Filmreview: „Good Bad Things“

Grit und ich haben heute Good Bad Things gesehen, der dieses Wochenende als Streaming-Event auf der Plattform Veeps zu sehen war. Der Film hat mich stark berührt. Regisseur Shane Stanger greift darin die Themen Liebe, Behinderung und Männlichkeit auf und erzählt die Geschichte von Danny, einem Unternehmer mit Muskeldystrophie, der sich den Herausforderungen von Freundschaft, Online-Dating und Selbstakzeptanz stellt. Der Film reduziert Danny nicht auf seine Behinderung und vermeidet das übliche „tragischer Held“-Klischee. Stattdessen zeigt er das vielschichtige Leben eines Mannes mit Höhen und Tiefen, Zweifeln, Erfolgen und Intimität.

Für mich war der Film auf vielen Ebenen nachvollziehbar. Genau wie Danny lebe ich mit einer neuromuskulären Erkrankung und erkenne mich in seinen emotionalen Kämpfen um Verletzlichkeit und die Angst vor Ablehnung wieder. Good Bad Things fängt diese Angst und die Komplexität, eine Behinderung in einer Beziehung zu offenbaren, sehr authentisch ein. Es beschönigt nichts, definiert Danny aber auch nicht nur über seine Behinderung. Seine vorsichtige, aber transformative Beziehung zu Madi, einer Fotografin, erinnerte mich an meine eigene Beziehung zu Grit. Auch wir setzen uns in unseren künstlerischen Projekten mit den Themen Verletzlichkeit und Schönheit auseinander und bewegen uns in ähnlicher Weise im Spannungsfeld zwischen Intimität und Behinderung.

Besonders beeindruckt hat mich, wie der Film das Thema Männlichkeit darstellt. Danny ist kein typischer „harter Kerl“, sondern die Geschichte zeigt seine emotionale Verletzlichkeit als Stärke. Diese neue Sicht auf Männlichkeit ist erfrischend, besonders in Verbindung mit einer Behinderung. Der Film bricht mit traditionellen Vorstellungen davon, was es heißt, ein Mann zu sein, und betont, dass Emotionen zu zeigen und sich auf andere zu verlassen keine Schwäche ist, sondern Teil des Menschseins.

Auch die Beziehung zwischen Danny und seinem besten Freund Jason wirkte auf mich sehr authentisch. Ihre Freundschaft, die auf gegenseitiger Unterstützung und Gleichberechtigung basiert, erinnerte mich daran, wie Grit und ich unsere Partnerschaft, sowohl privat als auch beruflich, gestalten. Der Film vermeidet es, Jason als den „Retter“ darzustellen, was oft ein Fallstrick in solchen Geschichten ist. Stattdessen unterstützen sich beide Figuren auf Augenhöhe, was ich sehr schätze.

Am kraftvollsten fand ich, wie Dannys Beziehung zu Madi zu einem Wendepunkt für ihn wird. Sie hilft ihm, seinen Körper in einem neuen Licht zu sehen – nicht als Hindernis, sondern als etwas, das Liebe und Verbindung verdient. Dieser Prozess, sich durch die Augen eines Menschen, der einen wirklich annimmt, neu zu sehen, ist mir sehr vertraut. Grit und ich haben in unserer Beziehung einen ähnlichen Raum geschaffen, in dem wir uns gegenseitig herausfordern und unterstützen, die Teile von uns zu akzeptieren, die wir vielleicht sonst schwer annehmen könnten.

Der Film spricht auch ein Thema an, das mir besonders wichtig ist: Repräsentation. Es ist selten, einen Protagonisten mit einer Behinderung in einer so vielschichtigen Rolle zu sehen, insbesondere im romantischen Kontext. Dannys Geschichte dreht sich nicht darum, seine Behinderung zu überwinden, sondern darum, voll und ganz mit ihr zu leben – etwas, das auch meine eigene Erfahrung widerspiegelt. Filme wie Good Bad Things und Touch Me Not, mit denen Grit und ich uns künstlerisch auseinandergesetzt haben, stellen die gängigen Narrative über Behinderung infrage. Sie zeigen, dass Menschen mit Behinderungen fähig sind zu lieben, zu begehren und Intimität zu erleben und nehmen dabei ihre eigene Körperlichkeit wieder in Besitz – in einer Welt, die uns oft marginalisiert.

Letztendlich ist Good Bad Things ein Spiegel meiner eigenen Reise: die Akzeptanz meines Körpers, die Neudefinition von Männlichkeit und Intimität nach meinen eigenen Maßstäben. Der Film erinnert daran, dass auch unsere Geschichten, in all ihrer Komplexität, authentisch erzählt werden müssen. Menschen mit Behinderungen verdienen es, glücklich zu sein, und ihre Geschichten verdienen es, gehört zu werden.

Lecture Series: Care, Disability and Art

Veranstaltung zum Thema Behinderung und Kunst mit Gespräch zu „Touch Me Not – Poetics and Politics of the Body“

Ich habe die großartige Gelegenheit, Grit Uhlemann und die Filmemacherin Adina Pintilie zu einer Diskussion über „Touch Me Not: Poetics and Politics of Intimacy“ in einem Vortrag zu begleiten, der von der Forschungsgruppe „Rethinking Art History through Disability“ am Institut für Kunstgeschichte organisiert wird. Universität Zürich und den Master Fine Arts an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.

Grit und ich spielten eine wichtige Rolle in diesem unglaublichen Projekt, bei dem wir unsere eigene Sexualität offen diskutierten und erforschten und gesellschaftliche Normen und Stereotypen herausforderten. Wir hoffen, dass unsere Verletzlichkeit und Bereitschaft, diese Erfahrungen vor der Kamera zu teilen, dazu beigetragen hat, marginalisierte Körper zu stärken und falsche Vorstellungen von Behinderung und Sexualität zu hinterfragen.

Das Institutskolloquium / Pool FS23: Ringvorlesung: Pflege, Behinderung und Kunst beschäftigt sich mit der Repräsentation des menschlichen Körpers in der Kunst und der Problematik, Behinderung als soziales und kulturelles Konstrukt zu definieren. Diese Veranstaltung ist Teil der Vortragsreihe und bietet die Möglichkeit, über den Körper als Mittel zur Verarbeitung erkannter und unerkannter Geschichte, Traumata und Sehnsüchte nachzudenken und dazu anzuregen, unsere Verbindung zu den Körpern anderer und zu unseren eigenen in den Mittelpunkt zu stellen Zentrum unseres persönlichen und politischen Lebens.

Die Veranstaltung findet am 11. Mai 2023 an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich, Raum Kino Toni ZT 3.G02 statt und wird auch live gestreamt. Adina Pintilie, Grit Uhlemann und ich sind die Hauptredner. Adinas plattformübergreifende Recherche zur Politik und Poetik von Intimität und Körper, einschließlich ihres Spielfilms Touch Me Not, gewann den Goldenen Bären auf der Berlinale 2018 und wurde weit verbreitet bekannt für seine grenzüberschreitende Sprache und Ästhetik.

Als Aktivist für die Rechte behinderter Menschen interessiere ich mich für die Kraft der Kunst, Perspektiven zu verändern und Normen in Frage zu stellen. Das Hinterfragen von Normen im Zusammenhang mit Behinderungen und die Stärkung ausgegrenzter Körperschaften ist ein entscheidender Schritt zur Schaffung einer integrativeren Gesellschaft. Indem wir anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen einzigartige Stärken und Fähigkeiten haben, können wir sie befähigen, ein erfülltes Leben zu führen und einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Ein weiterer Bereich, in dem es wichtig ist, Normen in Frage zu stellen, ist die Auseinandersetzung mit Stereotypen und Missverständnissen in Bezug auf Sexualität und Behinderung. Leider glauben viele Menschen immer noch, dass Menschen mit Behinderungen asexuell sind oder ihnen der Wunsch nach Intimität und sexueller Erfüllung fehlt. Indem wir diese Normen in Frage stellen und uns für die Stärkung marginalisierter Körperschaften einsetzen, können wir eine integrativere und akzeptierendere Gesellschaft schaffen, die die vielfältigen Erfahrungen und Perspektiven aller Individuen wertschätzt.

In „Politics of the Body“ nutzen Grit und ich die Plattform weiterhin, um uns für die Rechte marginalisierter Gemeinschaften einzusetzen. Durch unsere Arbeit als Aktivisten und Künstler haben wir dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der körperlichen Autonomie und die Notwendigkeit einer stärkeren Inklusion und Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen zu lenken.

Nehmen Sie an dieser spannenden Veranstaltung teil, um die Darstellung des menschlichen Körpers über alle Epochen und Kulturen hinweg sowie das grundlegende Medium der Kunstproduktion und -rezeption zu erkunden. Ich glaube, dass die Veranstaltung uns eine Plattform bieten wird, um darüber nachzudenken, wie wichtig es ist, den Körper und seine historisch konstruierte Einheit, insbesondere im Hinblick auf funktionale Vielfalt, innerhalb der kunsthistorischen Forschung neu zu denken.

Rollirotik – der Podcast zu Sexualität und Behinderung

Darf ein behinderter Körper sexy sein?
Wie gefährlich sind Devs wirklich?
Wie erlebt man Sexualität in einer interablen Beziehung?

Ich, Anna, beleuchte als Devotine zusammen mit Kjell, der eine Körperbehinderung hat, im neuen Podcast Rollirotik das Thema Sexualität und Behinderung: unverblümt und mit Fokus auf all den Dingen, die sonst hinter verschlossenen Türen bleiben. Für alle, die lieber zuhören statt lange Texte zu lesen und für alle, die ein wenig mehr wissen wollen, als es angebracht wäre zu fragen.

Im Podcast sprechen wir über unsere ganz persönlichen Erfahrungen, über Leidenschaft, Tabu-Brüche und die praktischen Aspekte von interablen Beziehungen. Und wir sprechen mit euch! Sagt uns, was euch besonders interessiert und welche Fragen ihr schon immer mal stellen wolltet.

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„Besonders Verliebt“: VOX plant Datingsendung mit Menschen mit Behinderung

VOX hat sich in Kooperation mit Handicap Love vom britischen Fernsehen inspirieren lassen. Dort läuft seit einigen Jahren (offenbar relativ erfolgreich) die Sendung „The Undateables“. Singles mit Behinderung treffen vor laufender Kamera andere Singles, um einen passenden Partner zu finden. Mal ganz abgesehen vom Namen der Sendung (der im Deutschen immerhin ein kleines bisschen Würde bewahrt), erscheint mir das Konzept alles andere als inklusiv.

Im Moment werden dafür Teilnehmer mit Behinderung gesucht. Immerhin gibt man sich Mühe, dem beinahe sicheren Abrutschen in die Inspiration-Porn- und Sensationsschiene etwas entgegenzuwirken. Dazu wird im Aufruf versichert, dass niemand vorgeführt oder blamiert werden soll, sondern dass der Schwerpunkt darauf liegt, „auf einfühlsame Weise für mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen“ zu werben. Ob das gelingt und wie das Konzept umgesetzt wird, können die Zuschauer ab September 2021 herausfinden.

Passende Singles für die Teilnehmer werden derzeit über Handicap Love, die größte und bekannteste Singlebörse für Menschen mit Behinderung im deutschsprachigen Raum, gesucht. Da sehe ich die erste Problematik: Nach dem „Gleich und gleich gesellt sich gern“-Prinzip erfolgt die Suche auf einer Plattform, die vor allem von Menschen mit Behinderung frequentiert wird. Schade, dass eine Sendung, die vermutlich einen relativ großen Zuschauerkreis erreichen wird, sich in dieser Hinsicht bereits im Voraus positioniert. Soweit ich erkennen kann, ist nicht klar formuliert, dass potentielle Partner auch eine Behinderung haben sollten. In der Handicap Love-Bubble ist das jedoch für die meisten Mitglieder der Fall. Vielleicht wird ja auch auf anderen Wegen gesucht, ich würde es mir jedenfalls wünschen und bin auf die Reaktionen zur Sendung gespannt.

Eine Beziehung für die ganze Welt: Partnerschaften von Menschen mit und ohne Behinderung auf Social Media

Paare, bei denen einer der Partner eine sichtbare Behinderung hat, ziehen Blicke auf sich. Im Internet sind sie Klickgarant. Einige dieser Paare präsentieren ihr gemeinsames Leben online und versuchen so, Bewusstsein zu schaffen für eine eigentlich ganz alltägliche Sache.


Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, das außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts Liegende seltsam spannend zu finden: das Ungewöhnliche, Exotische und eben auch Menschen, die auf den ersten Blick nicht in die breite Masse passen. Wenn Menschen mit Behinderung auf sozialen Medien von ihren Erfahrungen berichten, kann das ein Türöffner sein, eine Einladung, in eine sonst unbekannte Welt einzutauchen. Es ist aber auch eine Welt, von der häufig Vorurteile und vorgefertigte Meinungen existieren und die es in den Köpfen der Menschen vielleicht irgendwo gibt, aber die um Himmels Willen keine Berührungspunkte mit der eigenen haben soll.

Auch ohne den zusätzlichen Faktor der romantischen Beziehung zeigen YouTuber, wie man mit Humor und Leichtigkeit, aber auch mit Ernsthaftigkeit, diese Grenzen überwindet. Berühmte deutschsprachige Beispiele aus den letzten Jahren, die schnell eine große Zahl Follower und Klicks erlangten, sind Gewitter im Kopf, die auf witzige Art über das Tourette-Syndrom aufklären, und Leeroy Matata, der viele verschiedene Menschen mit interessanten Geschichten interviewt und seine eigene Behinderung dabei ganz ohne Anstrengung in den Hintergrund rückt.

Wenn zur Behinderung allerdings noch der Gedanke an Beziehung und Sexualität kommt, wird das Spannende zum wirklich Ungesagten, zu etwas, das manchmal als das letzte Tabu bezeichnet wird. Dem stellen sich YouTuber entgegnen, öffnen ihr privates (Beziehungs-)Leben und schaffen so eine neue Welt. Eine Welt mit viel Potenzial, aber auch mit viel Ablehnung und Kampf.

Shane und Hannah (als Squirmy and Grubs) sind das derzeit wohl bekannteste „interabled couple“ auf YouTube. Über 750.000 Abonnenten interessieren sich für den Alltag der beiden. Aber auch andere Paare haben erfolgreiche Kanäle, zum Beispiel Cole und Charisma und das Sign Duo. Im deutschen Sprachraum gehören Brittlebonesking dazu. Was die Paare eint: Eigentlich lebt niemand von ihnen einen sonderlich ungewöhnlichen Alltag. Sie reden übers Kochen, über Ausflüge und Urlaube, übers Heiraten, übers Kinderkriegen. Das Ungewöhnliche ist die öffentliche Präsentation. Und dass es sicher immer noch Menschen gibt, für die es nicht vorstellbar ist, wie Behinderung und Sexualität zu vereinen sind.

Vor vielen Jahren schrieb Raul Krauthausen einmal: „Wenn ich so durch die Stadt fahre und behinderte Menschen Arm in Arm mit Nichtbehinderten sehe, dann fällt mir immer wieder auf, dass es meist die Frau ist, die ein Handicap hat.“ Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein: Bei allen erwähnten Paaren ist es der Mann, der eine Behinderung hat. (Ein Kanal einer Frau mit Behinderung zum Thema, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat, ist Finding Ren.) Dass diese Männer dann ihre Beziehung mit einer klassisch attraktiven Frau zeigen, ist für einige Zuschauer sicher ein weiterer Überraschungsmoment.

Dennoch: der Ruhm und das noble Ziel, Bewusstsein zu schaffen, haben auch ihre Kehrseiten. Social Media bietet den typischen Internet-Schutz für Konsumenten: Hier kann man ungeniert und unerkannt starren. Hier kann man anonyme Kommentare verfassen und Dinge loswerden, die man von Angesicht zu Angesicht nie sagen würde. Gerade bei Squirmy and Grubs gibt es eine ganze Szene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die beiden als Fakes zu entlarven und Verschwörungstheorien zu verbreiten, weshalb eine so attraktive Frau auf keinen Fall einen Mann mit Behinderung lieben kann.

Paare, in denen ein Partner eine Behinderung hat, betreten auf Social Media Neuland. Vor allem für die Gesellschaft, aber auch für ein Genre, das sich langsam einen Platz erarbeitet. Sie setzen ein Zeichen für alle Menschen, die in einer solchen Beziehung leben, und für deren Umfeld: dass das Unbekannte und Ungedachte so greifbar und alltäglich sein kann.

Wie viele Amelos gibt es? – Der Versuch einer Annäherung mangels wissenschaftlicher Evidenz

Die Grundlage zu diesem Text habe ich zuerst in einem Forum veröffentlicht, in dem die Frage aufgekommen ist, wie viele Menschen es wohl gibt, die man als Amelos/Amelinen bezeichnen kann. Die Bezeichnung Amelo verwende ich hier für Personen mit einer sexuellen Vorliebe für Menschen mit Behinderung (synonym zu dem bei Kissability sonst häufig verwendeten Wort Devotine). Dieser Begriff ist im deutschen Sprachraum inzwischen nicht mehr nur auf die Vorliebe für Menschen mit Amputationen beschränkt, auch wenn die etymologische Perspektive darauf hindeutet.


Wenn man einschlägige Webseiten befragt, sind Amelos kein seltenes Phänomen. Als Mensch mit Behinderung trifft man immer mal auf sie. Meist im Internet unter angenehmen oder nervigen Vorzeichen, manchmal aber auch in der unangenehmen Form von Bildersammlern oder Voyeuren im echten Leben. Wie viel Prozent der Bevölkerung aber tatsächlich diese Vorliebe hat, ist eine sowohl interessante als auch meines Wissens unzureichend geklärte Frage.

Mich beschäftigt die Frage schon seit Jahren. Weniger, weil ich unbedingt wissen möchte, wie viel Seltenheitswert mir nun zugesprochen werden kann, sondern eher, weil mir die Frage danach so häufig begegnet. Sie ist mir vor allem von Menschen mit Behinderung gestellt worden, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen (ob man nun wissen will, wie hoch die Chancen sind, eine/n von uns als Partner zu finden oder eben zu vermeiden).

Es gibt ein paar mehr oder weniger wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zum Amelotatismus. Im deutschen Sprachraum ist da vor allem die Arbeit von Ilse Martin zu nennen, die die Neigung als „Mancophilie“ bezeichnet und darüber ein Buch veröffentlicht hat. Darin spricht sie von einer „wahrscheinlich[en …] Inzidenz von 1:1000“ (Martin 2014: 25). Es ist leider nicht ganz klar ersichtlich, woher die Zahl stammt. Alle in diesem Buch zitierten Studien waren auf die Befragung von Betroffenen beschränkt, teilweise gibt es auch Einzelfallstudien.

Der einzige andere Anhaltspunkt, der aus nicht-wissenschaftlicher Perspektive bleibt, ist anekdotische Hochrechnung.

Das größte mir bekannte Forum für weibliche hetero-/bisexuelle und männliche homosexuelle Amelos hat im Moment (Mai 2020) ca. 2500 Mitglieder. Vermutlich sind ca. 1000 bis 1500 davon Amelinen (der Rest sind Männer mit Behinderung). Dieses Forum ist zwar auf die englischsprachige Bevölkerung begrenzt, hat aber Mitglieder aus der ganzen Welt. Zur Hochrechnung: 330 Millionen Menschen auf der Welt sprechen Englisch als Muttersprache, 600 Millionen Menschen haben Englisch als erste Fremdsprache gelernt. Gehen wir also davon aus, dass gut eine Milliarde Menschen die sprachlichen Voraussetzungen für das Forum erfüllt. Circa die Hälfte davon sind heterosexuelle Frauen bzw. homosexuelle Männer, also eine halben Milliarde Menschen. Das entspricht einem Prozentsatz von 0,0003% (1500 von einer halben Milliarde). Diese Zahl ist jedoch zu niedrig, da es weitere ausschlaggebende Faktoren gibt. Die 1500 Amelos und Amelinen haben u.a. folgende Gemeinsamkeiten:

  • mindestens 18 Jahre alt,
  • Internetzugang,
  • Interesse am Austausch mit anderen Betroffenen,
  • die Selbsterkenntnis, dass man diese sexuelle Orientierung/Neigung hat,
  • der Wille, sich damit auseinanderzusetzen

Diese Faktoren sind leider nicht bezifferbar; man muss also schätzen. Wenn wir den oben genannten Prozentsatz vertausendfachen (d.h. 1 von 1000 existierenden Amelinen ist im Forum angemeldet) wären wir bei 0,3% Prozent.

Das ist natürlich keine wissenschaftliche Argumentation, sondern dient nur dazu, zu zeigen, dass es sehr wenige Amelos gibt. Was ich hier nicht beachtet habe, ist das oft zu findende Argument, dass es mehr männliche als weibliche Amelos gibt. Das ist eine weitere unzureichend geklärte Frage und vielleicht Thema für einen zukünftigen Text.

Zum Schluss noch eine anekdotische Betrachtung zur Ausgangsfrage: Ich bin schon seit einigen Jahren im Netz zu den Themen Dating und Sexualität unterwegs, häufig direkt als Ameline erkennbar. Aus der Stadt, in der ich in den vergangenen Jahren gewohnt habe und die etwas weniger als 600.000 Einwohner hat, habe ich in dieser Zeit zwei Menschen online kennen gelernt, die sich auch als Amelo identifiziert haben (was, zusammen mit mir, übrigens einem Wert von 0,0005% entspricht, ziemlich nah an dem oben berechneten Wert).

Auch andere Erfahrungen zeigt mir, dass es gar nicht so viele Amelos gibt, wie man zunächst annehmen könnte. Ich spreche immer mal mit Menschen mit Behinderung und frage, ob sie in ihrem bisherigen Leben jemanden kennen gelernt haben, von dem sie wissen, dass derjenige Amelo oder Ameline ist. Viele ahnen es vielleicht bei dem ein oder anderen, haben aber konkret nur dann Amelos kennen gelernt, wenn sie im Netz danach gesucht haben bzw. dort kontaktiert wurden.

Schließlich zeigt auch der Mangel an wissenschaftlichen Betrachtungen zum Thema, dass es weder ein häufiges Phänomen ist, noch eines, das erhöhter medizinischer Aufmerksamkeit bedarf. Ich fände vor allem Studien interessant, die den sozialen und gesellschaftlichen Aspekt des Amelotatismus beleuchten. Dafür gibt es mit den erwähnten empirischen Studien (nicht zuletzt mit der von Ilse Martin durchgeführten Befragung) zumindest Ansatzpunkte, die eine interessante Grundlage für weitere Forschung bilden.


Martin, Ilse (2014). Mancophilie: Zur Vollkommenheit fehlt nur ein Mangel. Homo-Mancus-Verlag, Maintal

Amelotatismus: Das Begehren nach Menschen mit körperlicher Behinderung

„Anna* fühlt sich von Männern mit Behinderung angezogen. Stefanie*, die eine körperliche Behinderung hat, war mit Männern zusammen, die genau das begehrten. Eine Geschichte von zwei Frauen auf der Suche nach sexueller Erfüllung“ schreibt Konrad Wolf, studierter Theaterregisseur sowie freier Autor im Online-Magaqin ze.tt. Sowohl in seinen Regiearbeiten als auch in seinem Schreiben ist er angetrieben durch den Wunsch, Menschen mit Behinderung sichtbar und hörbar zu machen.

Er meint „Sowohl Amelotatist*innen als auch behinderte Menschen machen in ihrem Leben die Erfahrung, von der Norm abzuweichen – die einen in ihrem Begehren, die anderen durch ihre Körperlichkeit. Das ist etwas, das sie verbindet und füreinander gegenseitig anziehend machen kann.“. Den können wir uns nur anschließen. Insgesamt ein toller Artikel über andersartige Sexualität mit einem positiven Blickwinkel.

Den gesamten Text findet ihr hier:

YouTube: #100percentme – Ihr habt Sex?

Anouk und Lukas sind seit dreieinhalb Jahren in einer Beziehung und haben sich schon einiges anhören müssen, weil Anouk im Rollstuhl sitzt und Lukas nicht. Denn Lukas ist nicht Anouks Pfleger und hat auch kein besonders ausgeprägtes Helfersyndrom. Jetzt erklären die beiden, warum die meisten Vorurteile Quatsch sind und beantworten auch die Frage aller Fragen: Wie funktioniert das eigentlich beim Sex?

Meine persönliche Geschichte

Heute möchte einmal etwas von mir und meiner Vergangenheit erzählen. Also fange ich am besten ganz von vorne an. Ich bin 1975, also direkt in den wilden 70gern, geboren. Ich habe einen Bruder, der sechs Jahre älter ist als ich und meine Eltern leben im idyllischen Hunsrück.

Im Alter von sechs Monaten wurde bei mir Spinale Muskelatrophie diagnostiziert. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis für meine Eltern, da damals auch noch nicht sehr viel über diese Krankheit bekannt war und niemand wußte genau was gibt es denn da für Unterstützung oder frühe Hilfen.

Sie waren dann zu der Zeit mehr oder weniger auf sich allein gestellt, aber die Omas und auch der Freundeskreis haben meine Eltern unterstützt, das hat dann ganz gut funktioniert.

Das erste Erlebnis an das ich mich wirklich sehr bewusst erinnere ist, als ich mit gerade einmal sechs Jahren in ein Internat kam. Das war 1981 da gab es noch keine Betreuung oder gar Inklusion, nicht mal eine Schulassistenz, die mich hätte begleiten können. Damals war dann die einzige Option mich auf das Internat zu schicken, da die Sonderschule, zu der gehen konnte, zu weit entfernt war.

Die normale Schule wäre auch wirklich schwierig für mich gewesen, da ich speziell im Hochsprung (auch heute noch!) sehr schlecht war. 🙂

Jeder kann sich vorstellen das es für mich sehr heftig war, als Kind weg von meinen Eltern, der vertrauten Umgebung und alles was ich zu diesem Zeitpunkt gekannt hatte, gehen zu müssen. Ich hatte schreckliches Heimweh und fühlte mich anfangs auch wirklich sehr einsam.

Ich habe mir dann auch relativ schnell einen guten Freundeskreis aufgebaut, wir waren zum Teil richtige Kameraden. Einer der mit dem ich mehrere Jahre das Zimmer geteilt habe ist auch heute noch ein wirklich guter Freund, wir sind wie Brüder und so war das Gefühl der Einsamkeit auch wirklich schnell verflogen. Das Internat endete für mich mit dem Abschluss der Hauptschule, da war ich dann Anfang 20.

In meiner Jugendzeit war Sexualität ein relativ schwieriges Thema gerade auch was meine eigene Wahrnehmung und mein Selbstbewusstsein angeht.

Ich hatte zu der Zeit viele platonische Freundinnen, wenn ich da auch mal mehr versucht hatte und die nicht wollten war ich nicht total depremiert, im Gegenteil ich habe dann eben bei einer anderen mein Glück versucht! Leider hatte ich immer Probleme eine körperliche Beziehung aufzubauen, meine erste richtige Beziehung hatte ich eigentlich ziemlich spät, da war ich ungefähr Mitte 20. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurück denke habe ich es vor meiner ersten Beziehung als relativ schwierig empfunden eine Partnerin zu finden. Gerade was das Sexuelle angeht, denn platonische Freundinnen waren nie eine Schwierigkeit für mich. Ich denke es war für die Frauen, in die ich verliebt war, schwieriger war, da ich ja in einer Einrichtung gelebt habe und man da nie wirklich Zeit für sich alleine hatte. Alles wurde im Voraus geplant und wer möchte schon eine Beziehung nach Zeitplan? Eine Partnerschaft braucht Freiraum und da will man sich nicht irgendwo rein drängen lassen, das war schon auch ein großer Störfaktor. Mein Freundeskreis bezog sich auch sehr auf Menschen aus der Einrichtung, da war kein wirklich echter Kontakt zur Außenwelt. Solange ich nur bei meinen Eltern oder eben später in der Einrichtung gelebt hab, hatte ich auch keine Beziehung. Erst mit der persönlichen Assistenz hat sich das alles zum positiven gewendet, auch was Freizeitgestaltung angeht und auch mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

So lernte ich dann meine erste Freundin kennen. Zuerst haben  wir uns nur E-mails geschrieben, das wurde immer intensiverund irgendwann waren wir dann in einer Beziehung miteinander. Das klingt jetzt vielleicht ein bißchen plakativ, man schreibt, trifft sich dann und schwupps ist man in einer Beziehung, aber genau so war es! Diese Partnerschaft hatte ich dann etwa 6 Jahre lang. Als wir zusammen gekommen sind war ich 25, bei der Trennung 31.

Wir hatten eine traditionelle Beziehung, wir haben auch zusammen gewohnt, also wie bei anderen Paaren auch. Ich habe mich in dieser Zeit auch weiter entwickelt. Aber als wir uns dann getrennt hatten, habe ich an mir gezweifelt, mein Selbstbewusstsein war ziemlich niedrig zu dem Zeitpunkt.

Das Gefühl von Einsamkeit und dem Grübeln ob ich wohl jemals wieder jemanden finden werde beschäftigten mich. Ich wollte aber nicht nur da sitzen und jammern sondern wieder aktiv teilhaben, schließlich war ich Single! So beschloss ich, aktiv zu werden und Kontakte zu knüpfen, hauptsächlich im Internet über entsprechende Seiten. Ich hatte dann wirklich mit vielen Leuten Kontakt und fand die Zeit auch sehr spannend, so viele verschiedene Charaktere kennen zu lernen. Aber auch in Bezug auf mich, meine Bedürfnisse und Vorlieben, war diese Zeit sehr lehrreich. Ich war nie ein Chorknabe und hatte mehrere kurze Affairen, manche davon auch parallel. Das war eine sehr aufregende Zeit in meinem Leben und ich habe sehr viele Erfahrungen gesammelt.

Zwischendurch hatte ich eine 2 Jährige Beziehung die doch ziemlich chaotisch war. Meine Freundin hatte Borderline und eine Bindungsstörung.  Wir hatten eine offene Beziehung, was ja an und für sich kein Problem ist, aber in der Konstellation mit Borderline war es dann schon ziemlich heftig. Auch da habe ich sehr viel über mich selbst gelernt, auch wo meine Grenzen sind, wann es besser ist mich, auch emotional, selbst zu beschützen.

Seit ungefähr 5 Jahren bin ich mit meiner jetztigen Freundin zusammen, das ist eine wieder eher bodenständige Beziehung. Ich möchte nicht sagen das es eine normale Beziehung ist, denn normal bin ich nicht 🙂 aber doch wie bei jedem anderen auch, wir lachen wir streiten, wir haben Sex, in so fern auch traditionell. Man könnte sagen, der Kreis hat sich geschlossen, und dennoch wäre das nicht ganz richtig, denn ich bin jetzt eine andere Person als zu Beginn meiner Auseinandersetzung mit Partnerschaft und Liebe.

Aber was will ich mit diesem Beitrag überhaupt sagen? Vielleicht, was wichtig ist, um eine erfüllte Partnerschaft leben zu können.

Dahin wie mein Leben jetzt ist, bin ich vorwiegend durch die persönliche Assistenz gekommen. Nur so kann ich ein Leben führen zu können wie alle anderen auch. Das ist eine fundamentale Voraussetzung für Inklusion. Nur wenn diese Basis eines selbstbestimmten Lebens gelingt, kann auch eine erfüllte Partnerschaft gelebt werden. Und welche kulturellen Zwänge eine erfüllten Partnerschaft bei einem Leben in einer Institution entgegenstehen, habe ich ja schon ausführlich weiter oben erzählt.

Was braucht es noch? Immer noch viele Menschen ein falsches Bild, da eine Berührung oder eine Begnegnung mit einem behinderten Menschen oft Ängste außlöst. Gerade weil es vielen fremd ist mit einem solchen Mensch um zu gehen. Ich denke 90% hatten niemals Kontakt mit einem Behinderten und meiner Meinung nach sollte jeder frühmöglichst gerade diesen Kontakt haben um zu wissen, das sind ganz normale Menschen wie du und ich auch, da ist nichts wo man Angst haben müsste! Leider wird die Oberflächlichkeit und das Schönheitsideal von Plattformen wie Instagram noch gepusht. Ich will das gar nicht persé verdammen, es bietet ja auch Freiheit! Es muss aber eine Balance geben zwischen dieser Oberflächlichkeit und der Realität, wo es auch eine Vielfalt an Menschen gibt. Schnelle Befriedigung von Gelüsten ist hifreich aber auf Dauer kein Ersatz für eine echte Beziehung.

Im Gegenzug hat mir das Internet auch geholfen, gerade als ich Single war. So konnte ich einfacher und schneller in Kontakt mit Menschen treten, man hat sich da zwar oft in einer Nische bewegt, aber da findet man eben wirklich Leute die einen auch attraktiv finden, also kann das Internet durchaus ein Hilfsmittel sein.

Vielleicht hab ich in diesem etwas persönlicherem Post ein bisschen von meinen eigenen Erfahrungen weitergeben können. Am wichtigsten finde ich aber : Mut. Habt Mut, zu erforschen, eure Bedürfnisse und euer Verlangen kennen zu lernen, euren eigenen Weg zu gehen und eure eigene Schönheit zu entdecken.

Braucht die Gesellschaft Sextherapie?

Nach einiger Zeit der Pause erscheint endlich mal wieder ein neuer Blog-Post auf Kissability! Der Text entstand aus einem Interview, was im Rahmen eines Artikels in der Edition F zu “Touch Me Not“ geführt wurde. Leider sind unsere Beiträge nur zum Teil in den dortigen Artikel eingeflossen, aber ich nutze die Gelegenheit, das Original hier zu veröffentlichen 🙂

Braucht die Gesellschaft Sextherapie?

Chris: Ich finde den Begriff der Therapie in diesem Zusammenhang nicht passend, denn er weckt Assoziationen zu Defiziten die repariert werden müssten und ist negativ besetzt. Was aber wichtig ist, ist dass wir als Gesellschaft offener und toleranter gegenüber der Vielfalt der Sexualität werden, auch in ihren devianten Spielarten.

Grit: Natürliche Begegnung mit sich selbst und die Kommunikation mit meinem Partner egal auf welcher Ebene, sind für mich in der Partnerschaft immer ganz wichtig gewesen. Eine Gesellschaft, die sich das als Anspruch stellt, trägt zu mehr Mitmenschlichkeit bei.

Warum lohnt es sich seine eigene Sexualität zu erkunden?

Grit: Die eigene Spannbreite meines sexuellen Ausdrucks und meiner Erfahrung haben mir sehr viel über die Art und die Tiefe meines Wesens auch im Annehmen und der Tiefe der Verbindung zu meinem Partner gezeigt.

Chris: Die eigene körperliche Wahrnehmung gehört zum Kern jeder Persönlichkeit. Wir sind alle körperliche Wesen. Eine erfüllte Sexualität ist dementsprechend eins der Grundbedürfnisse des Menschen, so wie Essen und Sicherheit. Auf der anderen Seite ist das sexuelle Empfinden individuell sehr unterschiedlich. Also muss man erstmal seinen eigenen Körper und sein Begehren kennenlernen, um überhaupt Erfüllung erlangen zu können. Viele Menschen richten sich aber nach gesellschaftlichen Narrativen und Normen aus, statt ihre eigenen Gefühle kennenzulernen. Das führt oftmals zur Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse und damit verbunden zu Unglück und teilweise sogar Gewalt. Diese Spirale zu durchbrechen und die Möglichkeit zu erkunden, ein selbstbestimmtes und glückliches Leben auch im Bereich der Sexualität zu finden lohnt sich für jeden Menschen.

Wie definieren wir Attraktivität?

Grit: Attraktivität hat für mich immer was sehr persönliches gehabt, sie hat sich über die Zeit auch geändert. Es war für mich immer eine Suche nach einem Partner, mit dem ich intellektuell sehr verwoben bin und der ein gewisses Charisma besitzt, dass aber von guten Absichten geprägt ist. Ein Partner mit dem man sich gut austauschen kann, ist quasi schon die „dreiviertele Miete“ der Beziehung. Mit Christian empfinde ich mich in beidem verbunden, sowohl die gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer täglichen eigenen Beziehung, als auch mit der Begegnung unserer Umgebung.

Chris: Intime Anziehung kann auf enorm vielen Facetten basieren und was man als attraktiv empfindet, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Ich stehe sicherlich auf andere Eigenschaften und Merkmale, als mein Nachbar, mein Postbote oder die Autorin dieses Textes. Unterm Strich kann man es niemals jedem Recht machen und allen gefallen. Was so ernüchternd klingt hat aber in Wahrheit etwas charmantes und positives: jeder Mensch hat nämlich auch Eigenschaften, die attraktiv sind und auf andere Menschen anziehend wirken. In dem man sich selbst kennenlernt und experimentiert, kann man diese „herausputzen“. Es mag vielleicht wie ein Cliché klingen, aber letzten Endes ist das genau der Grund, warum wahre Schönheit von innen kommt.

Es geht dabei nämlich nicht darum, seinen Körper zu verleugnen, sondern ganz im Gegenteil, ihn zu erkennen und anzunehmen.

Was haben wir über uns und andere durch den Film (Touch Me Not) gelernt?

Grit: Für mich war es ein großer Schritt, zwischen meiner ersten Begegnung mit Adina über Skype und dem Raum, wo ich mich jetzt befinde. Eine sehr großer Erfahrungsschatz an menschlicher Verbindung und Austausch, sexueller Vielfalt, eigener kommunikativer Ausdrucksmöglichkeiten und der sehr tiefen Annahme meines Wesens seitens des Publikums haben mir es ermöglicht jetzt in diesem Leben verankert zu sein. Und ich wünsche mir von Herzen, das so eine Menschlichkeit geschaffen wird, indem jeder sich selbst erfahren kann und wir die Offenheit besitzen, diese Vielfalt zu tragen.

Chris: In erster Linie war es eine super spannende und bereichernde Erfahrung, bei einem solchen experimentellen und künstlerischen Projekt beteiligt gewesen sein. Wir haben viele tolle Menschen kennengelernt und viele intensive Beziehungen geknüpft. Durch die Arbeit mit den Tagebüchern und die Reflexion mit Adina und den anderen Protagonisten konnte ich meine Haltung zu den Themen des Films tiefer herausarbeiten und festigen. Etwas sehr wichtiges habe ich aber auch durch das Publikum und die Medienöffentlichkeit gelernt, nachdem der Film bekannt wurde: Das Thema “Intimität und Körperlichkeit“ ist enorm wichtig und berührt viele Menschen in ihrem innersten Kern. Das ist für viele oftmals nicht einfach. Gerade deswegen lohnt es sich vielleicht genauer hinzuschauen.

Was ist unser Ratschlag an Leute, die ihre Sexualität befreien wollen?

Chris: Meiner Meinung nach gibt es zwei große Kräfte, die einen daran hindern, sexuelle Freiheit zu leben: zum einen ist da die Scham und die Angst, nicht gut genug zu sein und beurteilt zu werden. Zum anderen gibt es gesellschaftliche Normen und Zwänge, die es einem schwer machen, seine Bedürfnisse und Sehnsüchte offen zu zeigen. Beide Kräfte sind schwer zu überwinden, vor allen Dingen, weil sie so tief mit unserem  Unterbewusstsein eingegraben sind. Ich glaube, der erste Schritt sollte sein, die innere Scham anzuerkennen. Erst dann kann man versuchen, über sie hinauszuwachsen, wenn man das möchte.

Grit: Follow your guts! Folge dem, wonach du dich sehnst….am besten in allen Lebensbereichen. Fühle die Freiheit, die du dir erträumst. Spüre deinen Körper!

Einen fruchtbaren Austausch mit Menschen, denen man vertraut, fand ich immer wertvoll, da das die eigenen Schamgrenzen und Zwänge, die wir durch unsere Umgebung aufgebaut haben, aufbrechen kann.

Oft stellt man im Nachhinein fest, dass die Beklemmungen und Ängste gar nicht gerechtfertigt waren.