes Wissen sehr ernst. Das übergreifende Thema dieses Jahr sollen Feen sein, vielleicht tanzen sie auch wieder mit Vogelmasken, das haben sie schon einmal gemacht. Grit sitzt entspannt am Boden und liest einen Abschnitt über Kraniche als Symbol der Fruchtbarkeit vor.

„Ihre kultischen Tänze mag man sich als männlichen Initiationsritus vorstellen, die Tänzer vermummt mit Masken des Kranichs, des größten Zugvogels Europas. Seine Ankunft im Frühjahr bedeutete den Beginn des bäuerlichen Jahres – aber auch der Kampfsaison – sein Abflug dessen Ende.“

Christian hat auf Facebook eine eigene Seite als „Ambassador of Awesomeness“ – das ist nicht so leicht zu übersetzen, findet er. „Viele Leute ergeben sich so ein bisschen in ihr…in der Alltäglichkeit. Also geben sich mit Zufriedenheit zufrieden. Mit „Das ist ja ganz nett“ oder mit mediokrem Leben. Und ich mag’s extrem. Diese Mittelmäßigkeit, damit könnte ich nichts anfangen. Ich bin ein Mensch, der… ich glaub, wenn ich laufen könnte, oder wenn ich mich bewegen könnte, dann wär ich mit Sicherheit auch Extremsportler in irgendeiner Art und Weise. Sei es Fallschirmspringen oder Paragliding oder irgendwas. Dahinter steht ja ein gewisser Hang zur Erlebniswelt, zum Erleben von speziellen Situationen und auch wieder ein bisschen der Forschertrieb. Sachen zu entdecken. Ich mag es eben, solche Sachen zu erleben, die eine besondere, exzellente Qualität haben. Und im Deutschen gibt es da kein gutes Wort für. Im Allgemeinen wird „awesome“ mit „geil“ oder „super“ übersetzt, oder so, aber das trifft’s meiner Meinung nach nicht. Es hat so was von „Da steht einem der Mund offen“. Das sind Momente, die ich total mag und gerne die Welt mit durchfluten möchte. Und der Ambassador kommt daher, dass ich das tatsächlich auch in die Welt hinaustrage, es ist ein bisschen ein Spiel damit. Ironisch, mit einem Augenzwinkern – ich bin der Botschafter. Aber ich glaube schon, dass es vielen Leuten gut tun würde, mehr von dieser Qualität in ihr Leben zu holen. Wobei es natürlich auch ein ironisches Spiel mit dem ist, dass viele Menschen den Blick auf behinderte Menschen mit „Inspiration Porn“ werfen. Da gibt es so einen gewissen Narrativ, der erzählt; wenn man behindert ist und irgendwie sein Leben lebt, dass man dann eine Inspiration für andere ist, dass man irgendetwas bewältigt oder schafft oder so. Und das ist natürlich auch ein heimtückischer Narrativ, weil’s wiederum einen ausschließt. Dadurch dass man demjenigen unterstellt, dass er was Besonderes oder was Inspirierendes, ganz Außergewöhnliches macht, holt man ihn aus der Normalität wieder raus. Inklusion – das sollte ja so sein – bedeutet auch, dass jeder Mensch ein normales Leben führen kann. „Ich führ euch was vor, ich bin euer Vorbild“, – damit spielt man, wenn man so einen Titel wie Ambassador nimmt, sozusagen.“

Generell wünscht er sich von den Medien mehr Repräsentation von Behinderten, bei der es nicht um die Behinderung geht. Zur medialen Präsenz von Stephen Hawking ist er zwiegespalten, einerseits findet er es gut, dass seine Arbeit als Wissenschaftler im Fokus steht, aber: „Es gibt eben weit und breit nur ihn – das führt zur Klischeebildung und ich werde immer mit ihm verglichen, obwohl ich eine andere Krankheit habe, ich bin nicht er, ich bin auch nicht so intelligent, ich bin meinetwegen hochintelligent, aber eben nicht so wie er.“ Den Hollywoodfilm über die Beziehung des Ehepaars Hawking fand er allerdings gut, weil er nichts dichterisch beschönigte, um in das Raster des typischen Liebespaares zu passen. Zum Thema Ehe sind Chris und Grit auf der Linie; kann man machen, konkret für seinen Lebensplan gewünscht hat es sich aber keiner von beiden. „Für mich spielt’s jetzt persönlich nicht so eine Rolle,“, erklärt Christian, „weil ich auch außerhalb einer Institution eine Beziehung fest und stabil und in gegenseitiger Verantwortung leben kann. Ich mag glaube ich schon das Ritual, oder die Zeremonie vielmehr, einer Hochzeit, die Vorstellung, dass man das innerhalb einer Zeremonie unterstreicht finde ich total schön, könnte ich mir auch irgendwann vorstellen, aber das muss nichts Staatliches sein. Ich brauch keine Unterschrift von irgendeinem Angestellten von der Stadtverwaltung dafür, der mir bestätigt, dass ich meine Frau liebe. Brauch ich nicht. Das weiß ich, das weiß sie und das reicht.“ Für heute lassen die drei die Lichtung Lichtung sein, für die Hochzeit von Gott und Göttin wird sich schon ein barrierefreier Austragungsort finden.

Am Himmel fliegt, sehr früh dieses Jahr, ein Pfeil aus Zugvögeln, die aus dem Süden nach Hause kommen. Vielleicht sind es Kraniche. Christian ist ein Freigeist, der für alles Neue brennt, Grit, die mit Keramik arbeitet, kennt das Feuer gut, sie erdet ihn, ohne ihn zu beschweren, sie liebt das vulkanische Island und Tibet, wo die Menschen über den Wolken doch ganz mühelos bodenständig bleiben.

Nebeneinander spazieren sie auf Füßen und Rollen über den Waldweg, Krokusse strecken trotzig ihre lilafarbenen Köpfe durch die weiße Decke, ein lebendiger Valentinsgruß an eine gelebte Liebe.

Sexualität und Behinderung im Joyclub

Auf der Portalseite Joyclub.de wurden in den letzten Wochen zwei lesenswerte Beiträge zum Thema „Sexualität und Behinderung“ im redaktionell gepflegten Magazinteil veröffentlicht. Diese Beiträge entstammen aus einem Interview, welches im Sommer vergangenen Jahres mit mir und meiner Freundin geführt wurde.

Im ersten Beitrag geht es um Sexualität im allgemeinen und dort wird versucht mit althergebrachten Mythen und Missverständnissen auszuräumen. Im zweiten Teil wird es dann etwas persönlicher. Der Artikel dreht sich um das Thema Beziehung und Behinderung und meine Freundin und ich erzählen über unsere Partnerschaft.

Der Joyclub versteht sich als „Community für stilvolle Erotik“. Man findet dort interessante Foren, um sich mit anderen Interessierten auszutauschen, aber auch einen schönen Magazinteil. Außerdem kann man ähnlich zu einer Datingplattform ein eigenes Profil pflegen und mit anderen Mitgliedern Kontakt aufnehmen.

Hier die Links zu den beiden Beiträgen:

Neue englischsprachige Studien

Wieder einmal gibt es interessante Neuigkeiten zum Thema Sexualität und Behinderung – wieder einmal nicht aus dem deutsch- sondern dem englischsprachigen Raum. Es handelt sich um zwei verschiedene Studien. Die eine Studie kommt aus Kanada, die andere aus Australien und wir wollen Euch im folgenden beide kurz vorstellen.

Kanadische Doktorarbeit will Vorurteile gegenüber dem Thema „Sexualität und Behinderung“ abbauen helfen

Frau Margaret Campbell forscht in ihrer Doktorarbeit an der Concordia Universität in Montreal, Kanada darüber, wie Menschen mit Behinderung ihre Geschlechtlichkeit und ihre Sexualität entdecken und erfahren, inmitten gesellschaftlicher Vorurteile und Stereotypen, die Menschen mit Behinderung eher „ent-sexualisieren“.

Den Original-Bericht zur Studie findet Ihr unter diesem link: http://www.journalpioneer.com/News/Local/2015-11-16/article-4345128/Margaret-Campbell-using-PhD-study-to-erase-stereotypes-regarding-disabled-people-and-sexuality/1

Ein großer Teil der Forschung besteht darin, physische Barrieren, aber auch Barrieren in den Köpfen zu identifizieren, mit denen Menschen mit Behinderung konfrontiert sind. „Es ist sehr hilfreich die vielen Stimmen und Erfahrungen meiner Interviewpartner zu hören – und auch deren kreative Art, mit Probleme umzugehen“, sagt Frau Campbell. Sie möchte aus den Ergebnissen auch Strategien und Richtlinien für die Politik ableiten, um Menschen mit Behinderungen besser unterstützen zu können.

Aber auch Nichtbehinderte tragen zur Stigmatisierung und Aufrechterhaltung der Barrieren bei, weil sie Menschen mit Behinderung häufig keine Sexualität zugestehen, z.B. weil sie denken diese Menschen können oder wollen keinen Sex haben, oder sie können auch keine verantwortungsvollen Eltern sein.

Frau Campbell ist die Studie sehr wichtig, da das Thema Behinderung in Verbindung mit Arbeit, Bildung oder Inklusion mittlerweile auf politischer Ebene angekommen sei, das Thema Sexualität aber eher hinten runter fällt.

Schluß mit den Barrieren im Schlafzimmer – eine universitäre Studie aus Australien

Die Studie aus Australien versucht herauszufinden wie Menschen mit Körperbehinderungen dabei unterstützt werden können, Ihre Sexualität auszudrücken und zu leben. Es gibt Klienten die gerne ein Date hätten, oder ein/e Sexarbeiter/in in Anspruch nehmen oder auch einfach nur einen Porno gucken wollen. Dabei benötigen Sie unterschiedliche Arten der Hilfestellung, vom Transport über das An- und Ausziehen bis hin zur Unterstützung bei der richtigen Stellung während des Geschlechtsverkehrs.

Viele Menschen mit Körperbehinderungen benötigen Assistenz. Dabei kann deren Umgang mit dem Thema „Unterstützung bei der Sexualität“ sehr unterschiedlich sein. Es bestehen auch Ängste auf Seiten der Assistenten oder Organisationen, sich strafbar zu machen oder der sexuellen Belästigung, des Missbrauchs verdächtigt zu werden. Dies zu vermeiden und klare Richtlinien für dieses Thema zu entwickeln ist ein weiteres Anliegen der Studie.

Einer der Forscher betont: „So lange das Thema im Untergrund bleibt, erhöht dies das Risiko für Ausbeutung und Missbrauch sowohl für die Klienten, als auch für die Betreuer und Assistenten.“

Wer den Text im Original lesen möchte, findet ihn unter http://www.theage.com.au/national/more-sex-please-ending-barriers-in-the-bedroom-20151109-gkug7m

 

Thesen und Dialog zu Sex und Behinderung

Ich war im Oktober 2015 als Referent eingeladen, über das Thema Sexualität und Behinderung zu sprechen. Bei der Veranstaltung führten wir eine offene Diskussion in kleiner Runde. Dieser Post zeigt schlaglichtartige Ausschnitte der Gespräche, bei Themen und Thesen, die mir besonders interessant oder wichtig erscheinen. Sie wurden aus Gründen der Besseren Lesbarkeit überarbeitet und neu zusammen gewebt. Zur Wahrung der Anonymität habe ich die Namen geändert.

Wir kamen relativ schnell auf das Thema “Mythen und Vorurteile”, was ich hier als erstes beleuchten möchte.

Julia Ich wurde mal im Internat mal bloßgestellt. Mein damaliger Freund, der auch selbst ein Handicap hatte, nur nicht so stark wie ich, der konnte mich eigentlich ganz normal unterstützen. Aber andere Mädels haben gesagt „Aber was willste denn mit der? Die kann sich ja noch nicht mal selber den Hintern abwischen.“ Und dann war die Beziehung passé. „Die nutzt dich ja nur aus und schikaniert dich rum.“ Weil ich halt gewisse Dinge nicht alleine kann.

David: Ich muss über diese Situation lachen, weil ich ganz klar sag, das ist der Neid. Ich kenne das auch selbst. Ich bin ja hoch aktiv, ich bin zwar hochgradig gelähmt, aber ich gehe auch in Diskos und das ist genau der Punkt, wo ich schon so oft erlebt habe, auf der Tanzfläche beobachtet zu werden. Wenn ich da mit Frauen tanze,  flirte, oder mich mit denen unterhalte, wie auch immer. Da bekommt man Blicke zugeworfen, so „Was will die denn von dem behinderten Idioten?“ In der Anfangszeit hat es mich auch gestört, da ich natürlich auch auffalle. Meine Reaktionen waren damals entsprechend. „Was willst‘n du Idiot? Hast du nichts Besseres zu tun als mir da gerade blöd zuzugucken?“ Heute denke ich „Scheiß drauf.“ Und dann lache ich. „Wollen sie vielleicht zuschauen? Kommen sie her!“

Christian: Ich glaube, dass ist auch wirklich teilweise ein Problem. Ich meine, uns Behinderten ist es klar und wir können auch mittlerweile ganz gut damit umgehen, einfach aus der Erfahrung heraus, aber gerade für die Anderen, für die Partner, ist es schon teilweise schwierig, den Rechtfertigungsdruck auszuhalten. Ich glaube, das ist manchmal schon belastend für eine Beziehung.

Bernd: Ich glaube nicht, dass es spezifisch nur bei Behinderten so ist. Vielleicht wird es so empfunden. Aber ich glaube, Das geht auch anderen so.

David: Aber bei uns augenscheinlich einfacher einen einfachen Haken zu finden nach dem Motto „Was willst’n du mit sowas Behinderten?“

Christian: Meiner Meinung nach ist es aber nicht nur Neid, denn das Unverständnis kommt ja auch oft von Leuten, die gar keinen Grund zum Neid haben, z.B. bei Eltern. Ich habe beispielsweise bei meiner ersten Freundin die Erfahrung gemacht, dass die Eltern mich nie akzeptierten. Die haben es immer so dargestellt, als wäre ich ein guter Freund, was mich verletzte. Das war kein Neid, weil ich ja kein Konkurrenzverhältnis zu den Eltern hatte. Es war einfach nur Unverständnis und eine falsche Einschätzung, aufgrund von Mythen, Unwissenheit und Ähnlichem.

David Die Ausgrenzung, ja. Das geht so weit „Was denkt denn mein Umfeld darüber?“, das stimmt schon. Und falsche Vorstellungen gibt es häufig. Ich bin oft bei Seminaren, wo ich über das Thema Sexualität und Behinderung spreche. Da glaubt man mir oft nicht, dass ich trotz meines kompletten Querschnitts noch Kinder kriegen kann. Viele Menschen fragen sich “Kann der überhaupt Sex haben, wie funktioniert das überhaupt bei dem?” Außerdem verbreitet ist auch das Denken in der Gesellschaft „Wenn der ihr ein Kind macht oder sie nen Kind macht, da kommt bestimmt ein Rollstuhlkind bei raus.“

Julia: Der kleine Rollstuhl kommt gleich mit.

David: Spaß beiseite. Das Denken ist verbreitet: “Wenn behinderte Menschen Sexualität leben und die Frau wird schwanger, dann gibt’s auch gleich nen behindertes Kind und das können wir in der Gesellschaft ja gar nicht brauchen. Wir haben ja genügend behinderte Menschen, die ja so wie so nur ne Belastung für uns sind”

Julia: Ja, aber der Mythos, dass behinderte Menschen keinen Sex haben könnten erstreckt sich ja durchaus auch auf die Frau. Aber warum sollte die Frau nicht können können? Es sei denn jemand hätte Bedenken was kaputt zu machen oder so. Aber als behinderte Frau wirste dennuch gefragt „Könntest du überhaupt?“ Himmel, warum soll ich nicht können?

Christian: Ich glaube das ist relativ geschlechtsunabhängig. Vielleicht ist es als Frau noch schwieriger, weil als Frau noch höhere Schönheitsideale angelegt werden als an einen Mann.

David: Was das angeht, hatte ich heute Morgen erst eine Diskussion gehabt, was an Geld in der plastischen Chirurgie steckt, weil einfach ein Gesundheitsideal oder Schönheitsideal in der Gesellschaft suggeriert wird „Du brauchst Doppel D Oberweite, du brauchst genau eine Westentaille, dieses, jenes – und ess muss genau exakt symmetrisch sein.”

Christian: Und auch Selbstoptimierung. Immer mehr Leistung.

David: Dabei sind solche Ideale ein gesellschaftlich-kulturelles Phänomen: beleibte Menschen waren früher Sexsymbol. Weil sie einfach als Reichtum galten, als wohlhabend. Deswegen waren die damals attraktiv.

Christian: Was ideale angeht, hängt meiner Erfahrung nach die Hemmung, eine Partnerschaft mit einem behinderten Menschen einzugehen, oft damit zusammen, dass man eine zu hohe Erwartung an Partnerschaft allgemein hat. Das Bild ist, dass man bis ans Lebensende mit jemanden zusammen bleiben will und nur mit diesem einen Menschen. Dann kommt vielleicht zuerst der Gedanke „Oh, mit dem Behinderten – will ich das? Nee, das vielleicht dann doch nicht.“ Viele haben Angst vor dieser gesellschaftlich geprägten Bild, dass es „Der jetzt sein muss.“  Aber wenn man erst mal den Druck raus nimmt und ein bisschen offener bleibt, kann man  Möglichkeiten schaffen, um die Beziehung erst mal zu entwickeln. Man sollte Partnerschaft so gestalten, dass sie harmonisch ist und es machbar erscheint.

Außerdem sind Selbstbewusstsein und eine positive Selbstwahrnehmung für Partnerschatün und ein erfülltes Sexualleben ganz wichtig. Das ist es ein Punkt, wo Sexualbegleitung über einen gewissen Punkt hinweg helfen kann – zum Beispiel, dass man sich selber auch wieder attraktiv fühlt. Für mich persönlich hat es eben den absoluten Klick gegeben, als ich mich mit dem Thema Devotees beziehungsweise Amelos beschäftigt habe. Also, Leute, die Behinderung als sexuelle Neigung haben und dies Anziehend finden. In dem Zusammenhang habe ich das erste Mal erlebt, dass es ein ganz anderes Bild gibt, was wir Behinderte bei denen haben. Ich als attraktive Person. Eben wie manche Leute auf Rothaarige oder große Brüste stehen oder was weiß ich, stehen die eben auf Behinderte. Und da habe ich so zu sagen einen Marktvorteil. Das zu spüren hat mit mir und meinem persönlichen Selbstbewusstsein ganz viel gemacht. Natürlich kann man überlegen, dass wenn es extrem wird, dass man dann vielleicht nur als Sexualobjekt gesehen werden könnte; aber bei den Devotinen, die ich kennengelernt habe ist es definitiv nicht so. Die sehen mich als Ganzes an, in meiner kompletten Persönlichkeit.

David: Das sehe ich auch so: bewusst die Person sehen, nicht den Fetisch. Aber gilt auch bei “Normalen”: Ich muss die Person sehen, nicht nur Titten oder das Becken, weil es gebärfreudig ist, sondern mit ihr zusammen einen Weg gehen wollen. Dazu gehört natürlich auch das Zwischenmenschliche – genauso wie die Sexualität.

Christian: Natürlich. Wichtig ist dabei auch, dass jeder sich mit sich selber und seinen Bedürfnissen auseinander setzen sollte: Zu erforschen, was will ich denn, was ist mir wichtig? Und nicht zum Beispiel Monogam ist, oder was auch immer, nur weil das gesellschaftliche Forderung oder kulturelle Norm ist. Das ist glaube ich was, wo ganz viele Leute einfach das machen, was jeder macht. Und ich glaube gerade wir behinderten Menschen haben den Vorteil, dass wir so wie so sehr stark über unsere Bedürfnisse nachdenken und reflektieren müssen und wir das eben gewöhnt sind.

David: Ich sage es ganz krass: Ich glaube etwas Besseres hätte mir nicht passieren können, als im Rollstuhl zu landen. Weil ich habe so einen anderen Blick auf viele Sachen, was Sexualität, was das Leben betrifft. Diese Erfahrung habe ich gewonnen. Ich muss andere Werte leben, ich muss mich ganz anders mit vielen Dingen auseinandersetzen. Deswegen finde ich einfach das Leben schön.

Bernd: Du hast es aber nicht immer so gesehen?

David: Ich bin relativ schnell dazu gekommen. Schon in der Rehaklinik hat die Stationsärztin mich zum Psychologen geschickt, weil sie es ganz komisch fand, dass ich schon nach einem halben, dreiviertel Jahr so gut drauf war: „Da stimmt irgendwas nicht.“ Man muss dazu sagen, ich hab eine bewegtes Leben hinter mir und ich war ein kleiner Gefahrenjunkie. Natürlich gab es nach meinem Unfall immer mal wieder so Phasen, die scheiße waren; gerade wo sich meine Exfrau andertalb Jahre nach dem Unfall von mir getrennt hat. Aber ich konnte mich da ganz gut fangen. Ich lege sehr großen Wert auf meine Selbstständigkeit.

Christian: Aber ist doch gut, dass du da so schnell wieder raus gekommen bist. Und deine Frau hat sich – wenn ich so dreist fragen darf – wegen der Behinderung dann nach dem Unfall getrennt?

David: Ja. Sie hat es zwar immer erklärt damit, ich hättemich so stark geändert, aber sie auch mal bisschen durch die Blume gesagt „Ich kann mir das eigentlich nicht so richtig vorstellen, nur Lecken und Ficken.“

Christian: Auch schade, oder? Das ist aber auch etwas, was weit verbreitet ist und wo auch noch viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden müsste. Eben, dass Sexualität nicht nur Möse und Schwanz bedeutet, sondern den ganzen Körper und dass da die Leute nicht so auf das eine Körperteile fixiert sind.

David: 95% der Frauen und 98% der Männer sind einfach nur blöd, weil sie genau im Großen und Ganzen das denken. Vor dem Unfall hat sich auch bei mir vieles darauf einfach fixiert. Jetzt hat sich das geändert Und ich frage hin und wieder in den Seminaren „Was ist Sex? Was ist das überhaupt? Was ist Sex? Wo fängt‘s an, wo hört‘s auf?“ Die Antworten sind ganz interessant: Die einen sagen „Das ist das Geschlecht, das weißt du doch, Geschlechtsverkehr.“ Ich entgegne dann: “Schon mal feuchte Träume gehabt? Mit Sicherheit oder? War da ein Partner oder eine Partnerin neben dran und hat da irgendetwas gemacht? Ist das kein Sex?” Sex ist nur eine Kopfsache und der Körper ist nur ein Werkzeug dazu.